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Hund und Flagge in Malchow.

© Jens Mühling

Unterwegs in Berlins Ortsteilen: Siedlung Malchow: "Des isch gfährlich!"

96 Ortsteile hat die Stadt. Unser Kolumnist bereist sie alle – von A wie Adlershof bis Z wie Zehlendorf Nr. 81: Siedlung Malchow.

Fläche: 5,68 km² (Platz 69 von 96)

Einwohner: 1135 (Platz 95 von 96)

Durchschnittsalter: 52,0 (Berlin: 42,7)

Lokalpromis: Constanze Fath / Fabio Inserra (Golfclubmeister 2017 der Damen / Herren)

Gefühlte Mitte: Ullerplatz

An einer stillen Straßenecke im Berliner Norden sah ich einen Mann mit einer langen Stange Walnüsse aus dem Wipfel eines Baumes schütteln. „Den Baum habe ich '83 mit meinem Vater gepflanzt“, sagte er stolz.

Bewundernd musterte ich die Baumkrone, die die niedrigen Einfamilienhäuser der Stadtrandsiedlung Malchow um ein gutes Stück überragte.

Die Siedlung, erklärte mir der Mann, sei für kinderreiche Familien wie die seines Urgroßvaters gebaut worden, der hier ein Eigenheim zugeteilt bekommen habe, als er aus Schlesien in die Hauptstadt übergesiedelt sei.

In den 30er Jahren sei das gewesen, fuhr er fort, wobei er zwei Fingerspitzen auf seine Oberlippe legte. „Als der Mann mit dem kleinen Bart an der Macht war.“ Ich begriff nun auch, woher die nordisch-mythischen Straßennamen des Ortsteils kamen. Der Walnussbaum stand an der Ecke Lindwurmweg / Nachtalbenweg, außerdem begegneten mir ein Tronjepfad, ein Nornenweg, ein Gnomenplatz, ein Schwarzelfen- und ein Lichtelfenweg, eine Runenzeile sowie ein Königskinderweg.

Still, schläfrig, unstädtisch

Ansonsten ist die Stadtrandsiedlung Malchow ein derart still und schläfrig und gänzlich unstädtisch wirkendes Viertel, dass einem hier schon ein Briefkasten am Straßenrand überraschend urban vorkommt. Sie ist außerdem das vielleicht beste Beispiel dafür, dass Berlins Verwaltungsgrenzen nicht immer mit großer Logik gezogen wurden, denn während das eigentliche Dorf Malchow ein Ortsteil des benachbarten Bezirks Lichtenberg ist, gehört die unmittelbar angrenzende Stadtrandsiedlung Malchow zum Bezirk Pankow. Des Weiteren hat sie unter allen Berliner Ortsteilen das mit Abstand höchste Durchschnittsalter: 52 Jahre. Ich vermute, dass die allerbetagtesten unter den Einwohnern die vorzeitlichen Fabelwesen aus den Straßennamen noch aus eigener Anschauung kennen.

Nur der Süden des Ortsteils ist besiedelt, der Rest besteht aus Wiesen, Wäldern und einem ausgedehnten Golfplatz. Als ich letzteren betrat, wurden auf der Caféterrasse des Clubhauses gerade die Tagesergebnisse verkündet. „Platz eins mit 69 Nettoschlägen und Handicap-Verbesserung auf 24,5 geht heute an …“ Menschen mit Marken-Baseballmützen applaudierten höflich.

Paare, die aussahen, als hätten sie lange nicht mehr miteinander gesprochen, sahen schweigend ihren Kindern beim Kindertelleressen zu. „Können Sie auf einen Hunderter rausgeben?“, hörte ich einen Gast die Kellnerin fragen. „Natürlich“, antwortete die, „da lach ich doch drüber.“ Auf dem Weg zum Neun-Loch-Platz lief ich neben einer Gruppe von Spielern her, deren Unterhaltung so klischeehaft unsympathisch klang, als habe sie ihnen der Autor eines Golfplatz-Fernsehkrimis auf den Leib geschrieben.

„Du musst den Leuten nur ordentlich in den Arsch treten“, sagte eine blondierte Dame, „dann bewegen die sich auch.“ Ihr Mann lachte ein zähnebleckendes Wolfslachen. „Schwachmaten“, knurrte er. „Und dann erwarten die noch, dass ich ihnen einen Bonus zahle.“ Schnell bog ich in einen Seitenpfad ab. Doch weit kam ich nicht.

In der Ferne sah ich einen Mann rudernde Armbewegungen machen. Sein Dialekt war einen halben Kilometer gegen den Wind zu erkennen. „Des isch verboda, hier lang zo ganga!“, rief er, „Des isch gfährlich!“ Weil ich um nichts in der Welt durch den Golfschlag eines Schwaben sterben wollte, kehrte ich der Stadtrandsiedlung Malchow den Rücken.

Alle Folgen

80 Ortsteile hat Jens Mühling bereits besucht. Alle Folgen seiner Kolumne „Mühling kommt rum“ finden Sie auf unserer Internetseite unter: www.tagesspiegel.de/96malberlin

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