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Fahndungsfotos des Tunesiers Anis Amri.

© Arne Dedert/dpa

Update

Untersuchungsausschuss zu Anis Amri: Auch mit Pornos und Drogen kann man Islamist sein

Warum blieben die Berliner Ermittler dem Terroristen Anis Amri nicht auf den Fersen? Offenbar erlagen sie einem Irrglauben, wie ein Experten nun erklärte.

Von Sabine Beikler

Olaf Farschid ist Islamwissenschaftler und arbeitet seit 2002 beim Berliner Verfassungsschutz. Er ist profunder Kenner des Islamismus und des islamistischen Terrorismus. Am Freitag hielt Farschid, der früher am Otto-Suhr–Institut der FU Berlin tätig war, im Amri-Untersuchungsausschuss im Abgeordnetenhaus ein interessantes „Proseminar“ über Salafismus und die salafistische Szene.

Und im Gegensatz zu bisherigen Aussagen von Beamten des Landeskriminalamtes hält er es für „nicht überraschend“, dass der spätere Attentäter Anis Amri als Drogendealer seinen Lebensunterhalt verdiente und in den gewaltbereiten Salafismus abdriftete. „Wir haben das bei einer Reihe von Attentätern“, sagte Farschid. Er verwies auf Beispiele in Frankreich oder Belgien.

Als Anreiz für Personen, die sich „läutern“ wollten, würden die Salafisten „eine Art Reinigungsangebot“ machen. Das sei für viele attraktiv, sich dem Salafismus zuzuwenden. Und andererseits würde die Salafistenszene auch die „kriminelle Energie“ von Kleinkriminellen nutzen. „Diese bringen eine Menge Skills mit. Sie werden von Salafisten mit offenen Armen aufgenommen“, so Farschid.

Der Islamwissenschaftler erläuterte sehr eindrücklich, dass man so ein „Parallelleben“ durchaus öfter antreffen würde. Amri hatte sich auch auf pornografischen Internet-Seiten bewegt und zudem offenbar Drogen konsumiert.

Der Leiter des Landeskriminalamtes, Christian Steiof, hatte im November vor dem Ausschuss eklatante Fehler im Umgang mit dem Gefährder und späteren Attentäter zugegeben. Einer der größten Fehler sei gewesen, dass die Observierung Amris entgegen einer Anordnung der Staatsanwaltschaft eingestellt wurde. Auch die Auswertung von Amris Handy nach seiner Ankunft im Februar 2016 in Berlin sei „nicht fachgerecht“ gelaufen.

Die Ermittler dachten, er sei "einer von vielen"

Auf Fragen, warum sie den Gefährder Amri nicht mehr verdeckt beobachtet hatten, lautete die gängige Argumentation anderer LKA-Beamten, dass sie dachten, er sei „als einer von vielen“ ins Drogenmilieu abgerutscht. Ein LKA-Beamter, der zu Amri 2015/16 als Sachbearbeiter beim Polizeilichen Staatsschutz tätig war, betonte zum Beispiel, es habe keine Hinweise gegeben, dass Amri einen islamistisch motivierten Anschlag begehen könnte.

Er habe lediglich die inzwischen verbotene Fussilet-Moschee, einen Salafisten-Treffpunkt, besucht. Die Berliner Ermittler hätten Amri eher als „ungefestigte Persönlichkeit“ beurteilt, als einen Frustrierten, der „seinen Platz im Leben nicht gefunden“ habe, so der Zeuge im vergangenen Jahr. Und dazu passte es gut, dass man festgestellt hatte, dass Amri als Dealer offensichtlich in das Drogenmilieu eingestiegen war.

Unter den 1030 Islamisten gelten 460 als gewaltorientiert

Islamwissenschaftler Farschid nannte Berlin als drittgrößtes salafistisches Zentrum in Deutschland hinter Nordrhein-Westfalen und Hessen. In Berlin gibt es 1030 salafistische Anhänger, bundesweit sind es 11.500. Seit 2011 hätten sich die Zahlen verdreifacht.

Der politische und dschihadistische Salafismus unterscheidet sich in der Wahl der Mittel. Der politische Salafismus verbreitet mit Propaganda seine Ideologie, die sich an einer wortgetreuen Auslegung von Koran und Sunna und frühislamischer Herrschaftsformen orientiert. Der dschihadistische Salafismus setzt auf Gewalt als Mittel. Unter den 1030 Islamisten gelten 460 als gewaltorientiert.

In Berlin hat sich laut Verfassungsschutzbericht eine salafistische Struktur herausgebildet. Zu den Treffpunkten zählen in Berlin die Al-Nur-Moschee in Neukölln, die as-Sahaba-Moschee in Wedding und die Ibrahim al-Khalil-Moschee in Tempelhof.

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