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Gut Suckow. Das ehemalige Inspektorenhaus bildete den „Nordflügel“ des Schlosses. Das brannte 1945 nieder.

© Stefan Berkholz

Uckermark: Die Natur macht Programm

In Suckow genießen Gäste die Ruhe der Uckermark – und radeln ins Grüne. Ein Reisetipp zur Naherholung.

Der Besuch bei Verwandten kann eine lästige Pflicht sein – und manchmal ein großes Vergnügen. Die von Arnims jedenfalls konnten sich darauf freuen. Denn war nicht jeder Landsitz der weitverzweigten Familie ein Schmuckstück im Grünen? Mehr als ein Dutzend Gutshöfe und Schlösser besaß sie bis 1945 in der Uckermark. „Die Gegend ist ganz reizend, sehr bunt, hüglig, von Büschen und Seen unterbrochen, wie ein Kindergarten“, schwärmte Achim von Arnim am 14. Juli 1809 in einem Brief an seine Frau Bettina. Gut zweihundert Jahre später könnte man es nicht treffender sagen. Inmitten dieser Landschaft war der Dichter auch Gast in Suckow, einem Schloss, das im 17. Jahrhundert im italienischen Stil erbaut worden war. Wohnte in einem der hundert Räume der Anlage, bewunderte die venezianischen Ölbilder im Salon, prüfte die Trauben im Weingarten und spazierte über die Wiese zum Ufer des verträumten Haussees.

Vergangenheit. Das Schloss brannte 1945 nieder, nur die Fundamente zeugen noch von seinen riesigen Ausmaßen. Der sogenannte Nordflügel, das ehemalige Inspektorenhaus, allerdings blieb stehen, auch der Marstall ist noch da. Zu DDR-Zeiten wurden die Gebäude landwirtschaftlich genutzt. Ins Inspektorenhaus zog ein Jugendwerkhof ein und praktizierte seine berüchtigten Erziehungsmethoden. Der Park verwilderte. Niemand schnitt die zahlreichen Obstbäume zurück. Die Brunnen – ein Jammer. Ein paar Häuser, in den 50er Jahren gebaut, wurden von wenigen Mietern bewohnt.

Oft fuhr der Berliner Joachim Schmidt mit seiner Frau Karoline hier vorbei – und bemerkte eines Tages, „dass die Wiesen nicht mehr gemäht wurden“. Das Ende von Gut Suckow schien besiegelt. 2005 verließ die letzte Mieterin das marode gewordene Inspektorenhaus. Das Gut stand zum Verkauf. Joachim Schmidt, der sein Geld als Pharmazeut in der Industrie verdient, erwarb es zu einem Preis, „für den man in Berlin keine kleine Eigentumswohnung mehr bekommen kann“. Der Kauf war das eine, aber was sollte nun aus der verkommenen Anlage werden? Wann sollten sich hier je Urlauber erholen können? Europäische Fördermittel halfen. „Für jeden Euro, den wir mitgebracht haben, bekamen wir drei, vier Euro dazu“, sagt Schmidt. Dafür verpflichtete sich das Ehepaar auch, hier Arbeitsplätze zu schaffen.

2013 konnten die ersten Gäste im Inspektorenhaus übernachten

Zuerst wurde der Park nach und nach hergerichtet, tonnenweise Schutt abgetragen, turmhohe Pappeln wurden gefällt. Einheimische sahen zwar allmähliche Fortschritte auf dem Gelände, zweifelten aber am Gelingen. Auch wenn sie den neuen Eigentümern durchaus wohlgesonnen waren. „Wir sind ja beide aus dem Osten“, sagt Schmidt und vermutet: „Das hat geholfen.“

Acht Jahre später war es dann so weit: 2013 konnten die ersten Gäste im blassrosa getünchten Inspektorenhaus übernachten. „Auch bei der Farbwahl hat die Denkmalpflege natürlich mitgewirkt“, erzählt Schmidt. „Die hatten in den untersten Schichten einen Rotstich entdeckt.“ Im Erdgeschoss befindet sich nun das Restaurant und eine kleine Bibliothek. Eine geschwungene Holztreppe führt zu den Zimmern hinauf. „Schade, dass sie neu ist“, finden wir, „konnte man die alte Treppe nicht restaurieren?“ Joachim Schmidt schüttelt den Kopf. „Da war nichts Altes mehr im Haus. Die vorgefundene Treppe war aus Beton.“ Die schönen alten Fliesen und auch der Prachtkachelofen in einer Ecke stammen aus Abrisshäusern aus Binz und Berlin.

Die verhältnismäßig kleinen Zimmer sind ansehnlich möbliert – und haben keine Fernseher. „Wir haben selbst keinen zu Hause“, sagt Schmidt, der mit seiner Familie noch immer in Berlin wohnt. Wer zur Ruhe kommen will, wird eine Flimmerkiste kaum vermissen. Im Sommer zumal, wenn der Park zum Spazieren lockt. Die Gäste suchen sich ein verschwiegenes Plätzchen auf der Wiese, springen in den klaren Haussee, lesen ein Buch auf der Terrasse – oder radeln einfach los.

„Es sind kaum noch Uckermärker hier“

Drei Kilometer sind es von Suckow nach Fergitz, immer geradeaus auf einer schmalen Straße durch eine sanft gewellte Wiesenlandschaft. Unterwegs Pause am „Potzlowblick“. Allüberall blinkendes Blau im Grünen. Man sieht den Silbersee, den Krummen See, den Runden See, den Kossätensee, den Potzlower See, und in der Ferne streckt sich lang der Oberuckersee. Mitten im verträumten Fergitz steht eine schön restaurierte Backsteinkirche. Drei Frauen aus dem Dorfverein bieten selbst gebackenen Kuchen und Kaffee gegen Spenden an.

Wenn genug zusammengekommen ist, soll Dorothee Elisabeth Tretschlaff hier ein Denkmal bekommen. Die junge Magd war das letzte Todesopfer der Hexenverbrennungen in Brandenburg am 17. Februar 1701. Die Frauen, ihre Namen wollen sie nicht nennen, klagen ein wenig. Kaum jemand beteilige sich noch an der ehrenamtlichen Arbeit, nicht mal für Blumenschmuck in der Kirche werde gesorgt. „Es sind ja kaum noch Uckermärker hier“, sagen sie, 80 Prozent der neuen Bewohner seien Berliner. „Künstler leben hier, alles Künstler“, sagt ein hinzugekommener Mann und spöttelt: „Na, diese Kunst sollten Sie mal sehen.“ Man ist sich fremd.

„Wirtschaftlich passiert hier nichts“, sagt Joachim Schmidt, und im Tourismus verdiene man wenig Geld. Fünf Arbeitsplätze für Gärtner, Köchin und Servicekräfte hat er geschaffen, doch gute Mitarbeiter zu finden, sei schwer. Die Lebenswelten der Dörfler und Städter seien grundverschieden, da hakt es schon mal beim richtigen Umgang mit den Gästen.

Radtouristen sind herzlich wilkommen

Hinter Potzlow gehört das Reich den Tieren. Eben warnte noch ein Schild vor Krötenwanderungen, dann könnten Otter kreuzen und wenig später Hirsche die Fahrbahn wechseln. Mohnblumen lugen zahlreich aus Weizenfeldern, darüber spannt sich ein blau-weiß getupfter Sommerhimmel. Die Radler, hier oft auf schmalen Straßen unterwegs, können entspannt in die Pedalen treten. Die wenigen Autos stören kaum. Dass jetzt immer mehr Fahrradfahrer die Region durchqueren, liegt am Fernweg Berlin–Usedom. In vielen Dörfern hat man sich auf die neuen Gäste eingestellt. „Willkommen, liebe Radtouristen“, wirbt ein Schild am Ortseingang von Steinhöfel. Wir kehren ein und fragen nach dem Weg zum Schloss. „Wir haben keins“, sagt die Imbissverkäuferin lächelnd, „Sie meinen Steinhöfel im Landkreis Oder-Spree.“

Ganz eigenständig finden wir die Idylle zwischen Peetzig und Görlsdorf. In den Flachgewässern rechts und links des Feldwegs schnattert’s, keckert’s, zirpt’s und zwitschert’s. Verharren, staunen, lauschen. Die Welt steht still. Kurz darauf muss man sich entscheiden: links nach Angermünde oder rechts zum Wolletzsee. Eine Radlergruppe aus Dortmund diskutiert und fragt: „Lohnt der Abstecher nach Angermünde?“ „Hier ist alles schön“, sagen wir keck. Und so stolz, als seien wir selbst Uckermärker. Am Wolletzsee verkündet ein Schild den Artenreichtum. „Großer und Kleiner Abendsegler, Rauhautfledermaus, Mückenfledermaus, Fransenfledermaus, Wasserfledermaus.“ Ein Lehrstück, Kilometer für Kilometer.

Dass alles so verträumt bleiben wird, sei eine Illusion, glaubt Joachim Schmidt. „Wir sind nur eine gute Stunde von Berlin entfernt.“ Der ländliche Raum werde sich verändern. Doch das, so hoffen wir, wird noch lange, lange dauern. Zum Glück halten viele die Abgeschiedenheit gar nicht aus. Zwar gibt es auch auf Gut Suckow W-Lan, „doch das ist entsetzlich langsam“, sagt eine Frau auf der Terrasse und starrt verzweifelt auf ihr Smartphone. Wir schauen in den rosa Abendhimmel. Über dem Haussee fliegt ein Storch.

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