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Hier grünt es üppig - in gut 300 Pacht- und Gemeinschaftsbeeten in selbstgezimmerten Kisten.

© Kitty Kleist-Heinrich

Urban Gardening in Berlin-Wedding: Im Himmelbeet grünt's aus allen Kisten

Gärtnern auf Wolke Sieben mitten in Berlin - in einer großen Baulücke ist das Wirklichkeit. Es ist ein Projekt für alle, die ein neues Miteinander suchen. Sein Name: Himmelbeet. Stress bleibt draußen.

Diese Hektik! Im Rücken tost der Verkehr am Leopoldplatz vierspurig, ein Schaufelbagger rasselt und quietscht und reißt ein Loch in den Rand der Schulstraße. Staub wirbelt auf, Passanten sprinten vorbei. Nur noch ein bisschen durchhalten. Ein paar Meter sind es noch bis zur Toreinfahrt in der Ruheplatzstraße. »Willkommen« steht da auf einer farbenfrohen Tafel. »Bienvenue«, »Bienvenidos«, »hosgeldiniz«.

Vorbei all der Lärm, hier warten kleine Fluchten. Mehr als 200 Freizeitgärtner haben seit 2013 eine riesige Baulücke mitten im Weddinger Brennpunkt mit Schönheit gefüllt. Der Oase gaben sie einen abgehobenen Namen: »Himmelbeet«.

Gepflanzt wird an dieser öffentlichen grünen Begegnungsstätte in nahezu 300 quadratischen oder rechteckigen selbstgezimmerten Kästen aus massiven Holzbrettern. Jeder kniehoch, etwa eineinhalb Quadratmeter groß, gefüllt mit dunkler Erde, teils vom eigenen Kompost. In langen Reihen stehen die Kästen nebeneinander. Himmelbeete in Bodennähe, im Fachjargon: »mobile Hochbeete«. Dazwischen schmale Fußwege. Rundherum, an den Rändern des Geländes, sind noch mehr aufgereiht. Es grünt aus allen Kisten.

Schön üppig, das Kräuter-Sextett für "Frankfurter Grüne Sauce"

Der Dill steht hoch im weit verzweigten Kraut, kräftig gerippte, breite Mangoldblätter neben Spinat und Pflücksalat. Pimpinelle, Borretsch, Kerbel, Sauerampfer, Schnittlauch und Petersilie sind gut im Wuchs; in zwei Kästen gleich am Eingang gedeiht das Kräuter-Sextett. »Frankfurter Grüne Sauce« hat jemand auf ein Schildchen geschrieben. Hessen ist überall.

Am Willkommensschild des Interkulturellen Gemeinschaftsgartens steht Jonas Flötotto und erklärt zwei US-Touristen, wie Urban Gardening in Wedding organisiert wird. Flötotto, 28 Jahre alt, ein sportlicher Typ, hat Sozialwissenschaften studiert, doch nach seiner Abschlussarbeit überkam ihn die Lust auf Natur, »auf blühende grüne Freiräume in der Stadt«, wie er sagt.

Seit einem Jahr gehört er zum kleinen, fest angestellten Team der gemeinnützigen Himmelbeet GmbH, ist deren Sprecher, kümmert sich um Organisatorisches und hat dabei sein Talent zum Gärtnern entdeckt. Neben dem harten Kern sind weitere Mitarbeiter im Rahmen eines freiwilligen ökologischen Jahres fürs Himmelbeet aktiv oder absolvieren dort Praktika, zum Beispiel als angehende Sozialarbeiter. Außerdem gibt es viele ehrenamtliche Helfer aus der Nachbarschaft und dann die große Schar der rund 170 Beetpächter.

Etliche der Minigärten sind Gemeinschaftsbeete

Etwa 60 Euro zahlen sie pro Saison für einen Kasten. Der Andrang ist groß, es gibt eine Warteliste. Wer nachrückt, hängt nicht von der Wartezeit ab. »Die Glücklichen werden ausgelost«, sagt Flötotto.

Im ersten Urban-Gardening-Projekt im Nordwesten Berlins sät und pikiert, gießt und erntet nicht nur jeder für sich selbst. Etliche der Minigärten sind Gemeinschaftsbeete. Davon werden einige an Kitas, Seniorenclubs, Behinderten-Werkstätten und soziale Kiez-Initiativen gratis vergeben oder für besondere Garten-Projekte genutzt, beispielsweise mit Flüchtlingen aus einer nahen Unterkunft. »Andere Beete betreuen wir hier zusammen«, sagt Jonas Flötotto. »Wer Lust hat, macht einfach mit.« Das unterscheide urbanes Gärtnern von konventionellen Schreber-Kolonien.

Das Himmelbeet-Café - aus Paletten und anderen Hölzern gebaut. Es gibt phantasievolle vegetarische Gerichte, Tee wird aus frisch gepflückten Kräutern gebrüht.
Das Himmelbeet-Café - aus Paletten und anderen Hölzern gebaut. Es gibt phantasievolle vegetarische Gerichte, Tee wird aus frisch gepflückten Kräutern gebrüht.

© Kitty Kleist-Heinrich

Die Kisten-Kolonie ist gut organisiert. Täglich ab zehn Uhr sind Leute da, die Ahnung vom Pflanzenziehen haben und Tipps geben können. Was auf den Gemeinschaftsgärten gedeiht, wird in der Küche des Himmelbeet-Cafés verarbeitet oder günstig zum Kauf angeboten. Jeder hat die Wahl: Den dicksten Kopfsalat, die dicksten Lauchstangen kann man selber aussuchen, abschneiden, einpacken. Was die Saison gerade bietet, steht auf einer Kreidetafel. »Ernte heute: Rucola, D 6; Radieschen F 2; Blattstielgemüse, I 3.« Es herrscht Ordnung im Himmelbeet, jeder Kasten im Raster ist gekennzeichnet.

Auf dem Dach des Cafés stehen die Bienenstöcke

Zwischen tiefblauen Borretschblüten summen die Bienen. Sie haben es nicht weit zu ihren Völkern auf dem Flachdach des Himmelbeet-Cafés. Da oben stehen sechs Bienenstöcke. Dazwischen bewegt sich bedächtig ein Mann mit Handschuhen und weißer Schutzhaube. Matthias Krümmel, der Imker, begutachtet schwer umschwirrt Wabe um Wabe. Das Produkt seines Hobbys steht im Café am Tresen: Himmelbeet-Honig.

Im Frühjahr 2015 haben sie das Café eingeweiht. Es ist ein außergewöhnlicher Pavillon mit Wänden aus Stampflehm und hölzernen Europaletten. Inken Erdmann, 33, schmeißt hier den Service. Das war eigentlich nicht ihr Plan, als sie das Studium der Orientwissenschaft vor ein paar Jahren beendete. Aber inzwischen gehört sie zum hauptamtlichen Team. Selbst anbauen, ernten, Speisen fürs Café zubereiten, das ist jetzt ihre Leidenschaft. Gartenstullen mit Ringelblumen- und Möhrengrünpesto stehen auf der Speisekarte, Gemüse-Quiche oder Möhrchenkuchen. Bestellt ein Gast auf der Terrasse marokkanischen Minztee, läuft Inken Erdmann erst mal zu den Beeten rüber. Frisch gepflückt wird das Kraut überbrüht.

Es duftet intensiv nach Toskana und Provence

Von der erhöhten Terrasse aus überblickt man am besten das rund 1700 Quadratmeter große Weddinger Grüngelände. Es duftet intensiv nach Toskana und Provence. Thymian, Rosmarin, Basilikum und Salbei wachsen gleich neben den äußeren Tischen, hohe Rhabarberstangen, Erbsen, Kohlrabi und alte, aus der Mode gekommene Gemüsesorten wie die spinatähnliche Rote Melde, der Berliner Gelbe, ein milder Salat, oder Kartoffeln wie die Bamberger Hörnchen.

Himmelbeet, das ist auch Kinderland. An einer Wegkreuzung stehen blaue Kinderbadewannen und Kisten mit Gartenspielen, falls Eltern sich mal nur ihren botanischen Zöglingen widmen wollen. Ein Wegweiser zeigt die Richtung zu Pacht- und Gemeinschaftsbeeten. Zwei Mädchen ziehen einen Leiterwagen, bepflanzt mit Bienenweideblumen, ihr »Wanderbeet«. Und vor dem Beetkasten Nummer H 7 versuchen Jorinka Hinrichsen, 22, und Malte Groß, 23, Ordnung in ihre kleine, wuchernde Welt zu bringen. Karotten- und Pastinakenkraut wachsen wieder mal chaotisch ineinander. Tief beugen sich die beiden über ihren gepachteten Kasten. Malte sagt: »Selbstversorgung ist das nicht, aber ein Riesenspaß.«

Das Glück ist nah.
Das Glück ist nah.

© Kitty Kleist-Heinrich

Ein paar Schritte weiter schauen Claudia Vannoni, 43, und ihr sechsjähriger Sohn Ernesto an ihrem »Multikulti-Gemüsebeet« nach dem rechten. Multikulti? »Ja«, sagt die Italienerin, »wir haben hier auf eineinhalb Quadratmetern einen tollen Mix untergebracht«. Acht verschiedene Gewächse, Erdbeeren neben Feldsalat und Brokkoli, Chinakohl neben Lauch, Wurzelgemüsen und sogar eine Kartoffelpflanze. Die beiden wohnen um die Ecke, haben das Beet seit drei Jahren. »Ernesto hat hier erstmals gesehen, wie aus dem Samenkorn Leben kommt«, erzählt Claudia Vannoni und deutet auf das Treiben um sie herum. »Hier ist man nie allein, viele kennen sich, sind Freunde geworden. Gärtnern verbindet.«

Pestizide sind im Weddinger Gärtnerhimmel unerwünscht

Das ist die Idee dieses naturbezogenen Mehrgenerationenprojektes im Weddinger Gärtnerhimmel. Es geht um ein soziales und ökologisches Miteinander – und um Freiräume, für die in der Stadt anderswo kaum Platz ist. Im Frühjahr wünschte sich ein junger Nachwuchsgärtner eine »Wurmkiste«, um spezielle Kompostwürmer zu züchten. Die Kiste steht jetzt im Schatten zwischen fünf Komposthaufen am Zaun zur Schulstraße. Hinter dem Zaun halten Passanten kurz an, begucken das Biotop in der Baulücke als sei es von einem anderen Stern.

Einige Regeln müssen die Himmelbeet-Gärtner beherzigen: chemische Dünger, Pestizide und Herbizide sind unerwünscht, auch torfhaltige Erde und Hybridsaatgut. Stattdessen werden Komposterden gemixt, Giersch oder Ackerwinde ausgezupft, wird Brennnesseljauche gegen Läuse angesetzt und ausgebracht.

Ursprünglich sollten alle Pflanzkisten auf ein Parkdeck

Aus der Vision hat sich in nur drei Jahren ein Vorzeigeprojekt entwickelt. Dennoch ist das Himmelbeet noch weitaus weniger bekannt als etwa der Kreuzberger Prinzessinnengarten oder das Allmende-Kontor auf dem Tempelhofer Feld. Ursprünglich war das Weddinger Vorhaben ganz anders geplant: Es sollte in 22 Metern Höhe auf dem obersten Parkdeck des Schiller Park Centers am U-Bahnhof Seestraße entstehen, dem Himmel so nah. Der Plan scheiterte an brandschutztechnischen Anforderungen. Danach legten die ersten Aktivisten im Kiez am Leopoldplatz auf ebener Erde los. Ihr Projekt erwies sich als echte Berliner Pflanze: Es gedieh prächtig.

Kistenweise Gärtnerfreuden.
Kistenweise Gärtnerfreuden.

© Kitty Kleist-Heinrich

Vielleicht kommt das Himmelbeet in den kommenden Jahren ja doch noch an seinen Wunschort hoch droben. Auf dem jetzigen Gelände will die Oliver-Kahn-Stiftung zusammen mit dem Verein Amandla EduFottball e. V. einen »Safe-Hub« errichten, eine Bildungseinrichtung mit Fußballplatz, in der Kinder und Jugendliche gefördert werden. Der Bezirk Mitte unterstützt das Vorhaben, er will zusätzlich in der Baulücke an der Ruheplatzstraße eine eigene Sporthalle errichten.

Abstieg von Wolke Sieben - ins Verkehrsgewühl

Als das bekannt wurde, herrschte helle Aufregung im Himmelbeet. Doch inzwischen hätten am runden Tisch alle Beteiligten eine gute Lösung gefunden, sagt ihr Sprecher Jonas Flötotto. Falls diese Pläne konkret werden, soll das Himmelbeet einen dauerhaften Platz auf dem Dach der neuen Bezirkssporthalle erhalten. Ein einladendes Stückchen Garten müsse allerdings unten am Eingang zum Lift bleiben, um auch Besucher anzulocken. »Sonst sind wir auf dem Dach zu weit weg von den Menschen.«

Die Abendsonne macht sich gerade rar hinter den Wolken. Auf dem Dach des Cafés kehren die letzten Bienen heim. Jorinka und Malte haben ihre Pastinaken geordnet, Ernesto und seine Mutter stecken sich noch rasch ein paar Erdbeeren in den Mund. Es wird still im Himmelbeet. Die Gärtner packen ihre Rucksäcke randvoll mit Gemüse und beginnen mit dem Abstieg – von Wolke sieben ins Weddinger Verkehrsgewühl.

Mehr Infos gibt's im Internet: www.himmelbeet.de

Der Text übers "Himmelbeet" ist dem Tagesspiegel-Magazin "Garten - Berlin wird grün" entnommen.

Das Magazin ist für 6,50 Euro im Zeitschriftenhandel oder im Tagesspiegel-Shop im Verlagshaus am Anhalter Bahnhof erhältlich.

Oder online im Tagesspiegel-Shop unter: www.tagesspiegel.de/shop

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