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Man muss sich auf die Spielregeln von Lebenswelten einlassen. Lukas war mal Koch, Pfleger und Kolumnist.

© Thomas Wochnik

Um Genuss ist es nie gegangen: Parallelwelten als literarischer Stoff

Autor Clint Lukas kommt an jedem Türsteher vorbei. Aber er kommt nicht an. Davon handelt auch sein neuer Roman.

Es gibt Menschen, die charakterliche Felsen in der Brandung sind, die sich durch nichts verunsichern lassen und stets mit sich selbst identisch wirken. Die jede einmal gefasste Meinung zum Prinzip erheben, ein klares Profil haben. Clint Lukas zählt nicht dazu.

„Mich interessieren Parallelwelten. Ich bin einmal Koch geworden, nur weil mich dieser vom Rest der Welt abgekoppelte Rhythmus interessierte.“ Er war auch schon Pfleger, Filmemacher, bis Sommer 2019 Tagesspiegel-Kolumnist. Produktionsleiter am Theater und auf der Theaterbühne Sargträger Gustav Mahlers. Vater, Clubgänger und Schriftsteller. Wie viele Leben passen in das eine?

In seiner Wohnung in Wedding: ein offensichtlich wild bewohntes Kinderzimmer, im Wohnzimmer das für Bildungsmenschen obligatorische Bücherregal sowie, über das Obligatorische hinausgehend, ein gemietetes Klavier. Darauf recht anspruchsvolle Rachmaninoff-Partituren.

Wer Lukas nur aus seinen Nachtleben-Texten für den Tagesspiegel oder, aktuell, Mit Vergnügen kennt, könnte sich wundern. Nebenan, im Arbeitszimmer, eine gut bestückte Arbeitsbar, schon näher am Schriftstellerklischee.

Eklektisches Leben macht eklektische Literatur

Aus literarischer Sicht sind das eigentlich schon zu viele Handlungsstränge, die hier zusammenlaufen. Wie in manchen seiner Texte. „Das muss man entzerren“, hat er schon oft von Lektoren gehört, die sich mit der Einordnung seiner Literatur schwertaten.

Ein bisschen Krimi, ein bisschen Liebesgeschichte, ein bisschen Vater-Tochter-Beziehung – auch sein neues Buch, „Asche ist furchtlos“, (ab 12. Dezember bei Periplaneta, 256 Seiten, 20 Euro) feiert den Eklektizismus.

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Der Protagonist ist fremd in Berlin, verirrt sich eines Nachts in einen Club und verliebt sich in eine Frau, eine Drogendealerin. Kaum haben die beiden etwas miteinander angefangen, verschwindet sie auf mysteriöse Weise und er, der Zaungast, der sich in der Clubwelt nicht auskennt, begibt sich auf Spurensuche.

„Auch ich bin vor Jahren durch die Bekanntschaft einer Frau, die mehr oder weniger in den Berliner Clubs lebte, in diese Welt hineingekommen, kam durch sie in Backstage-Bereiche, die dem normalen Publikum verschlossen waren.“

Aufgefallen sei ihm, erzählt er, dass diese Freundin auf den ersten Blick so unfassbar frei wirkte, bei näherer Betrachtung aber eine Sklavin dieser Welt war, immerzu Netzwerkpflege betreiben musste, Bekanntschaften warmhalten, präsent sein und nach den Regeln des Nachtlebens spielen, um ihren Status zu halten.

„Ich kam mit ihr an jedem Türsteher vorbei, war aber viel allein, sobald wir drin waren, weil sie sich um ihre Leute kümmern musste. Irgendwie faszinierend und beklemmend. Genossen habe ich das nicht.“ Um Genuss ist es dabei auch nicht gegangen. Es war als Lebenswelt interessant. Und als literarischer Stoff.

Parallelwelten und ihre Regeln

Eine Bekannte habe sich über die Warteschlange am Berghain empört, erzählt er – „die wollen alle ganz wild sein, aber stehen hier so brav und demütig“ –, und sei, weil sie das etwas lautstark geäußert habe, nicht reingelassen worden. „So sehr ich ihren Ärger verstehen kann, so affig finde ich ihn auch.“

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Will man eine Parallelwelt kennenlernen, muss man sich auf sie einlassen, ihre Regeln, Kleidercodes, Werte annehmen. Die eigene Identität zum Spielball der dort wirkenden Kräfte werden lassen.

„Ich habe mich eingearbeitet, habe mich über zwei Jahre immer wieder in alle möglichen Clubschlangen gestellt und bin immer wieder abgewiesen worden – beim Berghain habe ich es anfangs gar nicht erst probiert.

Als ich mich selbst irgendwann als reif fürs Berghain erachtete, bin ich auch direkt reingekommen und bislang noch nie abgewiesen worden. Aber jedes Mal hatte ich das Gefühl, mich reingemogelt zu haben und fehl am Platz zu sein.“

Man kann auch nicht überall dazugehören. Aus dem pfälzischen Neustadt an der Weinstraße stammend, 1985 geboren, hat Lukas eine wohlbehütete Kindheit genossen. Die Eltern leben dort bis heute in einer glücklichen Ehe. Nicht jeder hatte eine verkorkste Kindheit, die glaubwürdig ein Leben auf Selbstzerstörungskurs begründen würde, wie er es zu führen versuchte.

Für die Literatur ist die Außenseiterperspektive allerdings Gold. „Man braucht Abstand zum Sujet, damit man seine Figuren mit Humor sehen kann, nicht zu sehr Partei ergreift. Wut, zum Beispiel, würde nur lähmen. Wäre ich wütend, wäre ich Journalist, würde Dinge aufdecken“, sagt der Autor.

So flexibel der Clubgänger, Vater, Beziehungsmensch Lukas seine Identität handhabt, so kompromisslos gibt er sich als Schriftsteller. „Zwanzig Prozent meiner Zeit verwende ich auf das Schreiben, achtzig auf Klinkenputzen oder Ellenbogeneinsetzen, Mich-Vermarkten.“

Und ewig geht der Literaturbetrieb zugrunde

Das sind wiederum die Spielregeln des Literaturbetriebs, an denen man auch zugrunde gehen kann, wenn man nicht vorbereitet ist. Bevor man schreibe, habe man diese romantische Vorstellung vom Schriftstellerberuf, sagt er, dass man nur gut schreiben müsse, seinen eigenen Stil entwickeln, und der Rest schon kommen würde.

„Dann führst du Gespräche mit Lektoren, die dir das Gefühl geben, dass du nur noch ein wenig am Text feilen müsstest und es würde ein Vertrag zustande kommen, der am Ende doch nicht kommt. Es dauert, bis man versteht, dass die, die sich mit literarischen Texten auskennen, im Literaturbetrieb am wenigsten zu sagen haben.“

Vieles würde vom Marketing entschieden, anhand von Zielgruppenanalysen oder danach, wie ein Titel im Verlagsportfolio platziert werden kann. „Das Nichtvorhandensein einer Risikobereitschaft und der Umstand, dass all diese Marktregeln wichtiger werden als der Text, hat mich schon ganz schön desillusioniert.

Deswegen bin ich lieber bei einem kleinen Underground-Verlag. Das bedeutet mehr Kontrolle über mein Produkt, die Texte werden nicht so rundgelutscht wie bei vielen Publikumsverlagen. Aber auch mehr Arbeit für mich. Und weniger Geld.“

Vielleicht doch ein wenig Wut? Da helfe nur, Balzac zu lesen, sagt Lukas. Der beschrieb schon vor 200 Jahren genau dieselben Probleme eines in seinen Augen zugrunde gehenden Literaturbetriebs. „Da erscheint mein Frust wieder komisch und ich muss drüber lachen.“ Dann wieder die Vernunft: „Ich habe mich eben für diesen Weg entschieden, so sind nun mal die Spielregeln.“ Wie in der Schlange vorm Berghain.

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