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"Bei DM kann man kein Bier klauen." Anwohner demonstrieren vor der Martkhalle Neun für den Erhalt des Aldi-Marktes.

© Robert Klages

Umstrittene Veränderungen in der Markthalle Neun: Kreuzberger demonstrieren für einen Aldi-Markt

Kann man seine Familie dauerhaft nachhaltig ernähren - oder ist es einfach zu teuer? In Kreuzberg wird darüber gestritten - und gegen Verdrängung demonstriert.

Samstag in Berlin. Wie üblich gibt es einige Demonstrationen und Kundgebungen in der Stadt – unter anderem in Kreuzberg für einen Aldi-Markt. Ja, genau: nicht gegen, sondern für den Discounter. Dieser soll in der Markthalle Neun bleiben, fordern rund 70 Protestierende in der Eisenbahnstraße vor der Halle. Die Betreiber hatten Aldi gekündigt, stattdessen soll ein dm-Drogeriemarkt kommen.

Vielen Anwohnern gefällt das gar nicht. In der Markthalle Neun wird es ihnen zu luxuriös. Es sei keine „Halle für Alle“ mehr, rufen sie, wie es die Betreiber einst versprochen hatten. Das hochpreisige Angebot richte sich überwiegend an Besserverdienende und Touristen, klagt Anja B., eine der Initiatoren der Pro-Aldi- Kundgebung – sie verteilt fleißig Flyer. Klar, sie als Architektin verdiene auch gut, aber auch sie gehe zum Aldi. „Dort ist es sehr familiär“, sagt sie. Mit dem Wegfall von Aldi sei es keine Halle für Anwohner mehr.

Diese spüren die Veränderung in dem Kiez, haben Angst vor Verdrängung. Sie fordern, die Markthalle solle alle finanziellen Verhältnisse offenlegen und Anwohner in Zukunft an grundlegenden Entscheidungen beteiligen. Einer der Betreiber, Nicolaus Driessen, sagt: „Wir sind im Dialog mit der Nachbarschaft.“ Ob der Aldi überhaupt noch bleiben kann? Ein Sprecher von dm sagte, es sei schon alles unterschrieben. Vielleicht Aldi und dm? Driessen will dazu zunächst nichts sagen. Einen Runden Tisch mit Vertretern der Politik hat es bereits gegeben – die SPD-Kreuzberg hatte sich zuletzt der Pro-Aldi-Bewegung angeschlossen.

Einige der Aldi-Befürworter sehen sich an diesem Sonnabend zum ersten Mal, sie haben ihren Protest in den vergangenen Wochen über E-Mails organisiert. „Aber wir sind schon länger unzufrieden“, sagt ein junger Mann. Die Gruppe sei auch untereinander uneins und nicht zufrieden damit, dass auf ihren Flyern Reiche und Touristen beschimpft werden. „Die können ja nichts dafür. Aber wir haben hier Angst vor der Entwicklung.“ Bei ihm habe es Klick gemacht, als er eines Tages in die Markthalle ging und ein Stand mit Bio-Eiern verschwunden war. Er hatte sich zwar nur im Tag vertan, der Stand war gar nicht weg, aber an diesem Tag habe er gespürt, dass noch mehr Dinge wirklich verschwunden waren, alles werde immer teurer und nobler.

Die Konsumenten in der Halle bekommen von der Pro-Aldi-Kundgebung vor den Toren wenig mit.
Die Konsumenten in der Halle bekommen von der Pro-Aldi-Kundgebung vor den Toren wenig mit.

© Robert Klages

Die Markthalle will Essen für alle anbieten, aber keine Fertigprodukte. Nachhaltig soll es sein. „Es wird oft übersehen, dass die Preise der Discounter zulasten anderer so günstig sind“, sagt Driessen. Bauern, Metzger und Bäcker sollten vom Verkauf der Produkte leben können. Alternativen zur industriellen Landwirtschaft sollen in der Halle gezeigt und verkauft werden. Ein Burger für 9,50 Euro, Wein für 20 Euro gibt es auch, viele Verkaufsstände, Obst und Gemüse, Bierstände. An diesem Sonnabend wird überwiegend Englisch gesprochen in der Halle, Touristen machen Selfies oder gehen in den Fotoautomaten.

„Ich kaufe so gesund wie möglich ein“

Unter den Protestierenden vor der Halle sind viele Rentner und Empfänger von Sozialleistungen – etwa 25 Prozent der Nachbarschaft sind nach Angaben der Kreuzberger Linksfraktion auf diese angewiesen. Gleichzeitig werden in dem Gebiet schon Wohnungen zu hohen Mietpreisen angeboten. Die Anwohner haben Angst, wegzumüssen. Für einige sei der Aldi essenziell zum Überleben, sagen sie. So sieht es auch eine junge Anwohnerin, die gerade aus dem Aldi kommt. Sie hat drei Kinder. „Ich kaufe so gesund wie möglich ein“, sagt sie. Auch mal bei den Gemüseständen der Öko-Bauern. Aber dort könne sie nicht alles einkaufen. „Um die Familie zu ernähren, jeden Tag, da brauche ich auch den Discounter.“

Gemüsehändlerin Sanna sieht das anders. „Die Nährwerte in unserem Gemüse sind höher, man braucht nicht so viel davon.“ Generell würden wir zu viel essen, Lebensmittel seien zu billig und wir würden zu viel unnötiges Zeug kaufen anstelle von Essen. Auch sie ernähre eine Familie mit drei Kindern. Es sei möglich, seinen Wocheneinkauf nachhaltig zu gestalten, egal, wie viel man verdiene, man müsse sich informieren und sich dazu entscheiden. Allerdings wohnt sie auf einem Hof in Brandenburg. Mit den Mieten in Berlin... „Klar, da wird es schon schwieriger“, gibt sie zu.

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An ihrem Stand, der „Wilden Gärtnerei“, sind die Preise nicht fest. Wer will, könne auch nur die Hälfte zahlen. Andere, die es können, sollen 110 Prozent zahlen, um die zu unterstützen, die das nicht können. Die Touristen und viele sonstige Besucher der Halle bekommen von der Kundgebung allerdings kaum etwas mit. Das sei auch so ein Ding, sagt Sanna: Die Halle würde auch zum unnötigen Vor-Ort-Konsum animieren. Allerdings könne man sich hier auch informieren, wie nachhaltiger Konsum aussehen kann.

„Die Markthallen-Betreiber verstehen nicht, dass sich nicht jeder nachhaltige Nahrung leisten kann. So gut das ist, aber solange es nicht für alle erschwinglich ist, muss es auch diese Discounter-Angebote geben“, sagt ein junger Mann aus Friedrichshain, der sich den Protesten angeschlossen hat. Dass sich die Protestete auch gegen die Stände-Betreiber in der Halle richte, finde er nicht gut. Einer von denen musste in letzter Zeit wohl einiges einstecken:

"Ein Preis, der für die Zukunft der deutschen Landwirtschaft steht"

„Unser Unternehmen bietet Waren an, die einen wahren Preis haben. Einen Preis von dem alle entlang der Lieferkette leben können. Es ist ein echter Preis. Ein Preis, der für die Zukunft der deutschen Landwirtschaft steht, für faire Arbeitsbedingungen, für den Erhalt eines fairen Renten- und Sozialsystems und für ein lebenswertes Miteinander vom Land bis in die Stadt.“ So sagt es Hendrik Haase, Gründer von „Kumpel und Keule Metzgerhandwerk“. Er ist an diesem Samstag nicht an seinem Stand in der Markthalle, denn es wurde ihm hier zu aggressiv.

Sanna hat einen Gemüsestand in der Markthalle Neun.
Sanna hat einen Gemüsestand in der Markthalle Neun.

© Robert Klages

Er versteht nicht, dass sich der Protest der Anwohner auch gegen ihn und die anderen Verkaufsstände richtet. Sein Unternehmen sei Anlaufpunkt für Landwirte und Bauern, die „die zerstörerische Preisdrückerei der Discounter satt haben.“ Es sei ein Skandal, dass Unternehmungen wie das seine nun als „Luxus-Fresserei“ bezeichnet werden und der Discounter als Robin Hood des Kiezes. „Anstatt für eine gerechte Sozial- und Ernährungspolitik zu kämpfen, die allen Menschen gute, saubere und faire Lebensmittel ermöglicht, werden Unternehmer wie ich zum Sündenbock für eine verfehlte Politik gemacht“, meint Haase.

Besonders empört ist er darüber, dass die SPD in Kreuzberg die Proteste unterstütze. „Die SPD stellt sich in die Reihe derer, die mich allein aufgrund meines Bartes und Hutes zum Hipster-Hassobjekt erklären und die ihre Frustration und Hass gegen alles und jeden richten, der für einen Wandel steht, wie auch immer er aussieht.“

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