zum Hauptinhalt
Gebaut in Eigenleistung: die Garagen von Biesdorf.

© Jens Mühling

Unterwegs in Berlins Ortsteilen: Biesdorf: Wo die Garagen handgemacht sind

96 Ortsteile hat die Stadt. Unser Kolumnist bereist sie alle – von A wie Adlershof bis Z wie Zehlendorf. Mühling kommt rum, Teil 6: Biesdorf.

Ich könnte über das wunderschöne Biesdorfer Schloss schreiben, über den rosafarbenen Putz dieser liebevoll restaurierten Turmvilla, den lauschigen Schlosspark, die alte Gnadenkirche. Ich könnte von den endlosen Biesdorfer Gartenzaunweiten erzählen, die zusammen mit den Nachbarortsteilen Kaulsdorf und Mahlsdorf Deutschlands größtes zusammenhängendes Einfamilienhausgebiet bilden. Schreiben könnte ich über Biesdorfs dunkle Seiten, etwa den Gedenkstein am Unfallkrankenhaus, der an die Opfer des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms erinnert. Weil aber nichts davon Biesdorf so gut erklären würde wie der Monolog der alten Dame, mit der ich im Ortskern ins Gespräch kam, sei ihr hier das Wort überlassen.

„Wo kommen Sie her, junger Mann? Kreuzberg? Alle Achtung. Sonst verirrt sich nie einer aus dem Westen hierher. Wirklich, es ist immer noch eine geteilte Stadt. Wir dagegen, wir sind nach der Wende gleich überall hingefahren, alles haben wir uns angesehen. In Österreich war ich, in Tirol, seit 20 Jahren fahre ich mit meiner Reisegruppe durch die Welt. Ihr seid doch bescheuert, dass ihr nie in den Osten kommt, es ist so schön hier!

"Die sterben jetzt langsam aus"

Ich bin nach Marzahn umgezogen, als mein Mann gestorben ist, aber davor war ich 23 Jahre lang Biesdorferin. Manchmal besuche ich noch Freunde hier, wie heute, ich bin auf dem Weg ins Heim, da wohnen die meisten jetzt. Lebend kommt man da nicht wieder raus. Nur ein paar wohnen immer noch in unserem alten Viertel, in den Mietshäusern am Schlosspark. Da haben früher alle gelebt, die bei den bewaffneten Organen waren, NVA, Polizei, Verteidigungsministerium. Die sterben jetzt langsam aus, sind alle über 80 inzwischen, wie ich. Es gibt Leute, die wohnen da schon seit der Nachkriegszeit, als die Häuser gebaut wurden.

Mein Mann, der hat noch die Bomben in Dresden miterlebt. Hat die Leichen selbst von der Straße geräumt. Nie wieder sollte so was passieren, das haben wir uns geschworen! Für den Frieden hat mein Mann dann gekämpft, Offizier war er, im Verteidigungsministerium. Ist gleich nach der Wende gestorben. Sein Herz hat das nicht mitgemacht, als damals alles zu Ende ging.

Die Garagen hinter unseren Häusern, die haben wir selbst gebaut. Eigenleistung hieß das, kennt heute keiner mehr, den Begriff. Abends nach der Arbeit haben wir alle angepackt, freiwillig, bis da 200 Garagen standen. Nichts haben wir dafür bekommen, als die Häuser nach der Wende verkauft wurden. Der neue Eigentümer meinte, ihm gehöre alles, was auf dem Grund steht, egal wer es gebaut hat.

Die echten Biesdorfer gehen nicht ins Schloss

Das Schloss gefällt Ihnen? Die echten Biesdorfer gehen da nicht hin. Früher ja, als da noch eine richtige Gaststätte drin war, getanzt haben wir damals, gefeiert. Jetzt soll im Schlosscafé die Tasse Kaffee drei Euro kosten, habe ich gehört, und von der DDR-Kunst, die da heute ausgestellt wird, haben die neuen Betreiber doch überhaupt keine Ahnung.

Was meinen Sie? Ja, mein Gedächtnis ist gut, das sagen meine Freundinnen auch immer. An alle jungen Burschen, mit denen wir getanzt haben, kann ich mich erinnern, von jedem weiß ich noch den Namen, die Haarfarbe, was für Augen der hatte, alles. Die wichtigen Sachen vergisst man einfach nicht.“

Fläche: 12,4 km² (Platz 20 von 96)

Einwohner: 26 312 (Platz 48 von 96)

Durchschnittsalter: 47,0 (ganz Berlin: 42,7)

Lokalpromis: Hardy Krüger (Schauspieler), Erich John (Designer der Weltzeituhr am Alex)

Gefühlte Mitte: Schloss Biesdorf

Diese Kolumne erschien am 15. April 2017 im Tagesspiegel-Samstagsmagazin Mehr Berlin.

Alle Folgen zum Nachlesen: tagesspiegel.de/96malberlin.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false