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35 Kilometer bis zum heimischen Sofa. Turnschuhpendler Daniel Klarkowski nach Feierabend.

© Mike Wolff

Turnschuhpendler in Berlin: In den Feierabend joggen

35 Kilometer pendelt Daniel Klarkowski – auf seinen zwei Beinen. Er nutzt den Heimweg für sein Lauftraining. In London ist das längst ein großer Trend.

18 Uhr. Büroschluss in Berlin. Tausende Arbeitnehmer fahren in U- und S-Bahn, in Bussen, Trams oder im eigenen Auto dem Feierabend entgegen, auch am Montag wieder.

Wenn sein Arbeitstag zu Ende geht, schaltet auch Daniel Klarkowski seinen Laptop aus, beendet das letzte Telefonat des Tages. Er ist E-Commerce-Experte bei einem Startup für Sportmoden in Kreuzberg. Draußen beginnt sich die Sonne gen Horizont zu neigen und die Temperaturen gehen runter – auf angenehme 24 Grad Celsius.

Es ist ein wunderschöner Sommerabend. Viel zu schade, um ihn in „so einer Kapsel“, sprich einem öffentlichen Verkehrsmittel, zu verbringen, findet Klarkowski. Also tauscht er Business-Outfit gegen Sportkleidung, schnürt die Schuhe und läuft los. 35 Kilometer liegen vor ihm, drei Stunden Lauf, bis er zu Hause in Potsdam ist.

"Ich tue, was mir gut tut"

Daniel Klarkowski ist „Turnschuhpendler“. Die Strecke zwischen zu Hause und Arbeitsplatz legt er gerne laufend zurück. Gründe hat er dafür viele: Das Turnschuhpendeln ermöglicht ihm, die Arbeit mit dem Sport zu verbinden, die Stadt und die Natur zu erleben, den Feierabend ganz anders zu genießen und auch Zeit zu sparen.

„Eineinhalb Stunden gehen sowieso immer fürs Pendeln drauf. Wenn ich mein Marathontraining zusätzlich absolvieren möchte, muss ich mir an anderer Stelle drei Stunden Zeit dafür nehmen. So bleibt also ein Zeitgewinn von eineinhalb Stunden“, rechnet er vor.

Neben diesem praktischen Aspekt steht für ihn jedoch ganz klar der Genuss im Fokus. Er nehme sowohl Stadt als auch Menschen und Natur beim Laufen viel bewusster wahr. „Meine Strecke ist vor allem dadurch so interessant, dass ich von der trendy-öko-alternativen Hipster-Area in die superkonservative SUV-Sportwagen-Ecke laufe“, sagt er lachend. Los geht es nahe der Oberbaumbrücke in Kreuzberg, dann entlang der U-Bahngleise, Richtung Gleisdreieckpark, den gesamten Ku’damm hoch bis nach Grunewald und dann an der Avus entlang, über die Glienicker Brücke bis in den Norden Potsdams.

Nach 70 Minuten hat Klarkowski den Kreisel, der den Kurfürstendamm und die Hubertusallee verbindet, passiert und Halensee erreicht. „Hier wird es ruhiger, spätestens jetzt lasse ich die Hektik der Stadt und den Stress des Bürotages hinter mir.“

Nach einem langen Arbeitstag noch ein Langstreckenlauf – was für viele wie eine Qual klingt, ist für Klarkowski Entspannung. Ihm geht es nicht um Höchstleistung oder Aussehen. „Ich tue, was mir gut tut. Natürlich finde ich ein Sixpack auch nicht schlecht, aber der Preis dafür wäre mir zu hoch. Dafür habe ich zu viele Interessen.“ Neben dem Vollzeit-Job und dem Sport betreibt der 43-Jährige einen Sport-Blog. Außerdem wartet zu Hause die Familie mit den beiden Söhnen.

Laufend entspannen

Die Begeisterung für den Sport kam erst vor sechs Jahren. Bis dahin standen nur gelegentliche Besuche im Fitnessstudio auf dem Plan – halbherzig, ohne großes Ziel vor Augen. Das änderte sich mit der Anmeldung zum Berlin-Marathon 2012. Er investierte viel Kraft und Zeit in das Training.

Es gebe zwei Arten von Erst-Marathonläufern, sagt Klarkowski. Diejenigen, die es einmal und nie wieder machten, und diejenigen, die es danach richtig packe. „Bei mir war Letzteres der Fall.“ Mit dieser Erfahrung möchte er auch andere motivieren: Es ist nie zu spät, um mit dem Sport anzufangen!

Inzwischen läuft er drei Marathons pro Jahr und zahlreiche andere Wettkämpfe. Die bisherige Sternstunde seines Läuferlebens war die Teilnahme am New York Marathon im vergangenen Jahr. Die Stimmung bei so großen Veranstaltungen sei einmalig – „eine Emotionsexplosion“.

Beim Wettkampf packt ihn der Ehrgeiz. Beim Turnschuhpendeln ist das anders. „Da lasse ich mir gerne Zeit, deswegen mache ich das auch nur nach der Arbeit.“ Für den Hinweg greift Klarkowski dann doch auf öffentliche Verkehrsmittel, das Auto oder seine Vespa zurück. Alternativ nutzt er auch das Rennrad für den Arbeitsweg – dann in beide Richtungen. Im Büro angekommen muss er sich natürlich frisch machen. In seiner Firma gibt es keine Duschen, stattdessen praktiziert er eine „optimierte Katzenwäsche“, wie er es nennt. Mit Handtuch, Waschbecken und ein bisschen Routine sei das kein Problem.

London: Trinkbrunnen und Duschen für Turnschuhpendler

Seine Tipps für alle Nachahmer: Das Turnschuhpendeln sollte so geplant werden, dass man nicht in Stress gerät. Also zum Beispiel lieber etwas früher loslaufen, um auch noch pünktlich im Büro anzukommen, wenn die Tagesform mal nicht so gut ist. Außerdem ist es ratsam, Handtuch und frische Kleidung am Tag vorher im Büro zu deponieren. Ohne Gepäck läuft es sich leichter. Stop-and-go ist erlaubt. Manchmal zwingt einen die Stadt sogar dazu.

Und außerdem: Es müssen nicht gleich 35 Kilometer sein. Gerade kleinere Distanzen eignen sich für Anfänger. Und reicht die Ausdauer nicht für den gesamten Weg zur Arbeit oder nach Hause, kann ein Teil der Strecke auch mit der Bahn zurückgelegt werden.

Klarkowski wünscht sich, dass das Turnschuhpendeln in Berlin noch verbreiteter wird. Auf Facebook gebe es die Gruppe „Turnschuhpendler“. Die hat jedoch erst etwas mehr als 500 Mitglieder – aus ganz Deutschland. In London sei das hingegen schon „ein ganz großes Ding“, sagt Klarkowski. Dort unterstützten Stadt und Arbeitgeber die Läufer allerdings auch mehr, beispielsweise mit öffentlichen Trinkbrunnen, besser abgeschotteten Verkehrswegen und Duschen am Arbeitsplatz. „Ich hoffe, dass sich in dieser Hinsicht auch in Berlin bald etwas tut.“

Anna Pia Möller

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