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Wo die Liebe einen Platz hat.

© Jens Mühling

Unterwegs in Berliner Ortsteilen: Buckow: Wo die Grenzen fließend sind

96 Ortsteile hat die Stadt. Unser Kolumnist bereist sie alle – von A wie Adlershof bis Z wie Zehlendorf. Mühling kommt rum, Teil 13: Buckow.

Buckow ist der geografische Freak unter den Berliner Ortsteilen. Warum? Weil Buckow aus zwei räumlich voneinander getrennten Teilen besteht. Wer von Buckow-West nach Buckow-Ost will, muss erst einen anderen Ortsteil durchqueren. Der heißt Gropiusstadt und gehörte bis 2002 zu Buckow, wurde dann aber, als die namensgebende Sozialbausiedlung ihr 40-jähriges Jubiläum feierte, zum eigenständigen Ortsteil erklärt. Seitdem ist Buckow geteilt. Die Buckower hat damals vermutlich keiner gefragt. Sie verloren 30 Prozent ihres Territoriums, 48 Prozent ihrer Bevölkerung und 100 Prozent ihrer U-Bahn-Stationen – die liegen nämlich seit der Teilung alle beide in Gropiusstadt.

Es haben schon aus geringeren Anlässen Bürgerkriege begonnen, dachte ich, als ich in Buckow-West aus dem Bus stieg. Ich erwartete förmlich, Straßensperren, Stacheldraht und Sturmgewehre zu sehen. Zufällig wurde ich dann an der Haltestelle auch noch Zeuge des folgenden Dialogs.

Tätowierter Koloss: „50 Tage hat er bekommen, die muss er absitzen.“

Türkische Mama, seufzend: „Er sieht’s nicht ein. Er sieht’s einfach nicht ein.“

Die Rede war vermutlich von einem Untergrundkämpfer der Buckower Einheitsfront, der bei einem Anschlag auf die Separatisten von Gropiusstadt geschnappt worden war.

Das Beste an Buckow ist der Britzer Garten in Britz. Egal.

Vielleicht lag es an meinen übermäßig krawalligen Erwartungen, dass mir das reale Buckow etwas verschnarcht vorkam. Die alte Feldsteinkirche im Ortskern stand verloren in einem Meer aus Eigenheimen. Neben ihr, im Dorfweiher, trieb eine Holzplattform, auf der ein einsamer Reiher so pittoresk die Flügel spreizte, als werde er vom Bezirksamt dafür bezahlt. Die Wasserfläche war mit einem funktionalen Gitter umzäunt. Davor, an der Südwestseite, stand ein Zaunstück aus historisierendem Gusseisen, behängt mit Vorhängeschlössern, die offenbar nur hier angebracht werden sollten: „Buckower Liebes-Schlösser“, stand auf einem Schild. In Buckow hat alles seinen Platz, dachte ich, sogar die Liebe.

„Gibt es hier was Interessantes zu sehen?“, fragte ich die Currywurstverkäuferin in der Bude am Buckower Damm. Es entspann sich ein Antwortdialog, in den sich zwei ältere Kundinnen einschalteten.

„Wüsst ick nich.“

„Nö. Nüschte.“

„Ick wohn hier seit 40 Jahren. Det wüsst ick, wenn et hier wat zu sehn jäbe.“

Am Ende schlug die Currywurstverkäuferin mir vor, den nahe gelegenen Britzer Garten zu besuchen.

„Aber der ist doch in Britz, nicht in Buckow!“, protestierte ich.

Die verständnislosen Blicke der Umstehenden machten mir klar, dass ich der Einzige hier war, den solche Details scherten. Verdammt, dachte ich, diese Kolumne macht mich zum Stadtplan-Pedanten.

Später, als ich Buckow-West hinter mir gelassen und Gropiusstadt durchquert hatte, rätselte ich, wo eigentlich Buckow-Ost beginnt – der zickzackförmige Grenzverlauf entlang der Rudower Straße dürfte zu den kompliziertesten der Stadt gehören. In welchem Ortsteil etwa das Sushi-Restaurant „Hanabi“ liegt, ist vermutlich eine Frage, für die sich außer mir nie ein Mensch interessiert hat – und selbst ich habe es nicht herausgefunden.

Fläche: 6,35 km² (Platz 61 von 96)

Einwohner: 39 875 (Platz 34 von 96)

Durchschnittsalter: 46,6 (ganz Berlin: 42,7)

Lokalpromis: Walter Gropius (Architekt

und postumer Ortsteil-Spalter)

Gefühlte Mitte: Gropiusstadt

Diese Kolumne erschien am 3. Juni 2017 im Tagesspiegel-Samstagsmagazin Mehr Berlin.

Alle Folgen zum Nachlesen: tagesspiegel.de/96malberlin.

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