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Update

Überfall am Bahnhof Friedrichstraße: Neues Video: U-Bahn-Schläger sieht sich entlastet

Ein neues Video des brutalen Überfalls am U-Bahnhof Friedrichsstraße könnte Einfluss auf die juristische Bewertung der Tat haben. Das spätere Opfer reagierte offenbar aggressiv.

Torben P. hat Markus P. brutal zusammengeschlagen, wie von Sinnen gegen dessen Kopf getreten und ihn schwer verletzt. Der 18-Jährige hat die Tat gestanden, es gab ein Video. Genauer gesagt: kurze Filmausschnitte, die zur Fahndung veröffentlicht wurden. Später verschonte der Richter den Angeklagten Torben P. von der Untersuchungshaft, stufte die Tat nicht als versuchten Mord, sondern als versuchten Totschlag ein und stieß damit auf großes Unverständnis. Das alles war vor Monaten. Doch nun gibt es neue Bilder, die zeigen, dass das spätere Opfer Markus P. nach einem verbalen Streit mit dem Angeklagten auf einer Bank zuerst aufgesprungen ist, bevor er zusammengeschlagen wurde. Muss die Tat als eine Reaktion auf eine Bedrohungslage gewertet werden und kann dies Auswirkungen auf das Urteil haben? Und warum wurden diese Szenen nicht schon während der Fahndung nach dem Täter veröffentlicht?

„Es ist eine Eilsituation, in der die Strafverfolgungsbehörde darüber entscheidet, welche Bilder am besten für die Wiedererkennung der Täter geeignet sind. Die von uns ausgewählten Szenen erschienen uns dafür am besten“, sagte Simone Herbeth, Sprechern der Staatsanwaltschaft. Wichtig sei bei der Auswahl vor allem, den möglichen Zeugen die Tat wieder deutlich vor Augen zu rufen und ihnen die Dringlichkeit zu vermitteln, der Polizei Hinweise zu liefern. Fest stehe, dass dabei allen Verfahrensbeteiligten von Anfang an das gesamte Videomaterial vorgelegen habe – also der Staatsanwaltschaft, den Verteidigern und nach Anklageerhebung auch dem Gericht.

Rechtsanwalt Thorsten Bieber erklärte jedoch, er habe das bislang unveröffentlichte Material „beim Gericht beantragt“, weil ihm klar gewesen sei, dass das während der Fahndung von der Polizei und Staatsanwaltschaft veröffentlichte Video nur einen Teil der Tat zeigte. Aus seiner Sicht sehe man anhand der neuen Videobilder, die die Minuten vor der Tat dokumentieren, „dass es der Geschädigte war, der die Auseinandersetzung hat körperlich werden lassen“. Diese Tatsache könnte Auswirkungen auf das Urteil gegen die beiden Beschuldigten haben.

Die Erklärung der Staatsanwaltschaft, nur diesen bestimmten Ausschnitt veröffentlicht zu haben, beschreibt Bieber als „nicht plausibel“. „Durch die selektive Verbreitung hat die Tat eine andere Bedeutung in der Öffentlichkeit bekommen, als wenn man auch die Rolle des späteren Opfers in den Sequenzen davor gesehen hätte.“ Bieber spricht davon, dass man aus der Auswahl des Fahndungsmaterials durch die Staatsanwaltschaft „viele Schlüsse ziehen“ könne. Nicht selten stünden bestimmte Interessen hinter der Veröffentlichung von Beweismitteln, sagte indessen Herbeth von der Staatsanwaltschaft. Im Gegensatz zu schriftlichen Schriftstücken wie Vernehmungsprotokollen ist es nicht strafbar, Videobeweise publik zu machen. „Problematisch ist es dennoch, wenn Beweismittel vor dem Prozess von der Öffentlichkeit erörtert werden, weil dabei keine klaren Grenzziehungen vollzogen werden“, sagte Tobias Kaehne, Sprecher der Strafgerichte.

Die Minuten vor einer Eskalation ändern den Blick auf einen Fall. Warum es zur Tat kam und wer oder was die Schlägerei ausgelöst habe, spiele daher eine wichtige Rolle bei der Urteilsfindung, so Kaehne. „Sicher ist, dass das Gericht seit Mai das komplette Beweismaterial kennt und nicht jetzt erst vom genauen Tathergang in Kenntnis gesetzt wurde.“

Der Angeklagte Torben P. ist wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Sein Begleiter wegen gefährlicher Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft ändere das veröffentlichte Videomaterial nichts an der Beschuldigung der Angeklagten. „Die Bilder zeigen, dass das Opfer von den Tätern angepöbelt wird, dann aufsteht und im Anschluss das Geschubse beginnt. Aber spätestens, als er am Boden lag, wäre ein möglicher Angriff aus einem Bedrohungsgefühl heraus abgewehrt gewesen“, sagte Herbeth von der Staatsanwaltschaft.

Die Wende in der Vorgeschichte erinnert an die Ermittlungen im Fall Dominik Brunner. Der Geschäftsmann starb 2009 nach einer Prügelei mit zwei Jugendlichen an einem S-Bahnsteig in München. Er wollte im Vorfeld vier Schüler vor den gewalttätigen jungen Männern beschützen, die versucht hatten, die Schüler zu überfallen. Dabei hatte er schwere Verletzungen durch Hiebe und Tritte auch gegen den Kopf erlitten. Kurz nach Prozessbeginn stellte sich jedoch heraus, dass Brunner den ersten Schlag ausgeführt hatte und daraufhin erst von den Jugendlichen niedergeschlagen worden war.

Lange wurde spekuliert, ob Brunners Schlag die Eskalation unnötig ausgelöst oder ob er eine Reaktion auf eine akute Bedrohungslage war und damit die Mordanklage aufrechterhalten werden könne. Hinzu kam, dass Brunner an Herzversagen und nicht an etwaigen tödlichen Verletzungen gestorben war. Am Ende wurden die Täter zu langen Haftstrafen und einer von ihnen wegen Mordes verurteilt, weil er noch auf Brunner eingetreten hatte, als dieser bereits wehrlos am Boden lag. Auch die Bewertung der Tat blieb die gleiche: Hätten die beiden Täter nicht auf Brunner eingeschlagen, wäre sein Herz nicht stehen geblieben.

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