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Hauptsache gesund. Die Studentin Julia Palliwoda hat für ihre Masterarbeit in Stadtökologie untersucht, wie Stadtmenschen ihre Parks nutzen. Im Schlosspark Charlottenburg und im Treptower Park kam sie zu erstaunlichen Ergebnissen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Urbane Kräutergärten: Meine essbare Stadt

In Parks findet man die leckersten Kräuter und Beeren. Eine Studentin hat diesen gar nicht seltenen Sammeleifer untersucht. Ganz legal ist er nicht.

Ein paar Leute sind gleich geflüchtet – aus Angst vor Knöllchen. Dabei sollte es nur um Knollen, Kraut und Knospen gehen, im Dienst der Wissenschaft: Für ihre Masterarbeit in Stadtökologie wollte Julia Palliwoda herausfinden, wie Stadtmenschen ihre Parks nutzen. Zwölf Mal zwei Stunden hat sie dazu an zwei vorher ausgewählten Flächen im Schlosspark Charlottenburg und im Treptower Park verbracht – beides Wiesen, die von Büschen umrahmt sind und nur selten gemäht werden. Und siehe: Von rund 500 beobachteten Menschen „haben zwölf Prozent mit den Pflanzen interagiert“, erzählt Palliwoda. Also rund 60 Personen, die im Park mehr wollten als nur spazieren oder joggen.

89 Pflanzenarten hat Palliwoda in Charlottenburg protokolliert, 84 in Treptow. 26 davon hätten die Besucher genutzt. Die meisten machten sich erwartungsgemäß über die Johannisbeeren her, die im Schlosspark am Rande der gewählten Wiese reiften. Die für

Tee sowie zum Essen und als Heilmittel geernteten Brennnesseln schafften es auf den zweiten Platz vor Löwenzahn, der als Salat und Tierfutter beliebt war.

Sogar Kräutergruppen durchstreifen die Parks

„In beiden Parks habe ich je eine Kräutergruppe getroffen“, berichtet Palliwoda. „Die in Charlottenburg traf sich sogar regelmäßig zum Frühstück.“ Und es gibt eine Homepage, die allerdings eine unbefristete Zwangspause meldet, weil die Schlösserstiftung als Hausherrin die Aktion unterbunden habe. Erlaubt ist die Entnahme von Pflanzen laut Berliner Grünanlagengesetz in keinem Park; bei Zuwiderhandlung droht Bußgeld bis 5000 Euro. Daher wohl der Fluchtreflex mancher Angesprochener.

Dabei kann Julia Palliwoda nur Gutes über ihre Forschungssubjekte berichten: „Eigentlich hat niemand völlig unbedacht etwas rausgerissen. Viele hatten extra eine Schere mit.“ Dabei sei das Publikum durchaus gemischt gewesen, allerdings klar weiblich dominiert. Pragmatiker seien dabei gewesen, die einfach das Geld für teure Kräuter aus dem Bioladen sparen wollten. Oder Freizeitheilkundler, die Schöllkraut gegen Warzen suchten. Ein älteres russischstämmiges Paar hatte es auf die Blätter der Johannisbeersträucher abgesehen für Tee, drei Hobbyfotografen teils mit Profi-Ausrüstung fotografierten Blüten, ein Mann begleitete seine thailändische Frau, die das Sammeln aus ihrer Heimat gewohnt war. Eine Iranerin sammelte Cornelkirschen für Marmelade, wie sie es aus ihrer Heimat kannte. Beliebt gewesen sei auch der in Berlin besonders verbreitete Wunderlauch, den mehrere Sammler allerdings für Bärlauch hielten. Und natürlich der Wiesenstorchschnabel mit seinen zarten blauen Blüten, den mehrere für Sträuße pflückten. Im Geplauder mit der Kräutergruppe kam die Wissenschaftlerin sogar auf 59 genutzte Arten aus öffentlichen Grünanlagen – Pilze gar nicht mitgezählt.

Ost und West unterscheiden sich in der Parknutzung kaum

Grundsätzlich sei das Geschehen in beiden Parks nicht allzu unterschiedlich gewesen. Sie hatte fürs „Casting“ bewusst zwei alte und entsprechend artenreiche Parks ausgewählt – einen im Osten und einen im Westen, wobei die Nutzung sich kaum unterschied. Höchstens sei der medizinische Aspekt im Treptower Park etwas wichtiger gewesen und in Charlottenburg eher die gesunde Ernährung.

Moritz von der Lippe, der als Wissenschaftler am Institut für Ökologie der Technischen Universität das Projekt begleitet hat, sieht es als Basis für weitere Forschung auf diesem in Europa erst wenig beackerten Feld. „In der Stadt trifft die Vielfalt von Menschen auf eine Vielfalt von Pflanzen.“ Das Thema habe er mit sich herumgetragen, seit er vor Jahren in Charlottenburg türkische Familien beim Sammeln von Schlangenlauch gesehen habe. Allein der Einfluss des kulturellen Hintergrundes wäre ein eigenes Projekt wert: Sammeln Berliner mit ausländischen Wurzeln ganz andere Gewächse als „Ureinwohner“? Woher komme das botanische Wissen? Viel wisse man noch nicht. Aber die „essbare Stadt“ als Thema sei im Kommen. Von der Lippe würde auch gern den resultierenden Schaden für die Natur untersuchen, der sich dem bisherigen Anschein nach ja in Grenzen hielt. Vielleicht könne man das Pflanzensammeln legalisieren, sagt er. Damit künftig niemand mehr vor einer freundlich fragenden Studentin flüchtet.

Natur als App

Das Reich von Flora und Fauna mit der Welt des Digitalen verknüpfen – dazu braucht es heute nicht viel mehr als die passende App. Das Museum für Naturkunde hat nun „Naturblick“ herausgebracht, eine App zur Erkundung der Berliner Natur – ein mit Bundesmitteln unterstütztes Projekt.
Die neue Smartphone-App will besonders jungen Erwachsenen einen digitalen Zugang zur Natur öffnen. Bäume, Kräuter, Wildblumen, Vögel, Amphibien, Säugetiere und Reptilien sollen sich so leicht bestimmen lassen. Vogelstimmen können sogar aufgenommen und automatisch erkannt werden. Eine Kartenfunktion zeigt Naturorte in der Nähe, die zum Erkunden oder Verweilen einladen. Die App ist Teil des Projekts „Stadtnatur entdecken“. Sie lebt vom Feedback seiner Nutzer und soll mit deren Hilfe weiterentwickelt werden.

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