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Ein Plakat für den Volksentscheid "Deutsche Wohnen und Co enteignen" vor einem Mietshaus in der Zossener Straße in Berlin-Kreuzberg.

© Kitty Kleist-Heinrich

Update

„Ungeheure Naivität“: Gutachter Battis hält Deutsche-Wohnen-Enteignung für verfassungswidrig

Staatsrechtler Ulrich Battis bewertet für einen wirtschaftsnahen Verein die Pläne des Volksentscheids: Enteignungen wären „unzulässig“ und „unverhältnismäßig“.

Drei Tage vor dem Volkentscheid über eine Vergesellschaftung aller Firmen mit mehr als 3000 Wohnungen wendet sich ein renommierter Staatsrechtler gegen das Vorhaben. Der Plan der Volksinitiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen" ist demnach "unverhältnismäßig" und verstößt damit gegen das Grundgesetz. Diese Meinung vertritt der emeritierte Berliner Professor Ulrich Battis in einem Rechtsgutachten, das er für den Verein "Neue Wege für Berlin" verfasst hat.

Der Verein ging 2018 aus Kreisen von Wirtschaft und Industrie hervorgegangen und setzt sich für den Neubau von 100.000 Wohnungen im "mittleren Preissegment" um sieben Euro je Quadratmeter ein zur Lösung der Wohnungskrise.

Bei der Vorstellung des Gutachtens griff Battis die Enteignungsinitiative scharf an. Diese habe die Entschädigung im Falle einer Vergesellschaftung "künstlich runtergerechnet", sagte er am Donnerstag in Berlin. Die 70 Jahre lange Rechtsprechung verlange eine "echte Entschädigung". Alles andere sei "reines Wunschdenken".

Es zeuge von "ungeheurer Naivität", wenn einige das Geld aus den Zuwendungen des Länderfinanzausgleichs dazu nutzen wollten, als ob "die anderen Bundesländer die Einführung des Sozialismus in Berlin finanzieren" wollten, erklärte der Staatsrechtler.

"Sichere Voraussage": Verfassungsgericht würde Gesetz kassieren

Battis und die Mitverfasser des Gutachtens von der Kanzlei GSK begründen ihre Auffassung mit dem Vorrang der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen im Grundgesetz. Und danach wäre eine Vergesellschaftung von Wohnungsbeständen "unverhältnismäßig". Der Staatsrechtler legte sich fest mit der „sicheren Voraussage, wenn es zu einem solchen Gesetz käme, würde es mit Sicherheit vom Bundesverfassungsgericht kassiert werden." Er habe das beim Mietendeckel vorausgesagt und sage das "hier mit derselben Gewissheit voraus."

Der Staatsrechtler Ulrich Battis bei einem Auftritt in der ARD-Sendung "Anne Will".
Der Staatsrechtler Ulrich Battis bei einem Auftritt in der ARD-Sendung "Anne Will".

© dpa

Die Belastungen der betroffenen Wohnungsunternehmen durch den Eingriff seien "unangemessen". Der Eingriff in das private Eigentum sei "nicht erforderlich, da dem Gesetzgeber etliche andere Maßnahmen zur Steuerung des Wohnungsmarktes zur Verfügung stehen" würden, um Wohnraum zu leistbaren Mieten zu schaffen.

Zudem wäre ein Gesetz, das das Land Berlin erlassen müsste, falls die Volksinitiative am Sonntag eine Mehrheit bekäme, "europarechtlich unzulässig". Die Enteignung greife nämlich "in die Kapitalverkehrsfreiheit" ein. Auch hier begründen die Anwälte ihre Auffassung damit, dass "mildere Mittel zur Verfügung" stünden.

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Gutachter: Berlin fehlt die Gesetzgebungskompetenz

Im nun vorgestellten Gutachten begründen die Anwälte von "Neue Wege für Berlin" ihre Auffassung mit demselben Argument, mit dem das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel gekippt hatte: Dem Berliner Landesgesetzgeber fehle die Gesetzgebungskompetenz, um ein Vergesellschaftungsgesetz zu erlassen. Diese stehe dem Bund zu.

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Der Bund habe sich zwar nicht mit der Vergesellschaftung befasst. Er habe allerdings "umfassende Regelungen im Bereich des sozialen Mietrechts erlassen, die dieselbe Sachmaterie betreffe". Und Länder dürfen keine Gesetze erlassen zur Regelung von Sachverhalten, die bereits vom Bund gesetzlich reguliert sind.

Weitere Argumente gegen die Vergesellschaftung: Zur Entschädigung der enteigneten Firmen würden Kredite aufgenommen durch eine Anstalt öffentlichen Rechts. Dies sei eine verfassungsrechtlich unzulässige Umgehung der Schuldenbremse. Zudem dürfe dabei der Verkehrswert der Immobilien "nicht beliebig weit unterschritten werden". Und schließlich sei es "gleichheitswidrig", dass nur alle Wohnungsbestände ab 3000 Objekte enteignet werden sollen, die Grenzziehung gleichsam willkürlich.

Vor zwei Jahren sah Battis in Sozialisierung "politische Alternative"

Battis' klares Urteil zur Bewertung der Initiative überrascht. Vor zwei Jahren hatte der Staatsrechtler in einer juristischen Fachzeitschrift (publiziert auch bei R&W Online) noch geurteilt: "Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur unternehmerischen Mitbestimmung die Offenheit des Grundgesetzes für Alternativen betont. Auch Europarecht steht der Sozialisierung nicht entgegen. Erinnert sei nur an die Sozialisierung der Banken in Frankreich", schreibt Battis.

Der Staatsrechtler damals weiter: Auch die Ableitung eines "Sozialisierungsverbots" aus der Berliner Verfassung oder dem "Grundrechtsschutz des Eigentums" überzeuge nicht. Battis: "Ein Rückgriff auf das Übermaßverbot (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; Anm. d. Red.) scheidet aus. Die Sozialisierung ist anders als die Enteignung, gerade nicht verfassungsrechtlich Ultima Ratio, sondern eine politische Alternative".

Battis sprach allerdings schon damals von "verfassungswidrigen finanziellen Folgen" einer Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen und warnte vor Willkür.

FDP: "Unhaltbare Versprechungen"

"Enteignungen würden nicht nur Berlin schaden, sie drohen auch das Ansehen der Demokratie zu beschädigen", sagte FDP-Spitzenkandidat Sebastian Czaja zum aktuellen Battis-Gutachten. Die "rechtlich unhaltbaren Versprechungen könnten niemals rechtsstaatlich umgesetzt werden". Daher drohten "jahrelange Rechtsstreits". Das Problem sei erkannt und könne durch "eine mietsenkende Neubauoffensive" gelöst werden.

Auch eine Umfrage des Instituts Civey hat der Verein "Neue Wege für Berlin" eingeholt. Demnach halten nur 23 Prozent der Befragten eine Enteignung für ein geeignetes Instrument, um die Situation der Mieter und Wohnungssuchende in Berlin zu verbessern. Dennoch wollen laut dem aktuellen Berlin-Trend des RBB eine knappe Mehrheit der Berliner am kommenden Wahlsonntag für die Enteignungsinitiative stimmen.

"Neue Wege für Berlin" zufolge haben 70 Prozent der 750 befragten Berliner erklärt, dass der Neubau bezahlbarer Wohnungen das beste Instrument sei, um die Situation für Mieter und Wohnungssuchende in der Stadt zu verbessern.

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