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Die Kleingartenkolonie Haveleck in Haselhorst bei Spandau.

© Jens Mühling

Unterwegs in Berlins Ortsteilen: Haselhorst: Wo über Namen gestritten wird

96 Ortsteile hat die Stadt. Unser Kolumnist bereist sie alle – von A wie Adlershof bis Z wie Zehlendorf. Mühling kommt rum, Teil 34: Haselhorst. 

Warum die Zitadelle Spandau nicht zum Ortsteil Spandau gehört, sondern zum Nachbarortsteil Haselhorst, weiß der Himmel – und den Himmel kann man nicht fragen, weil über Haselhorst alle paar Minuten ein Flugzeug aus Tegel hinwegdröhnt und man schon auf der Erde kaum ein Wort versteht.

Noch lauter muss der Himmel über Haselhorst im Mai 1945 gedröhnt haben, als vor dem zerschossenen Zitadellentor zwei Rotarmisten auftauchten: Major Wassili Grischin und der Dolmetscher Wladimir Gall. Zusammen mit Hunderten von Zivilisten hatten sich in der eingekesselten Festung ein paar Nazi-Offiziere verschanzt, die noch an den Endsieg glaubten. Um ein Blutbad zu vermeiden, kletterten Grischin und Gall an einer Strickleiter in den Schützenstand über dem Zitadellentor. Nach zähen Verhandlungen gelang es ihnen, die Deutschen zur kampflosen Aufgabe zu überreden.

Der DDR-Regisseur Konrad Wolf, der den Dolmetscher Gall an der Front kennenlernte, verfilmte diese Szene 1968 im Weltkriegs-Epos „Ich war neunzehn“. Da die DDR-Oberen Wolf nur auf ihrer Seite der Mauer drehen ließen, musste im Film als Zitadelle Spandau die Festung Küstrin im Oderbruch durchgehen. In der echten Zitadelle erinnert heute eine Gedenktafel an Gall, der Spandau nach dem Krieg mehrfach besuchte und 2005 ins Ehrenbuch des Bezirks eingetragen wurde. Nach dem 2011 Verstorbenen soll nun auch ein Zufahrtsweg zur Zitadelle benannt werden, wogegen sich in der Bezirksverordnetenversammlung aber die AfD sperrt. Die Partei möchte auf dem Straßenschild lieber die deutschen Namen zweier Generäle lesen, die 1813 die Franzosen aus der Festung verjagten – oder die Namen der beiden Volkssturm-Offiziere, die auf deutscher Seite mit Gall über die Kapitulation verhandelten.

Zum Kriegsende hatten sich in der Zitadelle Nazi-Offiziere mit hunderten Zivilisten verschanzt, weil sie noch an den Sieg glaubten. Rotarmisten verhinderten ein Blutbad.
Zum Kriegsende hatten sich in der Zitadelle Nazi-Offiziere mit hunderten Zivilisten verschanzt, weil sie noch an den Sieg glaubten. Rotarmisten verhinderten ein Blutbad.

© Jens Mühling

Man darf unter diesen Vorzeichen gespannt sein auf eine andere Namensdebatte, die in Haselhorst irgendwann zu führen sein wird – nämlich über den Gorgasring, der bis heute nach dem Architekten und SS-Mitglied Curt Gorgas benannt ist. Am Gorgasring gibt es einen Bolzplatz, wo ich sieben Jungs beim Fußballspielen zusah. Immer, wenn ein Tor fiel, schrie einer von ihnen: „Allahu akbar!“

Ansonsten besteht Haselhorst vor allem aus der sogenannten Reichsforschungssiedlung, einem riesigen Sozialbauprojekt der frühen 30er Jahre. An der Planung war unter anderem die liberale Abgeordnete Marie-Elisabeth Lüders beteiligt. „Erst die Küche, dann die Fassade!“, forderte sie – die Häuser sollten funktional sein, nicht schön. Ich weiß nicht, wie in der Siedlung die Küchen aussehen, aber nach den Fassaden zu urteilen ist der Plan aufgegangen.

Haselhorsts wenige Geschäfte liegen fast alle an der Gartenfelder Straße. In der „Curry-Station“ sah ich vier Männer um einen Fernseher sitzen. Sie schauten wechselnd Handball (Füchse gegen Kiel) und Fußball (Union gegen Fürth). Einer erzählte mir, dass er aus Steglitz nach Haselhorst gezogen war. „Wegen ’ner Frau“, sagte er. „Fehler meines Lebens. Die Leute hier haben alle ’nen gepflegten Detsch. Erzählen einem ständig, dass Spandau älter als Berlin ist. Und dass es nicht ,Spandau in Berlin’ heißt, sondern ,Spandau bei Berlin’.“

„Hör mal“, fiel ihm ein anderer ins Wort, „das hier ist immer noch Haselhorst bei Spandau.“

Fläche: 4,73 km² (Platz 78 von 96)

Einwohner: 15 724 (Platz 67 von 96)

Durchschnittsalter: 42,8 (ganz Berlin: 42,7)

Lokalpromis: Rochus Graf zu Lynar (Zitadellen-Architekt), Ades Zabel (Travestiekünstler)

Gefühlte Mitte: Gartenfelder Straße

Alle Folgen: tagesspiegel.de/96malberlin

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