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Im Kletterwald ist Höhenangst ein Hindernis.

© Fatina Keilani

Über das Leben mit Kindern und Corona: Beim Klettern die Angst überwinden

Wie findet man die Balance zwischen Ausnahmezustand und Normalität? Im Kletterwald Frischluft tanken, ist eine Strategie, findet unsere Autorin.

Von Fatina Keilani

Vor vier Jahren war ich mit zwei Kindern auf dem Darß, und an einem Tag gingen wir in den Kletterwald. Die damals neunjährige Tochter überwand ihre Angst und kletterte die höchste Tour allein, der kleine Bruder hingegen, damals sieben, war nur kurz oben, ließ sich wieder herunterholen und schwor, etwas Schlimmeres habe er noch nie erlebt als das Gefühl, keinen Boden unter den Füßen zu haben.

Vor Kurzem war ich mit allen vier Kindern nochmals dort. Alles war anders! Der Kleine, inzwischen elf, hielt sich an den 15-jährigen Bruder. Sie kletterten alle Parcours, auch den höchsten – neun Meter über dem Boden! Er starb fast an seiner Höhenangst, aber eins wollte er gewiss nicht: dass er nochmal nach unten begleitet wird.

Die Kinder sind eine eingeschworene Truppe

Die beiden Mädchen, inzwischen 13 und 15, machten ebenfalls alle Touren gemeinsam. Von Angst war bei ihnen gar nichts zu sehen. Furchtlos und fast schon leichtfüßig tippelten sie in luftiger Höhe über schwankende Bohlen, warfen sich in die Tiefe, wenn es was zu schlittern gab, und feuerten sich gegenseitig an, wenn es mal hakte. Ich stand unten und freute mich über soviel Geschwisterseligkeit – diese Truppe ist, wenn es drauf ankommt, beneidenswert eingeschworen.

Im Kletterwald schien die Welt coronafrei. Frische Luft, ein Hauch von Abenteuer, niemand mit Schutzmaske. Schon bei Rückkehr in die Jugendherberge wurden wir daran erinnert, dass die Zeiten alles andere als normal sind. Kein leckeres Büfett wie früher, sondern Essensausgabe ungenießbarer Fertigmahlzeiten, lange Warteschlangen, obwohl nur halb so viele Gäste wie üblich da sein durften, und das Hallenbad war auch geschlossen.

Alltag mit Corona: Wir können nicht ausweichen

Zurück in Berlin, geht es weiter mit der schwierigen Balance zwischen Angst und Normalität. Jeden Morgen verlassen vier Kinder das Haus, sie besuchen drei Schulen, zwei fahren mit U-Bahn und Bus quer durch die Stadt, die anderen zwei fahren nur U-Bahn. Alle gehen mit ihren Freunden nach der Schule Burger oder Döner essen oder setzen sich für das nächste Referat zusammen. Mit anderen Worten: Alle sind dem wabernden Virus irgendwie ausgeliefert und verteilen es im Zweifel weiter. Wie das im Herbst aussehen wird, wenn sich die Menschen in der U-Bahn gegenseitig vollschniefen, möchte ich noch gar nicht wissen. Andererseits: Vielleicht haben die Schweden mit ihrem singulären Kurs ja doch Recht. Vielleicht ist dosierte Exposition gar nicht so verkehrt für die Gesamt-Immunität. Uns bleibt ohnehin nichts übrig, als das auf uns zukommen zu lassen.

Der Triumph auf dem Darß endete übrigens schmachvoll. Der euphorische Elfjährige löste übermütig auf dem Podest beide Karabiner – und wurde sofort von einem Mitarbeiter geschnappt, nach unten begleitet und durfte nicht mehr hoch. Man darf eben nicht leichtsinnig werden.

(Auch in Berlin kann man klettern, etwa im Waldhochseilgarten Jungfernheide. Derzeit nur mit Online-Reservierung.)

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