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Berlin: Ursula Sobottka (Geb. 1921)

Ab und an tat sie so, als träume sie vom einfachen Leben der Hausfrauen

Ihre Stunde schlug nach dem Krieg. Mutter Courage in Zivil und mobil. Sie schnappte sich ein motorisiertes Dreirad, leichte Aluminiumbauweise, Höchstgeschwindigkeit 60 km/h, überlud es mit Büchern und fuhr in den Folgejahren regelmäßig an die hundert Frontstadt-Buchhandlungen ab, um die Bücher der von ihr vertretenen Verlage anzubieten – was ihr als Frau umso leichter fiel, als die meiste Arbeit in den Buchläden von Frauen getan wurde. Wörterbücher waren gefragt, Schulbücher, Kinderbücher und natürlich all die verfemten Bücher, die nun nach und nach wieder lieferbar waren. In der Kriegszeit hatte die Reichsschrifttumskammer die Bücher den Buchhandlungen zugeteilt, nun gab es plötzlich den freien Markt. „Die Buchhändler“, erinnerte sie sich, „begrüßten mich wie ein Wunder der Zukunft, noch ungläubig, dass sich dieses Wunder eines Vertreterbesuches bei weiteren Neuerscheinungen wiederholen sollte: Wir dürfen uns die Bücher nach Titeln selbst aussuchen!?“

Es wurde viel bestellt, viel gelesen und heftig über das Gelesene diskutiert, wozu die häufigen Stromausfälle in den ersten Nachkriegsjahren und während der Berlin-Blockade genug Gelegenheiten boten. Und dann noch das Wirtschaftswunder: „Zunächst die Fresswelle, dann die Kleiderwelle und erst nach der Möbelwelle blieb es nicht aus, dass auch eine kleine Bücherwelle angerollt kam.“ Die trug sie nicht nach Atlantis, was die Reichtümer anbelangte, aber es wurden viel aufregendere Zeiten, als sie es sich je erhoffen konnte.

Gelernt hatte Ursula das Buchhändler-Handwerk während des Krieges im Pegasus Verlag, zuvor Mittlere Reife und Handelsschule. Sekretärin war das höchste der Ziele. Ihr Vater war Orthopädieschuhmacher, ihre Mutter Hausfrau, beide dachten in Perspektivfragen sehr praktisch. Ein Mädchen wie Ursula durfte keine großen Träume haben, keine Freundschaften mit den Bürgerkindern pflegen. Selbst die Hoffnung auf Liebe trog, als der Krieg kam und ihr den Geliebten nahm. Aber je länger der Krieg dauerte, desto wichtiger wurden die Frauen, desto selbständiger konnten sie die Geschäfte führen. Ursula hatte in dem kleinen Verlag bald allein das Sagen, und als der Krieg vorbei war, entschloss sie sich, gänzlich unabhängig zu werden. Sie übernahm die Auslieferung für westdeutsche Verlage, die ihre Bücher in Berlin einlagern mussten, weil die Verkehrswege durch die Ostzone  unzuverlässig waren. 

Dann kam der neu gegründete „Diogenes Verlag“ aus der Schweiz hinzu, und Loriots Erstling, „Auf den Hund gekommen“, wurde 1954 ein so grandioser Erfolg, dass die Nachbestellungen gar kein Ende mehr nahmen.

Ab den 60er Jahren residierte „Buch-Sobottka-Berlin“ in der Sächsischen Straße in einem geräumigen Büro, das zugleich als Lager und Wohnzimmer für die abendlichen Zusammenkünfte all jener diente, die nicht nach Hause gehen wollten. Schauspieler, Buchhändler, Künstler und Kunden trafen sich bei ihr, diskutierten, tranken und waren neugierig auf das, was noch kommen sollte. Und immer ließ die Chefin ein Gedeck extra auftischen: „Für den müden Wanderer“.

Dezenter Dirigent dieser Gesprächsabende war ihr Freund, der Schauspieler und Verlagsgehilfe Michael Beerman, der allenthalben als ihr Liebhaber angesehen wurde, obwohl er Männer viel lieber mochte. Über ihre tatsächlichen Liebhaber schwieg sie sich aus, es waren nicht wenige, wie sie ihrem Sohn gegenüber mal mit Stolz bemerkte. Die vielen Vertreter-Reisen boten ihr diskrete Möglichkeiten, namhaft bekannt war der Familie und den Freunden nur einer, der Vater ihrer Zwillinge: Attanasio Retti Marsani.

Ein Lebemann der alten Schule, in den sie sich unsterblich verliebt hatte, weil sie sich nie den starken Mann, sondern den schönen, den illustren, den Mann von Welt an ihrer Seite gewünscht hatte. Er war 30 Jahre älter als sie, aus einem alten italienischen Adelsgeschlecht, mehrsprachig erzogen, Parteigänger D’Annunzios und des Duces, Liebhaber schöner Frauen und schneller Pferde, was ihn ein wenig zum Klischee seiner selbst machte.

„Gentleman bleibt immer Gentleman“, pflegte er zu betonen, sofern es seinem Egoismus keine Opfer abverlangte, den Vaterpflichten nämlich entzog er sich baldmöglichst und beließ es fortan dabei, über die Widrigkeiten der Existenz im Allgemeinen zu lamentieren, während Ursula für den Unterhalt der beiden Kinder zu sorgen hatte. Die staatlichen Kindergärten weigerten sich, die unehelichen Zwillinge aufzunehmen, nur eine katholische Einrichtung erklärte sich bereit – mit der demütigenden Begründung: „Die arme Frau ist so tief gefallen.“

Wenn die Kinder aus der Schule nach Hause kamen und erzählten, dass sie gefragt worden seien, was denn der Beruf des Vaters sei, ermahnte sie Ursula: „Das nächste Mal sagt ihr einfach, Beruf der Mutter: Verlagsbuchhändlerin.“ Jahrelang nagte die Angst an ihr, dass ihr das Sorgerecht entzogen werden könnte, aber der berufliche Erfolg sicherte das Familienglück mehr noch als ihre Kochkünste, die sie eher im experimentellen Sinn verstand: „Ihr müsst es nicht essen, aber wenigstens mal probieren!“

Ab und an tat sie so, als träume sie von dem einfachen Leben der Hausfrauen: Morgens aus dem Haus, auf den Markt und grüne Bohnen kaufen, dann wieder nach Hause, kochen, womöglich die Pantoffeln für den Mann vorwärmen. Prompt musste sie dann lachen. Das wäre nie ihr Leben gewesen.

Sie fuhr gern nach Capri, liebte die italienischen Fischer. Sie filmte mit ihrer Kamera den Beginn des Mauerbaus und den Besuch Kennedys, sammelte Spieluhren und sah mit Verwunderung, wie schnell die Jahre verstrichen: Im Juli 1988 lud „Buch-Sobottka-Berlin“, die älteste Verlagsauslieferung in Berlin-West, zur Abschiedsfeier. Ihr wurde nicht langweilig danach, sie unternahm weite Reisen, besuchte all die Freunde, die sie im Laufe des Berufslebens gewonnen hatte, bis sie ein wenig müde wurde. Von Einsamkeit sprach sie nie in ihren letzten Jahren, sie war nicht wehleidig, nie gewesen. Sie schwand dahin, feierte die kleinen Freuden, das unverhoffte Erinnern an Ereignisse, die längst aus dem Gedächtnis entglitten schienen. „Ich kann sagen“, schrieb sie stolz einem Freund, „bei einer Wiedergeburt würde ich auch das gleiche Leben noch einmal mitmachen.“

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