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U2 am 09.07.2017 in London

© dpa

U2 im Olympiastadion: Bono ist zurück in seiner Lieblingsstadt

Mit ihrem heutigen Konzert feiern U2 den 30. Geburstag ihres Albums "Joshua Tree". Doch das Event wird auch eine Wiedersehensfete mit Berlin.

Der erste Eindruck war verstörend, dabei hatten die Musiker von U2 genau das Gegenteil erwartet. Am Nachmittag des 2. Oktober 1990 landeten sie in Schönefeld, um in den darauffolgenden drei Monaten in Berlin an einem neuen Studioalbum zu arbeiten. Auf die Idee dazu hatte sie Brian Eno gebracht. Der Produzent hatte in den 70er Jahren mit David Bowie in den Kreuzberger Hansa Studios an dessen Berlin-Trilogie gearbeitet – aus dieser Zeit war ihm die Stadt in guter Erinnerung geblieben.

Doch jetzt, knapp eineinhalb Jahrzehnte später, war alles anders. Kurz zuvor war die Mauer gefallen, und Berlin befand sich irgendwo zwischen Freudentaumel und Fassungslosigkeit. Wie dicht beides beieinander lag, wie wenig es manchmal voneinander zu unterscheiden war, bekamen U2 bereits einen Tag nach ihrer Ankunft mit: Statt wie geplant auf der großen Feier zur Wiedervereinigung landeten sie auf einer kommunistischen Gegendemo. Es sollte nicht das einzige irritierende Erlebnis bleiben.

Achtung Baby

Wenn U2 am heutigen Mittwoch im ausverkauften Olympiastadion auftreten, um das 30. Jubiläum ihres Albums „The Joshua Tree“ zu feiern, kehren sie gern nach Berlin zurück. Ihre Liebe zur deutschen Hauptstadt betonen sie in Interviews immer wieder; im Song „Oh Berlin“ bezeichnen sie die Stadt sogar als „city of my crush“, als eine Art Sehnsuchtsort, in den sie sich einst verliebt hatten.

Im Rückblick versteckt sich die Vergangenheit ja gern hinter einem funkelnden Schleier der Verklärung. Und so gilt den Rockern Berlin heute als der Ort, an dem sie sich nach längerer Schaffenskrise neu erfunden und mit „Achtung Baby“ eines ihrer wichtigsten Werke geschaffen haben. Musik, das betonte Sänger Bono später in Interviews zur Entstehungsgeschichte der Platte, erwachse immer aus einer bestimmten Umgebung.

Im Herbst und Winter des Jahres 1990 war diese Umgebung vor allem trist und braun.

Sänger Bono gibt am 09.07.2017 in London alles.
Sänger Bono gibt am 09.07.2017 in London alles.

© Joel Ryan/Invision/AP/dpa

Während der Aufnahmen zu „Achtung Baby“ wohnten U2 im Palasthotel in Mitte. In dem eigenwillig-futuristischen Plattenbau an der Karl-Liebknecht- Straße hatte das Ministerium für Staatssicherheit noch kurz zuvor Prostituierte auf Geschäftsmänner aus dem Westen angesetzt. Nun sollte die einstige Luxusherberge den Musikern aus Irland als Rückzugsort nach der Arbeit im Studio dienen. Doch auch ein Jahr nach dem Fall der Mauer saßen an der Bar vor allem „Männer in gestreiften Anzügen, auf jedem Knie eine Nutte“, wie sich Bono später in einem Gespräch mit dem britischen Musikmagazin NME erinnerte.

An Entspannung war jedenfalls nicht zu denken. Vielmehr erlebten die Gäste in dem Hotel schlaflose Stunden wider Willen. Eine prägte sich dem Sänger besonders ein. „Mitten in der Nacht wurde ich von einem Schrei geweckt, der einem das Blut in den Adern gefrieren ließ“, erzählte Bono dem NME. „Ich dachte, jemand wird ermordet. Es war eine Frau im Zimmer über mir. Ich war kurz davor, zum Telefonhörer zugreifen, als ich auf einmal ein Kichern hörte. Es stellte sich heraus, dass das Ganze ein SM-Akt war.“

Ähnlich befremdlich stellte sich für U2 der Weg vom Hotel in Mitte zu den Studios in Kreuzberg dar. Er führte vorbei am Potsdamer Platz. Auch Jahre später ist der Platz Bono als Feld „mit Hühnern und wirklich exzentrischen New-Age- Hippies, die in Wohnwagen lebten“, in Erinnerung geblieben. Das verriet er 2014 am Rande der Bambi-Verleihung.

Existenzkrise in Berlin

Ebenso kurios wie den Potsdamer Platz erlebten die Musiker auch die Hansa Studios in der Köthener Straße 38. Diese waren längst nicht mehr die hochwertig ausgestatteten Aufnahmeräume, von denen Brian Eno einst geschwärmt hatte. Die Studiotechnik war mittlerweile veraltet, und so mussten die Iren erst eigenes Equipment aus Dublin anliefern lassen. Doch auch die eigene Technik brachte den kreativen Prozess nur schleppend in Gang. Die Atmosphäre des Meistersaals – von David Bowie einst als „big hall by the wall“ gepriesen – empfanden Bono und Co. als bedrückend und wenig inspirierend.

Hinzu kam die angespannte Stimmung innerhalb der Band darüber, in welche Richtung sich ihre Musik entwickeln sollte. Statt der erhofften neuen Impulse sahen sich U2 in Berlin mit existenziellen Fragen konfrontiert; die Band war kurz davor, sich aufzulösen. Brian Eno war es, der Wogen glätten konnte. Und so entstand „One“ – Schlüsselstück und Initialzündung zugleich.

Wie wichtig diese Phase für die Bandgeschichte war, zeigte vor sechs Jahren die Doku „From The Sky Down“ von Regisseur Davis Guggenheim. Für den knapp eineinhalbstündigen Film anlässlich des 20. Jubiläums von „Achtung Baby“ besuchten U2 noch einmal in die Hansa Studios. Im Meistersaal, in dem zwei Jahrzehnte zuvor Szenen zum Video für „One“ gedreht wurden, spielten sie einige Stücke neu ein. Die Platte, so Bono in der Doku, sei der Grund dafür, dass die Band immer noch existiere.

Bono was here

Tatsächlich wurden damals in Kreuzberg nur wenige Stücke fertig gestellt. Große Teile von „Achtung Baby“ beendete die Band erst ab Februar 1991 in Dublin. Und doch nahm sie aus ihrer Zeit in der Köthener Straße etliche Skizzen zu neuen Stücken mit heim. Unter anderem die Idee zu „Stay (Faraway, So Close!)“, das 1993 auf dem Nachfolgealbum „Zooropa“ erschien und Wim Wenders als Soundtrack zu seinem Film „In weiter Ferne, so nah!“ diente.

Das Video zu „Stay!“ entstand ebenfalls in Berlin. Meret Becker spielte darin die weibliche Hauptrolle. Einige Szenen zeigen die Bandmitglieder auf den Schultern der Goldelse. Wenders ersparte es den Stars alelrdings, in schwindelerregender Höhe zu drehen. Stattdessen ließ er einen Nachbau der Victoria für das Video anfertigen.

Dass sich Bono und The Edge - wie hier am 28. Juni in New Jersey - noch so lieb haben, ist auch Brain Eno zu verdanken.
Dass sich Bono und The Edge - wie hier am 28. Juni in New Jersey - noch so lieb haben, ist auch Brain Eno zu verdanken.

© Mike Coppola/Getty Images/AFP

In realer Kulisse hingegen entstanden die Aufnahmen, die zwei Jahre zuvor auf den Straßen Berlins von Anton Corbijn gemacht wurdeb. Der Fotograf und Filmemacher hatte die Band während ihrer Aufnahmen zu „Achtung Baby“ begleitet. Er war es auch, der die Musiker für den Trabi begeisterte. Im Video zu „One“ sieht man sie in zwei skurril bemalten Rennpappen durch die Stadt fahren. Die diesige Karl-Marx-Allee entlang, vorbei an der East Side Gallery. Vorm Olympiastadion kommen die Autos schließlich zum Stehen. Es ist der Ort, an den U2 am Mittwoch zurückkehren werden.

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