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Ines Walter und Bianca Schiller, Mitarbeiterinnen der Kinderhilfe für krebs- und schwerkranke Kinder e.V.

© Thilo Rückeis

Verein „Kinderhilfe“: Pferdereiten und Rutschen für Geschwister von Schwerkranken

Die Kinderhilfe für krebs- und schwerkranke Kinder bittet selbst um Hilfe. Sie braucht Spenden fürs therapeutische Reiten – und sucht Familienhelfer.

[Bei seiner 27. Weihnachtsspendenaktion „Menschen helfen!“ bittet der Tagesspiegel um Spenden für 62 soziale Initiativen – in der Spendenserie stellen wir einige vor. Heute: Die „Kinderhilfe - Hilfe für krebs- und schwerkranke Kinder e.V.“.]

„Hol mich doch ein“, ruft Lotte über die Schulter, als sie mit ihrem Dreirad Kurs auf das Wohnzimmer nimmt. Hinter ihr schiebt sich ihr kleiner Bruder bäuchlings auf einem Skateboard über den Fußboden. „Erste!“ Lotte ist am Ziel angelangt, der Bodenleiste zum Wohnzimmer. Auf ihren blonden Haaren thront ein Cowboyhut, ein breites Grinsen entblößt ihre Milchzähne. „Denkst du dran, auch eine Pause zu machen?“, fragt Lottes Mutter.

„Ich mach schon ganz ruhig“, sagt Lotte schnell. Sie kennt das schon. Den Blick der Mutter und Sätze wie diese. Denn Lottes Herz macht nicht so mit wie das Herz von anderen Sechsjährigen. Lotte hat das Turner Syndrom und einen angeborenen Herzfehler.

„Das ist quasi so, als ob Lotte 24 Stunden am Tag Dauerlauf machen würde. Oder jeden Tag einen Marathon läuft“, erzählt ihre Mutter, Judith Schmidt* (alle Namen sind von der Redaktion geändert). Lottes Herz schlägt permanent viel zu schnell und das bei nur einer Herzkammer. Eigentlich, sagen die Ärzte, sei Lotte mit dieser Erkrankung nicht lebensfähig. Die meisten Kinder, denen die Diagnose gestellt wird, werden erst gar nicht so alt wie Lotte.

Um Kinder wie sie und ihre Familien kümmern sich die Mitarbeiter und Ehrenamtlichen der „Kinderhilfe - Hilfe für krebs- und schwerkranke Kinder e.V.“. Der Verein bittet die Tagesspiegel-Leserinnen und -leser um Spenden fürs therapeutische Reiten für Geschwister der schwerkranken Kinder – und auch Ehrenamtliche werden gesucht, die mit den Geschwistern, die oft im Schatten stehen, Freizeit verbringen – damit die Eltern durchatmen oder sich ganz dem ersten Sorgenkind widmen können.

„Warum Lotte so ist, wie sie ist, weiß keiner. Aber sie ist einfach lebensfroh, ein Sonnenschein“, sagt die Mutter. Doch wegen ihres Herzfehlers ist Lotte kaum belastbar. Eine Kita oder Grundschule kann sie, wenn überhaupt, nur stundenweise besuchen. Sie muss regelmäßig Medikamente nehmen und braucht rund um die Uhr Betreuung. Eine riesige Herausforderung für Lottes Eltern und ihre Brüder, 13, zehn und zwei Jahre alt. Eine schwerkranke Schwester zu haben, fordert viel Rücksicht von ihnen.

„Geschwister von erkrankten Kindern müssen oft einfach funktionieren“

„Dass wir irgendetwas wegen Lotte nicht machen können, bekommen die Jungs ständig zu hören“, erzählt Judith Schmidt. Und genau deshalb haben die Schmidts Walter Weigler. Ihren Walter, wie die Familie gerne sagt. Walter Weigler geht mit Lottes Brüdern klettern, ins Kino oder zum Schwimmen, sie zelten oder fahren ins Rutschenbad. Denn Walter Weigler ist ehrenamtlicher Familienbegleiter des Kinderhilfe e.V., eines Vereins, der Familien schwerkranker Kinder unterstützt.

„Geschwister von erkrankten Kindern müssen oft einfach funktionieren“, erklärt Birgit Wetzig-Zalkind, die die Pressearbeit für den Verein macht. „Bei den Familienbegleitern können sie einmal ganz im Mittelpunkt stehen.“

Wie bei der ganzen Woche mit Ausflügen für insgesamt zwölf Geschwisterkinder aus Berlin und Brandenburg zum Reiterhof nach Rahnsdorf. „Damit haben wir so gute Erfahrungen gemacht, die Kinder sind dann ganz stolz, es geht bei der Reitwoche nur um sie“, erzählt Sybille Fischer von der Kinderhilfe. Es sei wichtig, um das eigene Selbstbewusstsein zu stärken, und auch, um mal Abstand von der belasteten Situation zu Hause zu haben.

Mit neuen Spendengeldern könnten weitere Familien zum Reiten eingeladen werden – Lust hätten dazu viele. Außerdem werden Familienbegleiter gesucht. Neue Ausbildungkurse starten ab Mitte Januar. Dabei schulen Ärzte, Seelsorger und Experten die Freiwilligen, berichten auch von Statistiken wie jener, dass heute etwa 80 Prozent aller mit Krebs wie Leukämie oder Knochenkrebs diagnostizierten Kinder überleben. Interessenten brauchen auch ein polizeiliches Führungszeugnis.

[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Ein Familienbegleiter kann die Familien auch ganz praktisch unterstützen, beim Gang zum Amt oder als Gesprächspartner. „Ich würde mir wünschen, dass auch andere Familien diese Entlastung erfahren können“, sagt Schmidt. „Für die Helfer ist das vielleicht nur eine Stunde in der Woche, aber für uns ist das so viel mehr. Das rettet uns“, heißt es bei den Familien. Walter Weigler ist hauptberuflich Lehrer an einer Blindenschule, in seiner Freizeit nun Zugführer der Bahn im Kinderzimmer, Rutschenexperte in Tropical Island oder Pfadfinder, wenn er mit Lottes älteren Brüdern auf Sylt zeltet. „Walter gehört bei uns zur Familie“, sagt Judith Schmidt.

[Spendenkonto und Kontakt: Spenden bitte aufs Konto, Empfänger: Spendenaktion Der Tagesspiegel e.V., Verwendungszweck: „Menschen helfen!“, Berliner Sparkasse IBAN: DE43 1005 0000 0250 0309 42. BIC: BELADEBE – Name und Anschrift bitte leserlich. Familienbegleiter werden? Melden bei Ines Walter, 857 478 368, ines.walter@kinderhilfe-ev.de. Leser können zu Weihnachten jetzt Ihren Lieben ein Tagesspiegel-Benefiz-Abo verschenken: www.tagesspiegel.de/verschenken. Infos dazu Mo-Fr 7-19.30; Sa-So 8-12 Uhr: (030) 290 21-550.]

„Meine größte Sorge war, ob die Familie und ich zusammenpassen“, erinnert sich Weigler an die Anfangszeit. „Die Chemie muss einfach stimmen.“ Doch Walter Weigler und Familie Schmidt haben sich auf Anhieb verstanden, auch, weil die Kinderhilfe e.V die Bedingungen für den Einsatz zuvor sorgfältig prüft. Etwa drei Stunden in der Woche ist der ehrenamtliche Helfer bei seiner Familie und auch während der aktiven Phase werden die Helfer weiterhin sozialpädagogisch betreut. „Das braucht man auch“, sagt Weigler, „um sich einmal auszusprechen.“

Ihn frustriert besonders die Schwerfälligkeit von Behörden und Krankenkassen: „Die Kinder sind schwerkrank und man muss um jeden Cent betteln. Das darf nicht sein.“ Und irgendwie, erzählt Weigler, wartet man ja auch immer. Darauf, dass der eine schlimme Anruf kommt. Dass Lotte etwas passiert ist. Dass sie vielleicht nicht mehr lebt. Weigler ist bei der Familie, in den verletzlichen, in den vertrauten Augenblicken, in den Momenten, in denen man keine Luft mehr bekommt – und danach erst recht. Bei Festen, bei Krankheit, bei neuem Leben und beim Abschiednehmen.

Es sind Familien wie die Schmidts mit Walter Weigler und all die anderen, für die eine therapeutische Reitwoche ein Geschenk auch nach Weihnachten wäre.

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