zum Hauptinhalt
Im Zentrum. Rosenthals Dorfkirche, eine der ältesten Berlins, steht auf einem pittoresken Anger.

© Jens Mühling

Unterwegs in Berlins Ortsteilen: Rosenthal: Wo die Bäcker länger backen

96 Ortsteile hat die Stadt. Unser Kolumnist bereist sie alle – von A wie Adlershof bis Z wie Zehlendorf. Mühling kommt rum, Folge 72: Rosenthal.

Es gibt Ortsteile, deren Bewohner regelrecht zusammenzucken, wenn man sie nach örtlichen Sehenswürdigkeiten fragt. „Gibt’s hier nicht!“, antwortete mir ein älterer Herr mit schreckgeweiteten Augen. „Brauchen Sie nicht nach suchen!“, sagte eine Dame mit Kinderwagen, ihre Schritte leicht beschleunigend. „Da müssen Sie woanders hin!“, bellte ein altes Mütterchen mit drohend erhobenem Spazierstock.

Es war, als hätte ich meinen Finger in eine schwärende Wunde der Rosenthaler gelegt. Dabei ist der Ortsteil, jedenfalls sein Kern, recht idyllisch. Die Dorfkirche, eine der ältesten Berlins, steht auf einem pittoresken Anger, umgeben von alten, niedrigen Bauernhäusern. Dahinter endet die Idylle schnell. Einfamilienhäuser mit der üblichen Vorgartenfolklore, ein Rewe, ein Penny und die Baustelle eines neuen Aldi. Im Großen und Ganzen ist es die Art von Gegend, die so außerstädtisch wirkt, dass man fast erschrickt, wenn ein gelber BVG-Doppeldecker um die Ecke biegt.

Eine Bäckerei unter strenger Aufsicht

Wer Rosenthal besucht, landet früher oder später unausweichlich im Café „Zur Alten Backstube“. Das Café ist, wie der Name schon sagt, eine alte Backstube, die 1863 in Rosenthal gegründet wurde und sich seit 1918 gegenüber der Dorfkirche befindet. An den Wänden des Ladens hängt eine wilde Mixtur aus Beatles-Memorabilia, Fußball-Souvenirs und alten Gerätschaften des Bäckerhandwerks.

Eine kleine Zwangspause musste die Backstube in ihrer ansonsten ungebrochenen Geschichte ab dem Jahr 1987 einlegen. Von den Hintergründen erzählte mir der heutige Inhaber des Cafés, der den Laden in vierter Generation leitet. Die Backstube sei auch zu DDR-Zeiten immer in Familienhand geblieben. Den Behörden sei die Rosenthaler Privatbäckerei jedoch immer ein Dorn im Auge gewesen, was sich durch ständige Betriebsprüfungen bemerkbar machte. Bei der letzten stellten die Inspektoren fest, dass die Backstube dringend neu zu fliesen sei.

„Aber die wussten natürlich genauso gut wie wir“, erklärte mir der Inhaber, „dass man in der DDR als Privatperson höchstens mal genug Fliesen für eine Badezimmerwand bekam, aber nie im Leben für eine ganze Backstube.“

Und so machten die Behörden den Laden am 16. August 1987 dicht. Hier hätte seine Geschichte enden können, wenn nicht kurz darauf die DDR-Geschichte geendet hätte. Es dauerte dann zwar noch eine ganze Weile, bis die Familie Ziekow unter den veränderten Marktbedingungen einen Neustart wagte, aber 2007 eröffnete in den Räumen der alten Backstube schließlich das heutige Café.

An einer der Wände hängt ein gerahmtes Gedicht aus DDR-Zeiten, ein Werk des Rosenthaler Satirikers Jo Schulz. „Das Brot von Bäcker Ziekow aus Rosenthal / hat eine Kruste wie die Mondoberfläche / daran fuhrwerke nicht mit dem Messer herum, / solch ein Brot ist wert, dass man’s breche ...“ Das Gedicht ist recht lang, weshalb ich zu den letzten Zeilen springe: „... wie Kenner ihren Whisky und Wodka unvermischt trinken/ isst man dieses Brot vorteilhaft ohne Butter und Schinken.“

Alles in allem muss man wohl sagen, dass in Rosenthal das Brot von höherer Qualität ist als die Reime.

Fläche: 4,9 km² (Platz 76 von 96)
Einwohner: 9327 (Platz 80 von 96)
Durchschnittsalter: 43,9 (ganz Berlin: 42,7)
Lokalpromis: Bernd Ziekow (Bäcker und Gastronom), Jo Schulz (Satiriker)
Gefühlte Mitte: Dorfkirche
Alle Folgen: tagesspiegel.de/96malberlin

Zur Startseite