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Eine Buddha-Statue im Garten des Buddhistischen Hauses am Edelhofdamm

© Jens Mühling

Unterwegs in Berlins Ortsteilen: Wo die Reichen meditieren

96 Ortsteile hat die Stadt. Unser Kolumnist bereist sie alle – von A wie Adlershof bis Z wie Zehlendorf. Mühling kommt rum, Teil 25: Frohnau.

Am Zeltinger Platz in Frohnau gibt es eine Butter-Lindner-Filiale, einen Zigarrenladen mit Humidor, ein Maklerbüro, das Einfamilienhäuser auf Madagaskar und Baugrundstücke an der Ägäisküste im Angebot hat, sowie ein Nobel-Bistro, in dem ich zwei ältere Damen beim Tischgespräch belauschte. „Manche mögen ja kein Fett“, sagte die eine. „Versteh ich gar nicht, ich kann nicht genug davon kriegen. Die weißen Stücke vom Suppenfleisch! Die Kruste von der Schweinshaxe! Das Schwabbelige vom Eisbein! Der Fettkern vom Entrecôte! Köstlich, einfach köstlich!“

Frohnau ist so etwas wie das Fettauge des Berliner Nordwestens. Das war schon so, als um 1910 herum die ersten metropolenmüden Besserverdiener ihre Villen in die sanft gewellte Landschaft setzten. Staunend lief ich durch die pittoresk gewundenen Pflasterstraßen, an deren Rändern immer mal wieder ein geparkter Porsche stand, ein sorgfältig gepflegter VW Käfer oder ein offenes Cabrio mit lässig auf dem Sitz drapiertem Kaschmirpulli. An den Gartentoren standen statt Namen oft nur diskrete Initialen: „O.M.“, „F.H.“, „G.S.“. Mein Favorit war ein Schild in der Wiltinger Straße, das deutlich zu buchstabieren schien, wie Frohnau tickt: „Dr. D.G.“

Am Poloplatz zupfte eine Dame ihrem Terrier Kletten aus dem Fell. Nein, sagte sie, Polo werde hier schon länger nicht mehr gespielt. „Dafür braucht man spezielle Pferde. War wohl zu teuer, die hier zu halten.“ Als ich fragte, ob die Frohnauer etwa ärmer geworden seien, schüttelte sie mit einem ironischen Lächeln den Kopf. „Da machen Sie sich mal keine Sorgen, junger Mann.“ In jüngerer Zeit, erzählte sie, sei im Ortsteil die „Unsitte“ eingerissen, die riesigen Gärten der alten Villen zu unterteilen und mit erschwinglicheren Häusern zu bebauen. Dagegen mache jedoch ein örtlicher Bürgerverein Stimmung. „Die wollen, dass auch weiterhin nur die wirklich Reichen hierherziehen“

Angewidert entschied ich, dem materialistischen Frohnau den Rücken zu kehren, und betrat das Buddhistische Haus am Edelhofdamm, eine japanisch anmutende Villa, die hier in den 20er Jahren der Arzt und Schriftsteller Paul Dahlke bauen ließ. Im Garten lackierte ein orange gewandeter Mönch mit meditativen Pinselstrichen einen Blumenkübel, daneben saßen zwei Frauen, deren konzentrierte Blicke zwischen den Zeichenblöcken auf ihren Knien und dem Pagodendach eines Tempels hin- und herwanderten.

Am Eingang des Tempels lag ein „Lebendfänger“ aus, mit dem man Insekten buddhistisch korrekt fangen und freilassen kann, ohne sie zu töten. Ich lief mit dem kleinen Plastikgerät durch den dunklen Tempel, aber nirgends waren Insekten zu sehen, jemand musste mir zuvorgekommen sein. Am Ende setzte ich mich auf den Boden und versuchte, so zu meditieren, wie es auf einem Plakat am Eingang erklärt wurde, nämlich ohne an die Vergangenheit oder die Zukunft zu denken, an Freunde oder Angehörige, an Bücher, Politik, Beruf, Reisen „und sonstige banale Angelegenheiten“. Ich schaffte es tatsächlich, das alles zu verdrängen – nur den blöden Lebendfänger, den bekam ich einfach nicht aus dem Kopf. Wäre der Lebendfänger nicht gewesen, wer weiß, vielleicht wäre ich in Frohnau aus dem ewigen Kreislauf des Leidens geschieden.

Fläche: 7,8 km² (Platz 48 von 96)

Einwohner: 16 782 (Platz 62 von 96)

Durchschnittsalter: 48,6 (ganz Berlin: 42,7)

Lokalpromis: Reinhard Mey (Liedermacher), Frank Steffel (CDU-Politiker)

Gefühlte Mitte: Zeltinger Platz

Alle Folgen: tagesspiegel.de/96malberlin

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