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Die Autoren hoffen, dass in den Sommerferien die digitalisierte Schule vorangetrieben wird.

© Kay Nietfeld

Umstrittene Mail an Berliner Schulen und Eltern: „Die Bildungsverwaltung hat wohl nur die Prüfungen vermisst“

Zeugnisse ohne Unterrichtsausfall, eine unsinnige Quarantäne-Vorgabe: Der Senat agiert unsensibel – und hat kein Konzept für Digitalisierung. Ein Gastbeitrag.

Schon erstaunlich unsensibel, was die Senatsbildungsverwaltung am Nachmittag des 24. Juni, also nach der Zeugnisvergabe an die Schulleitungen aller Berliner Schulen verschickt hat, die es postwendend an die Eltern weiterreichten.

In drei Absätzen, deren Buchstaben zu fast 40 Prozent aggressiv fett betont sind, als wäre man des Lesens nur bedingt kundig, wird mit Verweis auf Paragraphen und Rechtsvorschriften festgestellt, dass eine Quarantäne nach Rückkehr aus den Ferien in einem Risikogebiet zu unentschuldigtem Fehlen vom Unterricht führt. Der angeführte Link mit der Liste der Risikogebiete nach RKI Definition führt ins Leere, „diese Seite gibt es nicht“.

Das ist aber nicht die ganze Geschichte: „Beurlaubungen unmittelbar vor oder nach den Ferien soll nicht genehmigt werden, es sei denn es handelt sich um einen wichtigen und unaufschiebbaren Ausnahmefall“, heißt es in den Regeln zur Befreiung vom Unterricht. Und offensichtlich ist eine Quarantäne beides: wichtig und unaufschiebbar.

Denn bleibt ein Kind nach einer Reise ins Risikogebiet nicht in Quarantäne, setzt es seine Mitschüler*innen einer großen Ansteckungsgefahr aus. Das kann ja in niemandes Interesse sein. Die Androhung von unentschuldigtem Fehlen führt aber in Versuchung, das Ferienziel zu verheimlichen und stillschweigend zur Schule zu gehen. Und damit werden die anderen Kinder gefährdet.

Schauen wir uns die soziale Seite an, die dieses Schreiben impliziert: Für wen ist es gemeint? Offensichtlich für alle Eltern, aber tatsächlich eher nicht für das Reise-gesättigte Bildungsbürgertum, sondern diejenigen, die die Sommerferien nutzen, um ihre Familie im Ausland zu besuchen, also diejenigen, die im weitesten Sinne einen Migrationshintergrund haben.

Für sie ist die Ferienzeit im Sommer weder reiner Bade- noch Bildungsurlaub, sondern die Möglichkeit, ihre nahen Verwandten zu besuchen. Natürlich haben sie jetzt schon gebucht und die durch die Schulverwaltung „dringend empfohlene“ Verkürzung der Reise um vierzehn Tage ist nur noch gegen Bezahlung möglich. Damit sind – wie schon an anderer Stelle – sozial Schwache stärker von der Pandemie betroffen.

Überlastete Lehrer und verunsicherte Kinder

Aber warum wundern wir uns eigentlich? Das Schreiben mit Ferienbeginn passt nahtlos zum Handeln der Senatsschulverwaltung in den letzten Monaten. So stehen in den Zeugnissen unserer Kinder genaue Angaben über wenige entschuldigte und keine unentschuldigten Fehltage und sogar eine Verspätung, aber nicht der kleinste Hinweis darauf, an wie vielen Tagen – entschuldigt oder unentschuldigt – gar kein Unterricht angeboten wurde.

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Für eines unserer Grundschulkinder begann nach Öffnung der Schule ein wöchentlicher Klausurmarathon, der mit einer Englischarbeit drei Tage nach dem ersten Schultag begann und mit einer Mathematikarbeit eine Woche vor den Ferien endete. Die ohnehin überlasteten Lehrer*innen mussten auch noch Klausuren entwerfen und korrigieren. Die verunsicherten Kinder Stoff von vor oder während der Schließung wiedergeben.

Kein überzeugendes Konzept zur Digitalisierung

Was jenseits der Qualität des elterlichen Unterrichts zensiert wurde, bleibt ein Rätsel. Und auch hier konnten die ohnehin begünstigten Familien mit zwei Elternteilen sowie ausreichend Zeit und Kenntnissen für die häusliche Lehre die besseren Noten erwarten. Gesprochen wurde von fehlender Bildung durch Schulschließung, die Senatsschulverwaltung hat wohl nur die fehlenden Prüfungen vermisst.

Statt mit unentschuldigten Fehltagen und Mindestklausurzahlen für kleine Kinder hätte sich die Senatsschulverwaltung mit einem überzeugenden Konzept für die Digitalisierung beschäftigen können. Stattdessen wurden freiwillig daran arbeitende Lehrer*innen und Schulen mit Einwänden frustriert.

Es bleibt zu hoffen, dass jetzt in den Sommerferien die digitalisierte Schule vorangetrieben wird. Auf jeden Fall aber muss bei Quarantäne-bedingten Fehltagen am Anfang des kommenden Schuljahres großzügig verfahren werden, will man das Vertrauen der Kinder und Eltern nicht endgültig verspielen.

Christian Thomsen ist Präsident der TU Berlin, Stephanie Reich forscht als Physikprofessorin an der FU. Den Beitrag haben sie als privates Statement zweier Eltern verfasst.

Stephanie Reich, Christian Thomsen

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