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Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) begutachten den "Schockraum" am neuen "Haus der Zukunft am ukb. Hier trainieren Ärzte und Pfleger an Puppen den Notfall.

© Annette Riedl/Reuters

Unten Schockraum, oben Medizin-Showroom: Müller und Spahn eröffnen "Haus der Zukunft" am Unfallkrankenhaus Berlin

Am BG Klinikum Unfallkrankenhaus Berlin (ukb) im Bezirk Marzahn-Hellersdorf hat am Dienstag das "Haus der Zukunft" eröffnet. Zu sehen gibt es viel Hightech

Josie und Robert stehen am Eingang zur Begrüßung, sind aber überfordert mit der Situation. An diesem Dienstagmorgen herrscht zu viel Trubel, es ist zu laut für ein vernünftiges Gespräch zwischen Mensch und Maschine. So belassen es die beiden Roboter des Herstellers pi4 Robotics aus Berlin-Adlershof bei der Grußformel „Herzlich Willkommen“. Zu ihrem programmierten Scan des Personalausweises samt automatischer Anmeldung im Haus kommt es diesmal nicht.

Es ist beruhigend zu erleben, dass Maschinen bei allem technologischen Fortschritt Menschen nicht ganz ersetzen können und auch nicht perfekt sind in Ausnahmesituationen. Und eine solche war es bei der Eröffnung des „Haus der Zukunft am ukb“ auf dem Gelände des Unfallkrankenhauses Berlin im Ortsteil Biesdorf: Rund 100 Menschen aus Politik, Verwaltung, dem Gesundheitssektor, der Wirtschaft und Medien drängten sich vor dem Eingang dieses Neubaus am Blumberger Damm – so dicht, als wäre Corona nie Thema gewesen. (Allerdings trugen alle Gäste FFP2-Masken, viele ließen sich auch vorab auf das Virus testen.)

Das "Haus der Zukunft am ukb" am Blumberger Damm in Berlin-Biesdorf vom Hintereingang gesehen.
Das "Haus der Zukunft am ukb" am Blumberger Damm in Berlin-Biesdorf vom Hintereingang gesehen.

© Kevin P. Hoffmann

Der Umstand, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) das Regierungsviertel mal in östlicher Fahrtrichtung verlassen hatte, um mit Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD) ein Band durchzuschneiden, ist ein Indiz dafür, dass dieses neue Zentrum etwas Besonderes ist – in dieser Dimension und Kombination wohl einmalig, nicht nur hierzulande. Unter einem Dach vereint das Gebäude das bestehende Zentrum für Notfalltraining der Unfallklinik, wo die Helferinnen und Helfer üben mit dem Smart Living and Health Center (SLHC).

In einem Raum demontiert ein Arzt die Funktionen einer sehr lebendig wirkenden Puppe auf einer nachgebauten Intensivstation.
In einem Raum demontiert ein Arzt die Funktionen einer sehr lebendig wirkenden Puppe auf einer nachgebauten Intensivstation.

© Kevin P. Hoffmann

Dieses beherbergt eine Musterwohnung im Obergeschoss, in der Unfallopfer sowie pflegebedürftige Senioren die neusten und besten Hilfsprodukte der Industrie begutachten und ausprobieren können. Als dritter Mieter befindet sich in diesem „Haus der Zukunft“ ein Modellpflegestützpunkt in Trägerschaft des Landes Berlin und der Krankenkasse AOK Nordost unter dem Dach.

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Michael Müller würdigte in seinem Grußwort, dass solche einzigartigen Kombinationen nur entstehen könnten, wenn Personen an den Spitzen von Institutionen erfolgreich Netzwerke knüpften. Er nannte ukb-Chef Axel Ekkernkamp, und Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle (Linke). Sie würden hier mit der Wirtschaft mustergültig zusammenarbeiten. In diesem Haus könne man etwas über selbstbestimmtes Leben lernen, meinte Müller.

Tatsächlich ist der Standort der Einrichtung, deren Bau insgesamt rund 5,5 Millionen Euro gekostet haben soll, wohl klug gewählt: Als die benachbarte Großsiedlung Marzahn in den 1970er-Jahren errichtet wurde, zogen viele junge Familien in diesen Teil der Stadt. Diese Menschen sind heute Senioren, viele davon möchten sicher möglichst lange weiter in ihrer Wohnung leben wollen.

Die Großsiedlung Berlin-Marzahn und Hellersdorf wurd ein den 1970er Jahren errichtet. Das Foto stammt von 2017.
Die Großsiedlung Berlin-Marzahn und Hellersdorf wurd ein den 1970er Jahren errichtet. Das Foto stammt von 2017.

© Kitty Kleist-Heinrich

Und Berlins Unfallkrankenhaus, das von den gewerblichen Berufsgenossenschaften getragen wird, verlassen naturgemäß viele Patienten, die noch länger oder gar dauerhaft auf technische Hilfsmittel angewiesen sind – aber auch in der eigenen Wohnung leben möchten. Sie und ihre Angehörigen können nun noch auf dem ukb-Gelände einen Termin machen und im „Haus der Zukunft“ wie in einem kleinen Möbelhaus erleben, was für Produkte es gibt, die den Alltag erleichtern: Das beginnt von einer einfachen Aluminium-Schiene, an der man die Greifzangen für Menschen mit Rückenleiden an einem festen Platz aufhängen kann, geht über Haltestangen fürs Bad bis zu einem Bettgestell, bei der sich die Matratze per Knopfdruck hochstellt und um 90 Grad drehen kann, um den Menschen das Aufstehen zu erleichtern.

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Im Smart Living and Health Center (SLHC) führt Geschäftsführer Christian Gräff, der auch für die CDU im Abgeordnetenhaus sitzt, zum ersten Heimdialysegerät, mit der Patienten die lebensnotwendige Blutwäsche zu Hause durchführen können, anstatt mindestens drei mal pro Woche für mehrere Stunden ins Dialysezentrum fahren zu müssen.

„Mit dem Haus der Zukunft ist ein einzigartiger Ort in Deutschland entstanden, an dem Beratungsangebote für ein selbstbestimmtes Leben mit Lösungen für den Alltag in den eigenen vier Wänden kombiniert werden können“, sagt Gräff. „Die Produkte, die das Leben auch in Zukunft einfacher machen, wollen wir hier gemeinsam mit Unternehmen weiterentwickeln“. Bedeutet: Es soll dort keine Dauerausstellung werden, in der Produkte verstauben. Mehr als 50 Firmen und Organisationen von A wie Alpenland Gruppe Berlin bis Z wie Zumtobel, einer Spezialfirma für Gebäudebeleuchtung, wollen ihre Produkte präsentieren.

Ein Badezimmer mit vielen Elementen, die Senioren den Alltag erleichtern, darunter Haltestangen und Notrufknöpfe im "Smart Living & Health Center" (SLHC) in dem Gebäude.
Ein Badezimmer mit vielen Elementen, die Senioren den Alltag erleichtern, darunter Haltestangen und Notrufknöpfe im "Smart Living & Health Center" (SLHC) in dem Gebäude.

© Kevin P. Hoffmann

Insofern ist das Haus auch ein Showroom der deutschen – und der Berliner – Pflegeindustrie. Es dürfte nicht das letzte dieser Art in Berlin und Deutschland bleiben. Der Regierende Bürgermeister sagte, worauf sich Politik heute einstellen müsse: In Berlin werden im Jahr 2030 – also in nur neun Jahren – mehr als 800.000 Menschen älter als 65 Jahre alt sein. „Das ist toll, und ich hoffe, wir profitieren davon. Aber das macht die Aufgabe deutlich, dass wir diese Menschen gut begleiten müssen.“ Die medizinische Versorgung müsse stimmen. „Viele wollen hochbetagt fit sein und können und wollen lange selbstbestimmt leben. Aber viele brauchen auch eine intensive pflegerische Begleitung“, sagte Müller.

Kameras zeichnen die Trainigseinheiten und simulierten Vitalfunktionen in den Übungsräumen auf. Auf einem Bildschirm im Nebenraum können Trainer die Situationen mit den Teams nachbesprechen.
Kameras zeichnen die Trainigseinheiten und simulierten Vitalfunktionen in den Übungsräumen auf. Auf einem Bildschirm im Nebenraum können Trainer die Situationen mit den Teams nachbesprechen.

© Kevin P. Hoffmann

Berlin ist bundesweit der wohl führende Standort der Gesundheitswirtschaft: 230.000 Beschäftigte finden hier Arbeit, Unternehmen in diesem Sektor erlösen in der Stadt jedes Jahr rund 23 Milliarden Euro. Müller und Minister Spahn sprachen von der zunehmend erfolgreichen Entwicklung – auch digitaler – Angebote: Spahn sprach von Apps, also Programmen fürs Handy, die zum Beispiel automatisch einen Sturz der Trägerin melden können oder beim Gedächtnistraining helfen sollen.

Sobald die letzten Corona-Abstandsregeln fallen, wird wohl auch der für Berlin so wichtige Gesundheitstourismus wieder florieren. Burkhard Kieker, Chef der Tourismusfördergesellschaft Visit Berlin, sagte dem Tagesspiegel am Rande der Feierstunde am ukb, dass ihn seine erste Dienstreise seit zehn Monaten gerade kürzlich nach Dubai geführt habe. Dort sei es auch um dieses spezielle Thema gegangen.

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