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Schnäppchen. Für Freunde von Textilien-Tiefpreisen ist Niederschöneweide ein beliebtes Reiseziel.

© Jens Mühling

Unterwegs in Berlins Ortsteilen: Niederschöneweide: Wo die Wagen südwärts rollen

96 Ortsteile hat die Stadt. Unser Kolumnist bereist sie alle – von A wie Adlershof bis Z wie Zehlendorf. Mühling kommt rum, Teil 63: Niederschöneweide.

An der Köpenicker Landstraße blieb ich vor einer umzäunten Asphaltfläche stehen, die dicht mit Autos zugeparkt war. Neben der Einfahrt hockten ein paar Männer mit dunklen Bärten, die mir energisch zuwinkten. „Hast du was?“, fragten sie, als ich näherkam. „Was hast du?“ Es dauerte etwas, bis ich begriff, dass sie fragten, ob ich ein Auto loswerden wolle. Sie waren Palästinenser und handelten mit Gebrauchtwagen. „Export“, erklärten sie mir. „Afrika.“

Eine Weile hörte ich den Händlern zu, die untereinander ein schnelles, hartes Arabisch sprachen, durchsetzt mit internationalen Markennamen: „Focus! ... Jetta! ... Punto!“ Autos mit Berliner Nummernschildern rollten auf den Hof, Autos ohne Nummernschilder wurden sattelschlepperweise herausgerollt, um fern der Heimat ein zweites Leben zu beginnen. Ich hatte das Gefühl, mitten in Niederschöneweide auf ein städtisches Geheimportal gestoßen zu sein.

Die Wiesen wichen Teerern, Köhlern, Bleichern und Färbern

Niederschöneweide bestand, wie der Name schon sagt, einst aus Weideland. Die Wiesen wichen Teerern, Köhlern, Bleichern und Färbern, die sich am Spreeufer niederließen, gefolgt von jenen Industriebetrieben, die hier bis heute das Bild prägen, auch wenn manche nichts mehr produzieren, so wie die riesige Bärenquell-Brauerei, deren verklinkerte Werkhallen pittoresk vor sich hin bröckeln.

Weniger pittoresk sind die Baracken an der Britzer Straße, in denen zu NS-Zeiten Zwangsarbeiter untergebracht waren, streng sortiert nach Herkunft: Relativ human behandelt wurden die Westeuropäer, wie Vieh dagegen die Slawen. Ein Teil dieses einzigen erhaltenen Lagers seiner Art ist heute als Dokumentationszentrum zugänglich. Lange lief ich durch die Ausstellungsräume. Zitate von Zeitzeugen aus Niederschöneweide verdeutlichten, wie kontrovers das Lager hier offenbar gesehen worden war. „Es war verboten, sich am Zaun aufzuhalten. Kein Kontakt.“ – „Die Bewohner haben mit ihren Kindern hier auf dem Spielplatz gespielt, die waren doch gar nicht eingesperrt.“ – „Ich bin da fast nie vorbeigegangen.“ – „Unseren Dackel haben die Italiener gefressen.“

Wir fanden keine gemeinsame Sprache

Sieben Lagerbaracken gehören heute zum Dokumentationszentrum. In den übrigen fünf sitzen ein Autohändler, eine Kfz-Werkstatt, eine Kita, eine Sauna sowie die Kegelsportgaststätte „Völkerfreundschaft“. In Letzterer bestellte ich mir ein Alster und kam mit dem Wirt ins Gespräch. Er erklärte mir, dass die Kegelkneipe die älteste ihrer Art in Berlin sei. „Gegründet 1956“, sagte er stolz.

Als ich nach der Zeit davor fragte, verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck. „Da wird nicht alles korrekt dargestellt“, sagte er andeutungsreich. Es ging so weiter, wie ich befürchtete: Zwangsarbeiterlager, das klinge ja gleich nach KZ, dabei hätten sich doch die Fremdarbeiter („Fremd, nicht Zwang!“) hier frei bewegen können, sie seien ernährt und medizinisch versorgt worden, „ungefähr so wie heute die Flüchtlinge“... Ich widersprach, aber wir fanden keine gemeinsame Sprache. Mein Alster war nicht einmal halb leer, und schon hatten wir uns in eine Sackgasse diskutiert.

Kurz bevor ich ging, blieb mein Blick an einem bedruckten Bierdeckel hängen, der an der Kneipenwand klebte. „Der Weltfrieden“, stand darauf, „beginnt am Tresen und endet vor der Türe.“

Fläche: 3,49 km² (Platz 82 von 96)
Einwohner: 10.980 (Platz 75 von 96)
Durchschnittsalter: 43,1 (ganz Berlin: 42,7)
Lokalpromis: Ernst Schneller (Kommunist), Max Buntzel (Gartenbaudirektor)
Gefühlte Mitte: Schnellerstraße
Alle Folgen: tagesspiegel.de/96malberlin

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