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Zuerst fremdelt man, dann beginnt der Spaß. Tagesspiegel-Autorin Nicola Kuhn wollte unbedingt Urlaub in einem Schweden-Häuschen machen und hat dadurch den Wohnungstausch als neue Reisemöglichkeit entdeckt.

© imago/Westend61

Urlaub per Wohnungstausch: Ferien wie in Bullerbü

Verreisen mit der ganzen Familie ist kostspielig: Unsere Kolumnistin tauscht deshalb jeden Sommer ihre Schöneberger Wohnung gegen ein anderes Urlaubsdomizil in Europa – und lebt bei Leuten, die sie nur über das Internet kennt.

Vor genau zehn Jahren fing es an, mit den ersten Sommerferien unserer Kinder. Schweden sollte es sein, Pippi-Langstrumpf-Land. Aber dann traf uns der Schlag, als wir die Tarife für die netten kleinen Holzhäuser kennenlernten, die dort so romantisch und bescheiden an den Schären stehen. Drei Wochen lang wollten wir Blaubeeren pflücken, schwimmen gehen, Mücken vertreiben, aber nicht unsere Urlaubskasse immer wieder von vorne abzählen.

Der Tipp einer Freundin war das Geschenk des Himmels: einfach die Wohnung tauschen. Eine schwedische Familie würde bei uns einziehen, und wir würden dafür umgekehrt in ihrem entzückenden Häuschen Quartier nehmen. Unsere Freundin, an deren Wänden durchaus Kostbarkeiten hängen, hatte da schon beste Erfahrung gemacht und ihr unumstößliches Vertrauen in die wechselnden Partner immer bewahrt. Nie war etwas passiert.

Wir haben es dann auch gewagt und betreiben seitdem Wohnungstausch immer für eine Woche in den Sommerferien, manchmal auch noch über Ostern oder ein Wochenende im Herbst. Man könnte uns also als Profis bezeichnen, von unserer Tauschagentur haben wir bereits die Auszeichnung Gold erhalten. Auf deren Webseite zeigen wir wie alle anderen Mitglieder, die eine Jahresgebühr von 130 Euro zahlen, Fotos vom Haus und der Wohnung, nennen die Zimmerzahl, die Nähe zum nächsten Schwimmbad, die Einkaufsmöglichkeiten in der Nachbarschaft und schwärmen ein wenig von den Schönheiten einer Berliner Altbauwohnung, um Interessenten neugierig zu machen.

Der Trick: Beide Seiten wollen, dass die Wohnung unbeschadet bleibt

Vermutlich wäre das gar nicht nötig, denn jedes Jahr im Januar, wenn die große Urlaubsplanung anrollt, werden wir mit Anfragen überhäuft. Ein weiterer Schub erfolgt immer kurz vor den Sommerferien. Da haben wir unseren Tauschpartner glücklicherweise längst gefunden, schreiben nur noch höfliche Absagen und fangen langsam an, abgelaufene Lebensmittel aus den Küchenregalen zu entfernen und in den Zimmern Liegengebliebenes aus den letzten Wochen wegzusortieren. Tatsächlich gehört die große Aufräumerei, die zu Kofferpacken und Reisevorbereitung dann auch noch kommt, zu den wenigen Nachteilen eines Tauschs.

Der Effekt ist dafür eine strahlende Wohnung – und siehe da, wir haben sie bisher immer genauso wieder vorgefunden. Manchmal hätten wir bei unserer Rückkehr auf den ersten Blick gar nicht gemerkt, dass jemand in der Zwischenzeit bei uns weilte, stände da nicht ein Strauß Blumen auf dem Tisch mit einigen Dankeszeilen, manchmal auch langen begeisterten Beschreibungen, wie es in Berlin gewesen ist. Genau darin besteht der Trick des Wohnungstauschs – beide Seiten sind daran interessiert, die eigenen vier Wänden wie verlassen wieder zu übernehmen, jeder geht umso pfleglicher mit Mobiliar, Geschirr, Wäsche des anderen um.

Die größte Überraschung ist jedes Mal das Quartier: Wie wird es sein, in welcher Umgebung liegt es genau, wer sind die Nachbarn? Das ersehnte Schwedenhäuschen vom ersten Jahr war am Ende ein gläserner Siedlungsbau aus den siebziger Jahren, dafür mitten im Feriengebiet, ganz nah am Strand. Eine ältere Dame war unsere Tauschpartnerin, die ein Faible für Spiegel, silberne Leuchter, Häkeldeckchen und weiße Sofas besaß. Nur anfangs machte uns das nervös angesichts unserer vierjährigen Zwillinge, die sich traumwandlerisch dazwischen bewegten, aber alles tadellos umkurvten.

Am Anfang fremdelt man, dann beginnt der Spaß

Seitdem sind wir kreuz und quer in Europa unterwegs gewesen, in England, Irland, Spanien, Frankreich, Dänemark, Holland, Griechenland, Belgien und Italien. Jedes Mal erlebten wir das gleiche Wechselspiel der Gefühle. Am Anfang fremdelt man in der Wohnung der anderen Familie, die man persönlich ja gar nicht kennt, aber in deren Betten man nun mal liegt. Irgendwann lässt die Scheu nach, hat man sich akklimatisiert. Da ist der Unterschied zu einem gemieteten Ferienquartier nicht allzu groß – auch hier muss man sich erst eingewöhnen.

Aber dann beginnt der Spaß. Nirgends sonst kommt man so dicht an die Menschen der Umgebung heran, die selbst neugierig auf ihre neuen Nachbarn sind. In Roskilde lernten wir die Bewohner einer Kommune kennen, in London kletterte ein Freund von gegenüber geübt durch unser Fenster, weil wir die Haustür nicht mehr aufbekamen. In San Sebastian durften wir mit den Schlägern der Söhne das baskische Pelota im benachbarten Park spielen und konnten anschließend mit ihren Rädern zum Schwimmen im Atlantik den Berg runtersausen. Bei unserem zweiten Schwedenaufenthalt gehörte ein Boot zum Haus, in Griechenland stiegen wir schon am Flughafen in den Wagen unserer Tauschpartner ein, um zu ihrem einsam gelegenen Ferienhaus an der Küste zu gelangen. Großartig sind jedes Mal die sehr persönlichen Hinweise, wo man in der Umgebung essen gehen, einen Markt besuchen kann, welche verwunschenen Spazierwege und abseitigen Attraktionen es gibt. In einem Reiseführer sind solche Spezialtipps selten zu finden.

Auf diese Weise rückt man seinen Gastgebern ungeheuer nahe und hat doch in den seltensten Fällen unmittelbaren Kontakt miteinander, schließlich kreuzen sich die Wege nur im Irgendwo auf der Autobahn oder in der Luft. Zugleich bleibt immer eine gewisse Scheu zurück, dem anderen real zu begegnen, von dem man glaubt, eine Menge zu wissen, zumindest was die Vorlieben der häuslichen Einrichtung, der Lektüre und der Mahlzeiten betrifft. Man könnte sich als Eindringling ertappt fühlen, so die diffuse Befürchtung.

Nur einmal ist es uns passiert, da standen wir in der Türe, und unsere Gäste aus Venedig waren zur gegenseitigen Überraschung noch da, weil ihr Flieger erst sehr viel später ging – ein wunderbarer Moment. Nachdem wir unsere Koffer abgestellt hatten, wurden wir in unsere eigene Wohnung zu einem hervorragenden italienischen Mittagessen eingeladen und konnten unsere Erlebnisse direkt austauschen. Ein temperamentvolles Kauderwelsch aus Deutsch-Englisch-Italienisch beherrschte das Tischgespräch. Beim nächsten Mal, wenn wir wieder nach Venedig kämen, das mussten wir versprechen, sollten wir uns bei ihnen melden. Den Weg würden wir ja kennen, ein Gästebett gäbe es immer. Gerne auch, wenn sie selber zu Hause sind. Mal schauen, vielleicht beim nächsten Mal. In diesem Sommer geht es erst einmal in den Norden, nach Schottland.

Mehr Artikel rund um das Thema Familie finden Sie auf unserer Themenseite Familie auf Tagesspiegel.de.

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