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Bei der Behandlung. Der Berliner Venenarzt Johann Ragg setzt verschiedene Mikrotechniken ein. Mit einer Kombination aus Laser – und Verödungstechnik will er die Venenprobleme seiner Patienten in den Griff bekommen.

© Julia Bernewasser

Venenerkrankungen behandeln: Die Last der Schwerkraft

Wenn Krampfadern Probleme machen, muss man nicht gleich operieren. Es gibt auch mildere Behandlungsmöglichkeiten mit Laserlicht oder Radiowellen.

Sie sind deutlich zu erkennen: dicke grünbläuliche Knäuel, die sich an Frank Maurers (Name geändert) Unterschenkeln entlang schlängeln. „Ein wildes Gewächs an Krampfadern“, stellt Venenspezialist Johann Ragg fest, als er einen Blick auf die Beine seines Patienten wirft. Besonders das rechte Bein ist stark angeschlagen.

Frank Maurer – ein schlanker, sportlicher Mann um die 50 – möchte sich in der Berliner „Angioclinic“ von Venenarzt Johann Ragg die Krampfadern entfernen lassen. Sein Venenleiden macht Maurer immer häufiger Beschwerden: „Besonders abends fühle ich so ein Spannungsgefühl in den Beinen. Sie werden dicker, schwellen an.“ Manchmal sei sogar sein rechter Fuß so stark geschwollen, dass er nicht in den Schuh passe.

40 Prozent der Deutschen sind betroffen

Krampfadern – der Begriff ist vielen geläufig, aber wie entstehen diese hässlichen Knoten an den Beinen genau? Krampfadern sind unnatürlich gekrümmte, gestaute und stark erweiterte Venen und werden auch Varizen genannt. Sie können ein Schweregefühl, ein Kribbeln und Brennen in den Beinen auslösen. 40 Prozent der deutschen Bevölkerung sind laut Johann Ragg betroffen. 25 Prozent sind behandlungsbedürftig. Frauen kommen häufiger als Männer zu ihm in die Klinik: „Die Damen haben eine höhere Aufmerksamkeit für ästhetische Veränderungen und kommen frühzeitig, das macht die Therapie viel einfacher. Die Herren neigen zum Hinauszögern“, sagt Ragg.

Theoretisch können Krampfadern überall auftreten, durch die Schwerkraft sind die Beine am häufigsten betroffen. Hinter der Erkrankung steckt ein gestörter Blutfluss. Aufgabe der Beinvenen ist es, bei jedem Schritt Blut gegen die Schwerkraft zurück zum Herz zu transportieren. Bei gesunden Menschen hindern Venenklappen das Blut daran, wieder Richtung Füße zu fließen. Wenn Venenklappen nicht mehr richtig schließen, fließt Blut in der Folge rückwärts und trifft auf vorwärts fließendes Blut. Es kommt zu einer Stauung, die wiederum benachbarte Venenklappen schädigt.

Ohne Behandlung kann es zu einem "offenen Bein" kommen

Das Tückische dieser Venenerkrankung ist, dass sie viele Jahre fortschreitet, bevor man etwas spürt oder sieht. Jede sichtbar erweiterte Ader bedeutet einen größeren, tieferliegenden Schaden. Ohne Behandlung führt die Venenschwäche im schlimmsten Fall zu Wassereinlagerungen, entzündlichen Hautveränderungen oder Ulcera („offenen Beinen“). Johann Ragg macht sich besonders für die Früherkennung stark. „Je früher die Diagnose, desto kleiner der Schaden, desto einfacher die Behandlung.“

Erste Anzeichen nicht ernst genommen

Frank Mauers Krankengeschichte ist lang. Eigentlich sei er schon seit seiner Jugend betroffen, erzählt er, während Arzt Ragg mit einem grünen Filzstift die betroffenen Venen seines Patienten markiert. Damals habe er die ersten Anzeichen aber noch nicht besonders ernst genommen, sagt Maurer. Und wie zur Entschuldigung schiebt er hinterher: „Ich war eben jung.“ Vor 20 Jahren dann ließ er beide Beine nacheinander operieren, um seine Krampfadern loszuwerden. Zwei Wochen sei er damals ausgefallen, dazu kamen dicke Verbände an den Beinen. Das Schlimmste aber: Der Erfolg war nur von kurzer Dauer. Bereits nach ein bis zwei Jahren seien die Krampfadern zurückgekommen. Nun soll es Johann Ragg richten. Der 63-Jährige beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit der Venenheilkunde. Mit einem Ultraschallgerät wandert er auf Frank Maurers Beinen von Vene zu Vene. Rote und blaue Farben leuchten auf dem Monitor auf. Rot zeigt den Rückfluss an – ein schlechtes Zeichen. „Die Klappe ist völlig überdehnt.“ Die dicksten Knäuel befinden sich auf Frank Maurers Wade, doch schon weiter oben im Bereich der Kniekehle – wo oberflächlich nichts zu sehen ist – macht Ragg eine sogenannte Leitveneninsuffizienz aus. „Die Krampfader ist immer nur die Spitze des Eisbergs“, stellt er fest. Die stark sichtbaren geschlängelten Adern seien nur eine späte Folge.

Eine angeborene Venenklappenerkrankung

Was hat Frank Maurer falsch gemacht? Wie kommt es, dass ausgerechnet er so starke Krampfadern hat? Eigentlich gar nicht so viel. Dass Maurer schon in seiner Jugend erste Anzeichen eines Venenleidens bemerkt hat und auch Mitglieder seiner Familie betroffen sind, spricht laut Ragg dafür, dass es sich hier um eine angeborene Venenklappenerkrankung handelt. Das ist nicht selten, sondern betrifft ein Drittel der Patienten.

Andere Gründe für eine Venenschwäche sind falsche oder fehlende körperliche Belastungen. Wer den ganzen Tag nur sitzt oder steht, erhöht das Risiko, dass sich die Venenklappen infolge der Stauung entzünden und zerfressen werden, bis sie gar nicht mehr vorhanden sind. Dieser Vorgang dauert Jahrzehnte. Die ersten Jahre ist die Vene noch zu retten, später wird der Schaden chronisch. Obwohl Bewegung grundsätzlich wertvoll ist, können Überlastungen dennoch schaden: Wenn der Druck auf eine Klappe schlagartig zu groß wird, kann sie umschlagen und erfüllt nicht mehr ihren vorgesehenen Job. „Den ganzen Tag sitzen und dann am Abend plötzlich im Fitnessstudio Höchstleistung bringen – das macht der Körper oft nicht mit“, sagt Johann Ragg. Stattdessen empfiehlt er zur Venenpflege: Alle 20 Minuten 20 Schritte machen! So wird das abgestandene Blut wieder durch die Beine gepumpt. Für Frank Maurer wird jetzt einiges klar: „Ich bin früher Langstrecke gelaufen. Marathon.“ Training auf Asphaltboden – eine enorme Belastung für die Venen.

Therapien ohne OP sind erfolgreicher

Wie kann Johann Ragg seinem Patienten nun helfen? Muss Frank Maurer erneut operiert werden? Nein, sagt Johann Ragg. Venenoperationen würden zwar in Deutschland noch häufig praktiziert, weil viele Ärzte dafür ausgebildet seien. Therapien ohne Operation und Narkose seien jedoch viel erfolgreicher, da man Narben, Gewebeschäden und Wundheilungsrisken vermeide. Raggs Lieblingsmotto lautet: Venen heilen statt operieren. „Eine wirkliche Heilung ist nur in frühen Stadien möglich. Aber auch gerade fortgeschrittene Stadien profitieren enorm von den neuen Methoden, die kein Gewebe zerstören.“ Seit 2005 habe man in seiner Praxis kein Skalpell und keine Narkose mehr einsetzen müssen. Eine lokale Betäubung und millimeterdünne Werkzeuge genügen. „Nach dem Eingriff sind die Patienten sofort wieder arbeits- und gesellschaftsfähig. Das ist ein großer Vorteil.“

Ragg setzt verschiedene Mikrotechniken ein: Laserlicht und Radiowellen, die die Vene gezielt reizen und zuwachsen lassen, Kleber für den Sofortverschluss tieferliegender Venen, sowie verschiedene Verödungsschäume für die sichtbaren Krampfadern. „Es ist nicht so sehr die eine oder andere Methode, die besonders gute Ergebnisse schafft, sondern die geschickte Kombination.“

Die Venen schlängeln sich wie Korkenzieher

Mit einer Kombination aus Laser - und Verödungstechnik will Ragg nun die Venenprobleme von Frank Maurer in den Griff bekommen. Zunächst ist die Rückseite der Unterschenkel an der Reihe, Frank Maurer legt sich dazu bäuchlings auf die Liege. Mit seinen Händen massiert Ragg ein wenig die Unterschenkel, sodass ein Blutfluss entsteht. Dann pikst es dreimal. „Vorsicht, hier kommt ein Mückenstich“, sagt Johann Ragg scherzhaft. An den drei Stellen legt er einen kleinen Venenzugang.

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An der Kniekehle, dort wo noch keine Krampfadern sichtbar geworden sind, will Ragg den Laser einsetzen. Die dicken Venen, die sich aufgrund der früheren Operation „wie Korkenzieher“ von der Kniekehle bis zu den Füßen hinunterschlängeln, will der Arzt hingegen mit Verödungsschaum behandeln. „Während die frühere Flüssigverödung, auch die mit Kochsalzlösung, ein unpräzises Billigverfahren war, ist die moderne Schaumverödung High-Tech.“

Mit der einen Hand hält Ragg nun das Ultraschallgerät, das er über die betroffenen Venen führt. Mit der anderen spritzt er tröpfchenweise den Verödungsschaum in die kranken Venenstrecken. So kann er zentimetergenau arbeiten. Schon nach wenigen Sekunden ist zu erkennen, wie die Vene dünner und dünner wird. Tupfer und Pflaster drauf, dann geht's an die nächste Vene. „Ist das so gut auszuhalten?“, fragt Ragg seinen Patienten. „Jaja“, antwortet Frank Maurer, der während der Behandlung bisher ganz still war. Seinen Fuß soll Maurer leicht hin und her bewegen, das unterstützt den Blutfluss.Als Johann Ragg schließlich an der Vene in der Kniekehle angekommen ist, wechselt er zum Laser. Durch einen transparenten dünnen Schlauch sieht man, wie der rote Lichtpunkt des Lasers eingeführt wird. Jeden Impuls meldet der Laser mit einem Piepton. Nach wenigen Minuten ist die Vene verschlossen.

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Hinterher sehen die Beine schlanker aus

Eine Stunde dauert die Behandlung insgesamt, bis Frank Maurer sich wieder erheben darf. Der Effekt ist deutlich zu sehen: Die Beine sehen schlanker aus, die dicken Knäuel sind nicht mehr zu sehen. Bevor Frank Maurer nach Hause gehen kann, bekommt er aber noch eine medizinische Klebefolie um die Unterschenkel gewickelt. Dadurch entsteht eine nicht spürbare Kompression. Sie sorgt dafür, dass sich die Venen nicht unmittelbar wieder ausdehnen und keine Knoten entstehen. Zwei Wochen bleibt sie drauf, Duschen ist erlaubt. Langfristig empfiehlt Ragg ihm zur Vorsorge Kompressionsstrümpfe. Maurer druckst etwas rum: Die würden ja immer rutschen. Ausreden will sein Arzt aber nicht hören. „Einen sportlichen Kniestrumpf kann man Männern in Ihrem Alter schon mal zumuten“, sagt Johann Ragg und lacht hinter seinem Mundschutz.

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