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Vom Discounter Aldi geplantes Wohnprojekt in Berlin Lichtenberg.

© Aldi Nord/dpa

Verdichtung der Stadt: Kein Land für Wohnraum in Sicht

Sollten die Berliner Wohnungsbaugesellschaften in Brandenburg bauen? Ein Pro & Contra.

Das Pro von Reinhart Bünger:

Für ein Steak auf dem Grill im Grünen ist kein Weg zu weit. Das gilt inzwischen auch für bezahlbaren Wohnraum. Sei es zur Miete, sei es zum Kauf. Berufspendler legen immer weitere Wege zurück. Das ist in allen deutschen Großstädten so, natürlich auch in Berlin. Was in der deutschen Hauptstadt aber anders ist: Bezirks- und Landespolitik bekommen kein Land in Sicht.

Beispiele gefällig? Die Senatsverwaltung für Finanzen kann auf Anfrage nicht einmal beziffern, in welcher Quadratmeter-Größenordnung sie Liegenschaften vom Bund erworben hat. Und in Kreuzberg beklagen selbst einzelne Bezirksverordnete schon die „Aufschieberitis“ ihres Bauausschusses, wenn es um das Thema Wohnen geht.

In Schmargendorf ist seit Jahren ungeklärt, wie das neue Reemtsma-Quartier („Go West“) aussehen soll. Mal hätte man vom Investor gerne Büros, ein anderes Mal Wohnungen, ein drittes Mal Gewerbe und schlussendlich soll von allem ein bisschen gebaut werden. Und weil man nicht mehr weiter weiß, gründet der Bezirk Charlottenburg- Wilmersdorf jetzt mit dem Finanzsenator erst einmal einen Arbeitskreis. Ob Peter Stuyvesant den Vorsitz übernimmt?

Der Duft der großen weiten Welt ist anderswo. In Berlin gibt es nur: Hin und Her, Klein-Klein, Planungspannen und Ziellosigkeit allerorten. Eine Europacity, der es erkennbar an Urbanität fehlen wird. Dann der Gedanke, mit Dachaufstockungen voranzukommen. Die Idee, Discountern die Chance zu geben, ihre „Flachmänner“ – wie die eingeschossigen Supermärkte genannt werden – in Mehrgeschosser mit Wohnraum zu verwandeln.

Die Hauptstadt behandelt ihren Wohnungsmangel nicht mit Vitamin B aus dem Gedankenfrischeregal, sondern verabreicht Valium und Zwangsjacken aus der Mottenkiste.

Berlin hat kein neues Leitbild für die wachsende Metropole. Wie so etwas geht, ist nachzulesen wenn man sich mit dem Hobrecht-Plan (anno 1862) beschäftigt und mit seinem Verfasser. Solch vorausschauende Zeitgenossen sind aber heute nicht in Sicht. Längst müssten neue Verkehrswege ins Umland geplant, alte reaktiviert, die vorhandenen ausgebaut werden.

So schwappt die Stadtbevölkerung ins Umland über wie ein Topf kochendes Wasser auf die Herdplatte. Selbst den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften ist es in Berlin inzwischen zu heiß. Sie haben die gleichen Probleme wie junge Familien: Wo soll man hier zu Potte kommen? Wo gibt es mietbare Wohnungen oder bezahlbare Bauflächen, Bezirke und Behörden, die Vorhaben tatkräftig unterstützen?

Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen gehört jedenfalls nicht dazu, wenn es um die Stadtflucht der „Städtischen“ geht.

Berlin muss endlich Land gewinnen: Indem Flächen im Umland gekauft werden und die Grundstücke für den Wohnungsbau herangezogen werden, die der Stadt in Brandenburg ohnehin zu eigen sind. Dreilinden sollte bebaut werden. Die Krüppelwälder dort braucht niemand. Zum Beispiel. Dies alles natürlich nach Absprache mit den Kommunen im Umland, die das Planungsrecht haben, und umgesetzt von einer neu zu gründenden Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Brandenburg.

Diese Pläne sind nichts als politische Feigheit

Protesplakat gegen das Neubauprojekt Blankenburger Süden.
Protesplakat gegen das Neubauprojekt Blankenburger Süden.

© Foto: Jörg Carstensen/dpa

Das Contra von Gerd Nowakowski:

Im märkischen Umland soll die Zukunft der Berliner Stadtentwicklung liegen? Man könnte es für einen Witz halten. Der Gedanke, dass die in Berlin dringend benötigten preiswerten Wohnungen von den städtischen Wohnungsbaugesellschaften vor den Toren der Hauptstadt gebaut werden, erfreut nur die privaten Investoren. Denen wird dann nämlich im Stadtraum das Gelände – und das Geschäft – überlassen, um weiterhin händeringend nach Wohnraum suchenden Menschen teuer eine Wohnung zu verkaufen.

Denn das soll es ja durchaus geben, die Familien oder auch Paare und Singles, die unbedingt in Berlin leben und arbeiten möchten und nicht auf dem Land wohnen wollen. Eine fatale Entmischung der Stadt wäre die Folge: In Berlin wohnen die Wohlhabenden, nach Oranienburg oder Schönefeld müssen die Menschen ziehen, die sich das nicht leisten können.

Nicht nur der Finanzsenator wird sich auch fragen, ob die dem Land Berlin gehörenden Wohnungsbauunternehmen nun aktiv mit ihrer Bautätigkeit dazu beitragen sollten, dass Berliner zwar weiterhin in der Stadt arbeiten, in Zukunft aber ihre Steuern in Brandenburg zahlen. Das kann wohl kaum in Übereinstimmung mit dem Arbeitsauftrag der Unternehmen sein.

Nein, hinter den Gedankenspielen steckt deshalb eine gute Portion Wegducken vor der politischen Wirklichkeit. Das ist auch durchaus nachvollziehbar, weil die Unternehmen ihre liebe Not haben, gegenüber einer behäbigen bis ignoranten Verwaltung in Bezirken und beim Senat ihre Bauprojekte voranzubringen, und deswegen lieber entspannt im Brandenburger Umland bauen möchten. Was die Wohnungsbauunternehmen von einer Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) halten, die sich mehr für all die Berliner einsetzt, die hier bereits eine Wohnung haben, als für jene Menschen, die neu eine Wohnung suchen, haben sie bereits in einem Brandbrief mitgeteilt. Sie fühlen sich ausgebremst, genau jenen politischen Auftrag zu erfüllen, den der rot-rot-grüne Senat ihnen erteilt hat: in größter Eile preiswerten und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, um die galoppierende Mietentwicklung zu stoppen.

Deshalb müsste für die Berliner Senatskoalition eine Bauoffensive im Brandenburger Umland politisch inakzeptabel sein. Im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag von Ende 2016 sind explizit elf neue Stadtquartiere aufgezählt, die bis 2021 entwickelt werden sollen – dazu gehören etwa die großflächigen Baugebiete „Blankenburger Süden“, Köpenick oder auch Lichterfelde Süd. Ausgenommen ist im Koalitionsvertrag dabei sogar noch die Elisabethaue in Pankow, wo Platz für weitere tausende Wohnungen ist. Insgesamt könnten auf den aufgeführten Flächen 37.000 neue Wohnungen gebaut werden, hält der Koalitionsvertrag fest. Wenn mit dem Segen des Senats nun nach Brandenburg ausgewichen werden darf, dann käme das einer Kapitulation der Landesregierung gleich. Der Attraktivität Berlins, die jedes Jahr 50.000 Menschen an die Spree umziehen lässt, dadurch zu begegnen, dass man die Menschen nach Brandenburg schickt und damit die Zersiedelung des Umlands noch beschleunigt, wäre zum 100. Geburtstags der Schaffung von Groß-Berlin ein Unding.

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