zum Hauptinhalt
Zuweisungen von Geldauflagen durch die Justiz sind ein höchst intransparentes System.

©  Arne Dedert

Verdächtig spendable Justiz: Richter und Staatsanwälte verteilen Millionen Euro – nach undurchsichtigen Kriterien

Gelder aus eingestellten Gerichtsverfahren sind äußerst lukrativ für gemeinnützige Organisationen. Doch das Verteilungssystem ist kaum zu durchschauen.

Am Ende kamen sie mit einem blauen Auge davon. Zwei Geschäftsführer einer Neuköllner Gastronomiefirma waren angeklagt, fast 115.000 Euro mit Manipulation von Pfandflaschenautomaten erbeutet zu haben. Die Lizenz zum Gelddrucken endete mit einer Anklage vor dem Amtsgericht Tiergarten, doch nachweisen konnte man den beiden den Betrug nicht. Gegen eine Geldauflage von jeweils 3000 Euro an gemeinnützige Organisationen wurde das Verfahren Anfang April eingestellt – und so geschieht es häufig in Deutschland.

Richter und Staatsanwälte verteilen mit Geldauflagen jedes Jahr beträchtliche Geldsummen. Bundesweit sind es bis zu 80 Millionen Euro jährlich. Ein großer Teil des Geldes geht an die Landeskassen und fließt so in den allgemeinen Haushalt. Doch auch gemeinnützige Organisationen profitieren stark von den sogenannten Geldauflagenzuweisungen. In einem Gerichtsverfahren kann auf ein Urteil verzichtet, bei der Staatsanwaltschaft eine Ermittlung eingestellt werden, wenn im Gegenzug der Beschuldigte eine Geldauflage zahlt. Ein Freispruch ist das nicht, eine Strafe aber auch nicht.

Ein intransparentes System

Das System ist undurchsichtig. Nach welchen Kriterien die Richter und Staatsanwälte die Organisationen auswählen, ist für Außenstehende kaum nachvollziehbar. Die Beamten sind in ihrer Entscheidung frei und müssen sie nicht begründen. Die richterliche Unabhängigkeit ist im Grundgesetz verankert und ein hohes Gut. Nicht immer und nicht in allen Bundesländern wird eine jährliche Übersicht mit allen Empfängern so veröffentlicht, wie es in Berlin passiert, sondern nur auf Anfrage.

Den Richtern und Staatsanwälten in Berlin steht eine Liste von mehr als 1000 gemeinnützigen Organisationen zur Verfügung, aus der sie wählen können. Für die Aufnahme in die Liste muss nur das Kriterium der Gemeinnützigkeit erfüllt sein und ein Antrag gestellt werden. Bei so viel Auswahl ist das Ringen um die Aufmerksamkeit der Beamten groß – ihre Gunst ist begehrt. Von 6,7 Millionen Euro Geldauflagen im Jahr 2018 gaben Richter und Staatsanwälte in Berlin immerhin 2,3 Millionen direkt an gemeinnützige Körperschaften, den Rest an die Landeskasse. Die meisten der Organisationen gehen dabei leer aus. Nur 329 von den über 1000 Gelisteten wurden mit Geldbeträgen bedacht. Die Spanne reicht von 130.000 Euro für das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk bis hin zu 100 Euro für die Suppenküche Lichtenrade.

Manche Organisationen profitieren massiv - andere gar nicht

Eigentlich soll das Geld denen zukommen, die sich der Prävention von Straftaten oder der Wiedereingliederung von Straftätern in die Gesellschaft widmen, wie der Weisse Ring e.V. oder der Deutsche Kinderschutzbund. Doch das Geld geht auch an völlig andere Organisationen. In Berlin zum Beispiel an verschiedene Theater, Naturschutzbunde, die Tierärzte ohne Grenzen, den Motorrad Club Hermsdorf, sogar die Berliner Freunde exotischer Vögel wurden bedacht. Die Organisationen mögen eine gute und wichtige Arbeit leisten, ob diese aber auch dem intendierten Zweck der Justiz dient, ist aus Sicht einiger Kritiker fraglich.

Für manche Organisationen sind Geldauflagen ein wichtiger Bestandteil der Finanzplanung. Bei der Berliner Tafel machen sie jährlich zwischen sieben und zehn Prozent der Einnahmen aus. Bei der Alfred-und-Angelika-Guthermut-Stiftung ist es deutlich mehr. „Wir haben in den vergangen 20 Jahren fast 2,8 Millionen Euro an Geldauflagen aus Berlin und Hessen bekommen, davon gingen 2,6 Millionen in die Leukämieforschung“, sagt Alfred Guthermut. Seit Jahren kümmert er sich allein um die Verwaltung der Geldauflagen, schickt jährlich Hunderte Briefe und pflegte in Frankfurt durch regelmäßige Arbeitsbesuche in der Vergangenheit auch persönliche Beziehungen zu Richtern und Staatsanwälten. „Es ist durchaus denkbar, dass der ein oder andere selbst einen Fall von Leukämie im Bekannten- oder Verwandtenkreis erfahren hat, so was spricht sich dann rum.“

Korruptionsgefahr besteht

Bundesweit kommt es hin und wieder zu fragwürdigen Zuweisungen. In Bremen gaben zwei Staatsanwälte knapp 50.000 Euro an Fußballvereine, in denen sie selbst Mitglied waren. Ein Würzburger Amtsrichter bedachte jahrelang einen örtlichen Reitverein. Geschäftsführerin war seine Tochter, Schatzmeisterin seine Frau. Dienstliche Konsequenzen gab es nicht. Die persönlichen Verbindungen kamen in beiden Fällen nur durch Recherchen von Journalisten ans Licht (Correctiv, Report Mainz).

Eine Kontrolle der Zuweisungen durch die Justiz findet auch in Berlin weder in Hinblick auf eine besondere Nähe zwischen den Beteiligten noch auf die spätere Verwendung der Gelder statt. Mehrere Landesrechnungshöfe haben in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass Richter und Staatsanwälte „gesteigert korruptionsgefährdet“ seien. „Es darf unter keinen Umständen der Eindruck entstehen, ein Richter sei irgendwie mit der Organisation verbunden“, sagt auch Urban Sandherr, Richter am Berliner Kammergericht.

„Die Justiz hat allen Grund, schon den entfernten Anschein zu vermeiden, dass bei der Zuwendung sachfremde Erwägungen eine Rolle spielen könnten.“ Sandherr war 2010 an der Einrichtung eines Berliner Sammelfonds („SamBA-Fonds“) beteiligt. Als Alternative können auch in diesen Geldauflagen gezahlt werden, um gemeinnützige Organisationen zu bedenken. Verteilt wird das Geld durch ein dreiköpfiges Gremium aus einem Richter, einem Staatsanwalt und einem Vertreter der Senatsverwaltung. Einrichtungen müssen sich mit justiznahen Projekten bewerben, solchen also, die sich im Bereich der Opfer-, Sucht- oder Straffälligenhilfe bewegen.

Sammelfonds zur Vermeidung von Korruption

„Die Intention für die Einführung“, so teilt ein Sprecher der Justizverwaltung mit, „war die Vermeidung von Korruption im weitesten Sinne.“ Demnach sollten Geldauflagenzahlungen „nicht an Einrichtungen erfolgen, in denen zum Beispiel der Ehepartner sitzt“. Ähnliche Modelle findet man heute in Hamburg und dem Saarland. In Berlin bleibt es leider nur beim gut gemeinten Versuch. Im vergangenen Jahr gingen lediglich 1,8 Prozent aller Geldauflagen an den Sammelfonds, der Rest wird nach wie vor von den Beamten direkt zugewiesen. Offenbar fehlt es am Bewusstsein über das Bestehen des Fonds, heißt es aus Richterkreisen.

„Der Sammelfonds wird bei weitem nicht so gespeist, wie es ursprünglich vorgesehen war“, sagt Sven Kohlmeier, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. „Das System ist ausbaufähig, wir werden das in den Rechtsausschuss bringen und besprechen, wie wir das System verbessern können. Da sind wir uns mit der Justizverwaltung einig.“ Wie das System ausgebaut werden könnte, konnte Kohlmeier nicht sagen. Im Ausschuss für Bürgerschaftliches Engagement und Partizipation des Parlaments hat man sich mit der Thematik nicht beschäftigt. Die Vorsitzende, Susanna Kahlefeld (Grüne), verwies an den Rechtsausschuss.

Ein spezieller Geschäftszweig: Geldauflagen-Fundraising

Doch es geht auch um die Frage, wie gerecht die Verteilung der Gelder abläuft. Große Organisationen sind aufgrund ihrer Bekanntheit meist ohnehin schon im Bewusstsein der Beamten. Zudem verfügen sie über größere finanzielle Möglichkeiten als kleine Organisationen, die sie in die Gewinnung neuer Gelder stecken können. Über die Jahre hat sich so ein eigener Geschäftszweig entwickelt: das professionelle Geldauflagen-Fundraising.

„Die Ausgaben dafür liegen jährlich zwischen 30.000 und 50.000 Euro, bei Einnahmen zwischen 300.000 und einer Million Euro“, sagt Mathias Kröselberg, Geschäftsführer von Probono Berlin. Die Marketingfirma betreibt Geldauflagen-Fundraising für große gemeinnützige Organisationen zum Beispiel aus dem Bereich der Katastrophenhilfe und Entwicklungsarbeit, wie die UNO-Flüchtlingshilfe oder das Deutsche Rote Kreuz. Sie führt Listen aller 10.500 zuweisungsberechtigten Richter und Staatsanwälte in Deutschland, bereitet Jahresberichte vor, hält die Entwicklung von Strafverfahren im Blick und verschickt unzählige Briefe. „Wir machen Lobbyarbeit“, sagt er. Beteiligt an den Einnahmen werde sein Unternehmen nicht.

Als beim Skandal um den Milchkonzern Humana wegen fehlerhafter Babynahrung drei Geschäftsführer angeklagt wurden, weil in Israel zwei Säuglinge gestorben waren, hatte Kröselberg so ein Gefühl, wie er heute sagt. „Ich war mir sicher, dass das Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen Geldauflage eingestellt würde.“ Er rief seinen Kunden Kinderhilfswerk Unicef an, das sich mit Projektmappen an die zuständigen Beamten wandte. Am Ende wurden Unicef alle drei Geldauflagen in Höhe von insgesamt 75.000 Euro zugewiesen.

Compliance-Regeln auch bei Geldauflagen?

Ob das Geldauflagen-Fundraising eine Beeinflussung der Beamten darstellt, ist schwer zu sagen. In Justizkreisen wird jedenfalls die Frage aufgeworfen, ob die richterliche Unabhängigkeit gewahrt bleibe, wenn sich zum genau richtigen Zeitpunkt die passende Organisation melde. Auch abgesehen davon ist die Zuweisungspraxis ein System, in dem es in der Vergangenheit wiederholt zu korruptionsnahen Fällen gekommen ist, welche auch heute nicht vermeidbar sind.

„Was wir in diesem Bereich bräuchten, sind eigentlich Compliance-Regeln“, sagt Matthias Kröselberg. „Es wäre das Einfachste, wenn es den zuweisenden Beamten schlicht untersagt werden würde, an Organisationen Geld zu verteilen, in denen sie selbst Mitglied sind oder zu denen eine verwandtschaftliche Nähe besteht. So wie es derzeit ist, ist es das intransparenteste System überhaupt.“ In der Berliner Senatsverwaltung für Justiz war man schon 2010 ähnlicher Auffassung. Mit dem Sammelfonds wurde eine Maßnahme für mehr Transparenz bei der Verteilung ins Leben gerufen. Ihre Wirksamkeit ist aufgrund der geringen Beachtung des Fonds aber bislang kaum feststellbar.

Zur Startseite