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Wael Thib kümmert sich im Falafel-Bus um das leibliche Wohl der Weddinger und ihrer Gäste.

© Jens Mühling

Unterwegs in Berlins Ortsteilen: Wedding: Wo Veganer wütend werden

96 Ortsteile hat die Stadt. Unser Kolumnist bereist sie alle – von A wie Adlershof bis Z wie Zehlendorf. NR. 89: Wedding.

Fläche: 9,23 km² (Platz 39 von 96)
Einwohner: 84.890 (Platz 11 von 96)
Durchschnittsalter: 38,9 (Berlin: 42,7)
Lokalpromis: Rudolph de Weddinge (Gutsgründer), Ernst Schering (Unternehmensgründer)
Gefühlte Mitte: Leopoldplatz

Vorweg: Die alte Frage, welche Präposition zum Ortsteil Wedding gehört, kann auch dieser Text nicht letztgültig beantworten. Hier eine Liste der üblicherweise diskutierten Varianten, in der gefühlten Reihenfolge ihrer Beliebtheit: 1. im Wedding; 2. auf dem / uff'm Wedding; 3. in Wedding; 4. am Wedding. Suchen Sie sich was aus. Jedem sein Wedding.

Mehr oder weniger unumstritten ist dagegen, dass der Wedding „kommt“. Man hört das seit Jahrzehnten so, es ist zum Berliner Gemeinplatz geworden, dass der Wedding kurz vor dem Durchbruch zum nächsten Hip-Kiez steht. Als Klischee hat sich das so sehr verselbstständigt, dass vom „Kommen“ des Weddings wohl noch die Rede sein wird, wenn die Hipster-Karawane dem Ortsteil längst wieder den Rücken gekehrt hat.

Denn natürlich ist der Wedding längst da – und wohl nirgends lässt sich das so gut beobachten wie im „Falafel Dream“, einem umgebauten BVG-Bus von 1977, der seit ein paar Jahren an der Müllerstraße parkt. Staunend sah ich zu, wie dort Kunden mit den irrsten 90er-Jahre-Frisuren ihre fleischfreien Sandwiches mit britischen Barclays-Kreditkarten bezahlten.

Der Inhaber des Busses, ein jordanischer Palästinenser namens Wael Thib, antwortete knapp, als ich ihn fragte, woran sich das „Kommen“ des Weddings sonst noch festmache. „Döner wird teurer“, sagte er. Die türkischen Imbisse an der Müllerstraße hätten ihre Preise schnell dem neuen Publikum angepasst.

Wael passte lieber seine Karte an. Um sich abzugrenzen hatte er eine Zeitlang sogar komplett auf vegan umgestellt: kein Halloumi mehr, kein Ayran, nichts. „Aber dann“, erinnerte er sich seufzend, „kamen die Hardcore-Veganer“. Toller Laden, sagten die – und fragten Wael, wie lange er denn selbst schon vegan lebe. Als er ihnen erklärte, dass er persönlich weder Veganer noch Vegetarier sei, weil er sich ein Leben ohne Fleisch gar nicht vorstellen könne, ging es los.

„Mörder!“, riefen die einen. „Du nutzt Veganer aus!“, brüllten andere. „Deine schlechte Energie geht auf das Essen über!“, schrien dritte. Am Ende setzte Wael wieder Halloumi und Ayran auf die Karte und überpinselte auf dem Bus den Schriftzug „vegan“ mit „vegetarisch-vegan“. Seitdem gingen die Weddinger Hardcore-Veganer woanders essen. „Jetzt kommen nur noch die Normalo-Veganer“, sagte Wael. „Mit denen kann man leben.“

Auch die Stadtentwicklung hat im Wedding mitunter vegane Züge. Drei Straßen des Afrikanischen Viertels sollen nach dem Willen der Bezirksverwaltung den Namen wechseln, weil sie nach umstrittenen Figuren der deutschen Kolonialära benannt sind. Etwas verworren ist die Lage im Fall der Petersallee, deren Namensgeber Carl Peters ein so eindeutig untragbarer Rassist war, dass sich bereits 1986 die damals CDU-geführte Bezirksverwaltung zu einer Umbenennung durchrang: Man erklärte kurzerhand, die Petersallee sei ab sofort nach Hans Peters benannt, einem verdienten Christdemokraten der Nachkriegszeit. Nun ist unklar, wem eine weitere Umbenennung eigentlich nützen beziehungsweise schaden würde.

Bevor jetzt einer fragt: Nein, die Müllerstraße, an der die Berliner SPD-Zentrale liegt, ist nicht nach einem verdienten Sozialdemokraten der Gegenwart benannt. Sondern nach den Windmühlen, die bis ins 19. Jahrhundert den Wedding prägten.

Alle Folgen

89 Ortsteile hat Jens Mühling schon besucht. Alle Folgen seiner Kolumne „Mühling kommt rum“ finden Sie auf unserer Internetseite unter: www.tagesspiegel.de/96malberlin

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