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Western-Stimmung am Stadtrand: Dieser Adler wacht über Blankenfelde.

© Jens Mühling

Unterwegs in Berlins Ortsteilen: Blankenfelde: Wo die Schäfer westwärts fliehen

96 Ortsteile hat die Stadt. Unser Kolumnist bereist sie alle – von A wie Adlershof bis Z wie Zehlendorf. Mühling kommt rum, Teil 8: Blankenfelde.

Geisterhafte Stille herrschte im Ortskern von Blankenfelde, an mein Ohr drang allein das Pochen meiner eigenen Schuhe auf dem Asphalt. Wie ausgestorben lag die alte Dorfstraße vor mir, nur in den Reitställen links und rechts blitzte ab und zu ein Augenpaar auf, das misstrauisch meinen Bewegungen zu folgen schien. Als ich das hintere Ende der Straße erreichte, hatte ich mehr Pferde als Menschen gesehen.

Blankenfelde hat nur 2110 Einwohner, aber mehr als 13 Quadratkilometer Fläche, kein anderer Ortsteil ist so dünn besiedelt. Eine Art Western-Stimmung prägt deshalb den Pankower Stadtrand, fast meinte ich, von irgendwoher Ennio Morricone hören zu können, die klagende Mundharmonikasequenz aus „Spiel mir das Lied vom Tod“. Nur die Hertha-Flaggen in den Vorgärten störten das Bild.

Auf der Suche nach Menschen betrat ich den Saloon, doch auch dort, im Café des alten Stadtguts an der Hauptstraße, war nicht viel los. Eine Ausstellung zur Geschichte von Blankenfelde füllte die Hälfte des Raums. Ich lernte, dass der Ortsteil bis vor gar nicht langer Zeit so etwas wie Berlins Kloake gewesen war. In der Frühphase der Industrialisierung hatte man hier sogenannte Rieselfelder angelegt, auf denen bis in die 80er Jahre hinein Abwasser aus dem Rest der Stadt entsorgt wurde. Der Unrat, den man im Lauf eines knappen Jahrhunderts in den Blankenfelder Boden gepumpt hatte, würde 40-mal den Müggelsee füllen. Ach du Scheiße, dachte ich unwillkürlich – kein Wunder, dass hier so wenige Menschen leben.

Im Wahllokal 201 schnitt die AfD so gut ab wie nirgends sonst in Berlin

Das war natürlich Unsinn. Auf dem Hof des Stadtguts, der heute ein alternatives Wohnprojekt beherbergt, erklärte mir eine sehr nette Frau mit ergrauter Hippie-Mähne, dass man in Blankenfelde im Gegenteil ganz ausgezeichnet lebt, sie selbst war mit ihren drei Kindern extra aus der Innenstadt hergezogen und genoss nun die Nähe zur Natur. Ein wenig schockiert hatten sie lediglich die Ergebnisse der letzten Abgeordnetenhauswahl: Im Blankenfelder Wahllokal 201 hatte die AfD so gut abgeschnitten wie sonst nirgends in Berlin. Ach du Scheiße, dachte ich unwillkürlich – ob das nicht doch irgendwie mit der braunen Brühe zusammenhängen könnte, die hier jahrzehntelang in den Boden ... ? Aber auch das war natürlich Unsinn.

Die Belastung der alten Rieselfelder mit Schwermetallen hat den zweifelhaften Vorteil, dass hier auf lange Sicht keine Landwirtschaft mehr möglich ist, weshalb Blankenfelde zu großen Teilen einfach nur aus wildem Grün besteht, aus struppigen Wäldern und strauchigen Feldern, über denen gelegentlich ein ferner, winziger Fernsehturm aufblitzt, ansonsten ist Berlin hier wirklich sehr weit weg.

Ein Schäfer flieht von Ost nach West

Während ich den alten Mauerstreifen entlangwanderte, der Blankenfelde vom westlichen Nachbarortsteil Lübars trennt, musste ich an die Geschichte des Schäfers Läpple denken, die in der Ausstellung im Stadtgut dokumentiert ist. 1961, kurz vor dem Mauerbau, war der Mann hier über die grüne Zonengrenze hinweg von Ost nach West geflohen – mit 400 Schafen im Gefolge. Heute kann man sich nur noch schwer vorstellen, dass die Felder links und rechts des Mauerwegs einst in zwei Staaten lagen, dass das Gras auf der einen Seite einmal grüner schien als das auf der anderen.

Fläche: 13,4 km² (Platz 17 von 96)

Einwohner: 2110 (Platz 93 von 96)

Durchschnittsalter: 47,4 (ganz Berlin: 42,7)

Lokalpromis: James Hobrecht (Stadtplaner, Entwässerungsexperte, Rieselfeld-Erfinder)

Gefühlte Mitte: Dorfkirche

Diese Kolumne erschien am 29. April 2017 im Tagesspiegel-Samstagsmagazin Mehr Berlin.

Alle Folgen zum Nachlesen: tagesspiegel.de/96malberlin.

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