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Prächtiges Baumscheibenbeet auf dem Tuchollaplatz in Lichtenberg. Die Frage ist nur, wie lange es so prächtig bleibt - kontinuierliche Pflege ist selten bei Guerilla-Gärtnern.

© Henning Onken

Urban Gardening in Berlin: Ihr Möchtegärtner!

Früher schreberte man hinter Thuja-Hecken – heute verwirklichen sich Stadtgrün-Revolutionäre auf Baumscheiben im Kiez. Doch was mit Elan, Narzissen und Narzissmus beginnt, scheitert zu oft. Eine Polemik gegen Urban Gardening.

Hurra, der Frühling ist da! Anstatt die teure Miete in der Bude abzusitzen, drängt es die Berliner ins Freie. Es wird umgegraben, geharkt, gepflanzt und gewässert, was das Zeug hält. Seit Generationen zelebrieren die Städter ihre Erdverbundenheit – besonders gern auf der Schreberparzelle, die sich wahlweise in der Kolonie „Morgengrauen“, „Marienfelder Scholle“ oder „Fröhliche Eintracht“ befindet. Das ist nicht jedermanns Sache, aber zum Glück steht meist eine Buchsbaum- oder Thuja-Hecke davor. Die sorgt dafür, dass die Laubenpieper und jene, die aufs Piepen pfeifen, sich nicht zuschauen müssen bei dem, was der andere tut. Das entspannt.

Seit einigen Jahren gibt es aber auch die „Ich-gärtnere-euch-mal-was-vor“-Fraktion. Bevorzugt an Frühlingstagen macht man sich mitten in der Stadt über öde Baumscheiben und sonstige bezirklich vernachlässigte Flächen her. Männer, Frauen und angestiftete Kinder brechen die harte Scholle aus Sand, Streusplitt und Hundeexkrementen auf. Sie grubbern, hacken und pflanzen: Hornveilchen, Tausendschönchen und Hyazinthen. Und Sonnenblumenkerne, für später.

In vielen Fällen ist das Ergebnis zunächst wirklich schön anzuschauen, Danke! Aber wer kümmert sich nun drum? Im Gegensatz zum Graffiti braucht ein Beet Pflege, damit es farbenfroh bleibt.

Die Beobachtungen der vergangenen Jahre zeigen: Die Initiative erlahmt bald. Manche Stadtbegrüner halten bis Mai durch, manche bis Juli, nur wenige schaffen’s bis zum Winteranfang. Die Sonnenblumen kommen gar nicht erst hoch, und die übrigen Pflanzen lassen erst die Köpfe hängen und liegen bald verdorrt auf der Krume. Mitten im einstigen Gärtnerglück gammeln Kaffeebecher, Bonbonpapier und Kippen. Mit den rücksichtslosen Vollidioten, die ihren Unrat in ein mühevoll angelegtes Beet schmeißen oder frisch gepflanzte Blumen klauen, ist in der Stadt zu rechnen. Doch es gehört eben auch zur Aufgabe des Gärtners, sein Pflanzareal dauerhaft in Schuss zu halten.

Im Gegensatz zum Graffiti braucht ein Beet Pflege, damit es farbenfroh bleibt – auch über den Mai hinaus

Zumindest manche Eintagsgärtner erwecken aber eher den Eindruck, dass es ihnen nicht so sehr um die dauerhafte Rettung einer Baumscheibe geht, sondern darum, sich an selbiger kurzfristig zu produzieren. Mit großen Worten und Gesten wird die Kiezrevolution ausgerufen, bis das mitgebrachte craft beer ausgetrunken ist. Die Drecksarbeit mögen dann andere machen – schließlich ist das Beet ja ein „Gemeinschaftsprojekt“ und steht in der „Verantwortung“ aller im Kiez.

Davon, dass sich nicht immer – und vor allem nicht für immer – Menschen finden, die einen Baumscheibengarten ernsthaft pflegen, zeugen die Ruinen vergangener Guerilla-Gardening-Aktionen. Einfassungen aus gammeligen Birkenstämmen, die mit Stahlwinkeln aufs Hässlichste verbunden sind und inzwischen nichts mehr als nackte Erde einrahmen. Pflanzungen aus einer anderen Zeit, die heute ein Zwischending zwischen Komposthaufen und Totholzhecke darstellen. Und die selbstgestrickte Manschette für Stamm und Baumschutzbügel: Beim ersten Anblick fiel einem nur das Wort „bemüht“ ein, inzwischen ist es „alter Topflappen“. Da wäre es besser gewesen, die berlinische Tristesse als solche belassen zu haben. Jetzt sieht es noch schlimmer aus – der übliche Straßensiff, verziert mit Kiezkompost.

Jaja, ich weiß, ich bin ein Kleingeist und habe keine Ahnung von der gesellschaftlichen Vision, die sich in angeeigneten Baumscheiben und Gemeinschaftsgärten wie dem auf dem Tempelhofer Feld Bahn bricht. Lesen wir doch mal, was man im Netz über diese Gärten schreibt: „Sie stellen und beantworten zentrale Fragen der urbanen Gesellschaft: zu sozialer, kultureller und biologischer Vielfalt, partizipativer Stadtgestaltung, Stadtökologie, Versorgung und Konsum, Bildung, Bewegung, Ernährung und Gesundheit, Solidarität, Integration und bürgerschaftlichem Engagement.“ Mag alles sein. Aber an dem Rott in meiner Nachbarschaft interessiert mich weder Frage noch Antwort.

Übrigens, ich selbst gärtnere auch. Auf dem Balkon und im Kleingarten. Weil es mir Spaß macht. Mir reicht das zur Begrün(d)ung.

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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