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Unterwegs in Berlins Ortsteilen: Halensee: Wo die Promis Wurst verschmähen

96 Ortsteile hat die Stadt. Unser Kolumnist bereist sie alle – von A wie Adlershof bis Z wie Zehlendorf. Mühling kommt rum, Teil 32: Halensee.

Als 2006 aus Wilmersdorf der neue Ortsteil Halensee herausgelöst wurde, zog die Bezirksverwaltung seine westliche Grenze genau zwischen dem namensgebenden See und Berlins größtem Bordell, dem Artemis. Ergebnis: Zu Halensee gehört jetzt der Puff, aber nicht der Halensee – der liegt im Nachbarortsteil Grunewald.

Im Geiste wird der See mit seinen luxuriösen Ufervillen von den Halenseern trotzdem gerne eingemeindet. Die Promi-Dichte sei dort die höchste in Berlin, versicherte mir ein älterer Herr, mit dem ich vor einer Currywurstbude am Ku’damm ins Gespräch kam. Als ich nachfragte, wer denn da so wohne, zuckte er mit den Schultern. „Det sind diskrete Leute. Uff der Straße erkennt unsereiner die nich, die sehn im echten Leben janz anders aus wie im Fernsehen.“ Die Currywurstverkäuferin fügte hinzu, dass an ihrem Stand nie ein Promi aufgetaucht sei. „Keen Wunder, die essen lieber so Teller, wo außer drei Blatt Salat nüscht druff ist.“

Viele kamen auf ungute Art zu Tode

Ich kann den Promis dieser Stadt nicht raten, nach Halensee zu ziehen. Das scheint meist kein gutes Ende zu nehmen – an vielen Häusern erinnern hier Plaketten an örtliche Berühmtheiten, die unter unguten Umständen anderswo den Tod fanden. Die Schriftstellerin Else Lasker-Schüler (Katharinenstraße 5) starb 1945 verarmt in Jerusalem. Ihr Mann, der Publizist Herwarth Walden, kam 1941 in einem sowjetischen Gefängnis um. Der Polarforscher Alfred Wegener (Georg-Wilhelmstraße 9) erfror 1930 im grönländischen Eis. Der Schauspieler Albert Bassermann (Joachim-Friedrich-Straße 54) starb 1952 während eines Flugs von New York nach Zürich. Rudi Dutschke wohnte nicht in Halensee, wurde hier aber 1968 angeschossen und erlag 1979 in Dänemark den Folgen des Attentats.

Besser erging es Vladimir Nabokov. Anders als sein Bruder Sergej, der 1945 im KZ Neuengamme ermordet wurde, wanderte er rechtzeitig aus und starb nach erfülltem Literatenleben 1977 in der Schweiz. Man kann es Nabokov nicht verübeln, dass ihm Deutschland nicht in bester Erinnerung blieb. In „Die Gabe“ lässt er seinen Helden Fjodor in einer Berliner Straßenbahn darüber nachdenken, weshalb er die Einheimischen so verachtet: „... wegen der Vorliebe für Zäune, Reihen, Mittelmäßigkeit; wegen der Klosettwitze und des rohen Gelächters; wegen der Dicke des Hinterteils beider Geschlechter; wegen des Mangels an Feingefühl; der Akkuratesse in den Gemeinheiten ...“

Weltlaterne mit Katze

Es muss der Ortsteil Halensee gewesen sein, der Nabokov auf solche Gedanken brachte, denn hier, in der Nestorstraße 22, lebte er von 1932 bis zu seiner Emigration im Jahr 1937. Im Erdgeschoss des Hauses liegt heute die Kneipe „Kleine Weltlaterne“. Ich fand sie geschlossen vor, aber zufällig lief mir der Wirt über den Weg, der gerade dabei war, zwei Pakete Katzenstreu ins Haus zu tragen. Nabokovs ehemalige Wohnung, erzählte er, liege im dritten Stock. „Steht leer“, fügte er hinzu. „Die Hausverwaltung sucht einen Nachmieter.“

Ich traute meinen Ohren nicht.

Als ich die Hausverwaltung anrief, beschied mir eine Mitarbeiterin, die Wohnung sei gerade vergeben worden. Obwohl ich gar keine Wohnung suchte, hat es mich selten so geschmerzt, zu spät dran zu sein.

Fläche: 1,27 km² (Platz 95 von 96)

Einwohner: 14 827 (Platz 69 von 96)

Durchschnittsalter: 46,2 (Berlin: 42,7)

Lokalpromis: Rudi Dutschke (Polit-Aktivist), Vladimir Nabokov (Schriftsteller)

Gefühlte Mitte: Kurfürstendamm

Alle Folgen: tagesspiegel.de/96malberlin

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