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Ein am Montag vorgestelltes Dossier soll eine breite gesellschaftliche Debatte über Straßennamen mit judenfeindlichen Bezügen und deren mögliche Umbenennung anstoßen.

© Annette Riedl/dpa

Umbenennung oder Kontextualisierung?: Antisemitische Bezüge bei 290 Straßen und Plätzen in Berlin

Es ist der erste systematische Überblick über problematische Straßennamen. Berlins Antisemitismusbeauftragter hofft auf eine konstruktive Debatte.

Um die Mohrenstraße in Mitte wird schon lange diskutiert, auch über mehrere Straßen im Afrikanischen Viertel in Wedding – weil ihre Namen auf immer mehr Menschen rassistisch wirken oder an Persönlichkeiten erinnern, die in der Kolonialgeschichte eine unrühmliche Rolle spielten.

Nun könnte es eine neue Debatte geben, dieses Mal um „Straßen- und Platznamen mit antisemitischen Bezügen in Berlin“. So lautet der Titel einer Untersuchung von Dossiers von Felix Sassmannshausen, das erstmals einen vollumfänglichen Überblick zum Thema bieten soll. Der Politikwissenschaftler hat bei 290 Namen von Straßen und Plätzen in Berlin antisemitische Bezüge gefunden, am Montag stellte er das Dossier vor.

Sassmannshausen fordert nicht nur Umbenennungen. Für jeden aus seiner Sicht problematischen Straßennamen liefert er eine historische Einbettung des Falls, weiterführende Literatur sowie eine Handlungsempfehlung. Er hofft auf eine Auseinandersetzung und will mit seinem Dossier vor allem eine systematische Grundlage für eine größere Debatte schaffen.

In einem vierstufigen System reichen seine Vorschläge von der niedrigsten Stufe, die weitere Forschung empfiehlt, über Kontextualisierung online und vor Ort – etwa durch eine ergänzende Plakette am Straßenschild – bis hin zu einer Umbenennung, die als drastischste Maßnahme gilt.

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So schlägt er beim Richard-Wagner Platz eine Umbenennung vor, da der Komponist überzeugter Antisemit war. Für die Fichtestraße in Friedrichshain-Kreuzberg hingegen, bei deren Namensgeber sich frühantisemitische Passagen finden lassen, reiche eine Kontextualisierung aus.

Berlins Antisemitismusbeauftragter Samuel Salzborn, dessen Büro das Dossier in Auftrag gegeben hat, unterstützt die differenzierte Herangehensweise und betont, wie wichtig die Diskussionen dazu seien: „Der richtige Impuls kann kein konfrontativer sein. Dabei verschenken wir die notwendige Debatte.“

Eine Änderung des Berliner Straßengesetzes von August 2020 könnte diese Debatte begünstigen: „Zukünftig wird ausdrücklich auf die Möglichkeit verwiesen, Straße umzubenennen, wenn deren Namen koloniales Unrecht heroisieren oder verharmlosen und damit Menschen herabwürdigen“, schrieb der Senat.

"Zu Schildern geronnene gesellschaftliche Verhältnisse"

Auch Deborah Hartmann befürwortet die Vorgehensweise von Sassmannshausen. Sie leitet die Gedenk- und Bildungsstätte im Haus der Wannsee-Konferenz und beschäftigt sich mit der Frage, was Erinnerungskultur bedeutet.

Sie verweist auf die Debatte um die Treitschkestraße in Steglitz: Heinrich von Treitschke wurde mit dem Satz „Die Juden sind unser Unglück“ zum Stichwortgeber einer antisemitischen Bewegung. Anwohner stimmten mit deutlicher Mehrheit gegen einen neuen Namen – aus praktischen Gründen.

Auch Sassmannshausen empfiehlt hier: eindeutig umbenennen. Straßen sind für ihn „mehr als Adressen, in denen wir leben“. Sie seien „ zu Schildern geronnene gesellschaftliche Verhältnisse” und spiegeln die Kultur zur Zeit der Namensgebung wider. Er will, dass die Gesellschaft sich die Frage stellt: An welcher Kultur wollen wir anknüpfen?

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