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Fetisch Auto. Je näher das Ende des Pkw-Zeitalters rückt, desto stärker wird seine Idealisierung.

© Sven Murawski

Tuning-Szene unter Raser-Verdacht: „Weil’s geil ist“

Sie gehen an Grenzen, von Technik, Look, Geschwindigkeit. Sie denken, sie haben alles im Griff. Bis sie es nicht mehr haben. Einblicke in eine gespaltene Szene.

Diesmal habe er „ein bisschen übertrieben“, sagt Jörg Köstermann. Beinahe entschuldigend blickt er dabei nach oben. Unter der Decke seiner Garage schwebt, was er meint: ein VW Käfer. Oder was von ihm übriggeblieben ist.

Übertrieben?

„Naja“, sagt er, „von der Motorisierung her, von den Zubehörteilen, vom Fahrwerk, den Reifen und allem, was drinnen verbaut worden ist. Elektrik, Dashboard, Trockensumpfanlage.“

Jörg Köstermann, 55 Jahre alt, greift zum CEE-Anschluss für die Hebebühne, die das Gefährt in luftiger Höhe hält, schiebt ihn in die Steckdose, drückt auf den Knopf. Langsam sackt es in die Tiefe.

Nach einem Käfer, Baujahr 1967, sieht das chrom-glitzernde Fahrwerkgestänge mit seinen makellosen Bodenblechen nicht aus. Nicht wie das Volksauto für jedermann, von dem 21,5 Millionen Exemplare verkauft worden sind. Nicht mal wie ein normales Auto.

Auf den Seitentüren steht in Comic-Lettern „Little Bomb“.

Köstermann zieht eine weiche Stoffplane von der Karosserie und setzt sich hinein. Er pumpt ein paar Mal mit dem Gaspedal, dann dreht er den Zündschlüssel. Nichts. Nochmal.

Als der Motor anspringt, brodelt und pfeift die Maschine, als würde sie vor Kraft platzen. Köstermann hört genau hin. Drückt die Drehzahl nach oben und da ist er: brüllender Lärm. Rennwagenlärm. Das Zischen der angesaugten Luft, das dumpfe Wummern der Abgase im Auspuff.

„Beim Fahren“, sagt er, müsse man stets „ein Ohr am Motor haben, aber mir kommt es nicht aufs Fahren an, sondern aufs Schrauben.“

In den langen, dunklen Winterstunden braucht er etwas, in das er sich versenken kann in dieser Garage in Schönwalde-Glien. Das Ergebnis macht ihn stolz.

Der Sound durchströmt ihn.

Little Bomb. Jörg Köstermann und sein Rennkäfer in Schönwalde-Glien. Sieben Jahre hat er an dem Oldtimer geschraubt.
Little Bomb. Jörg Köstermann und sein Rennkäfer in Schönwalde-Glien. Sieben Jahre hat er an dem Oldtimer geschraubt.

© Kitty Kleist-Heinrich

„Darf nicht zu aufdringlich sein“, sagt er. „Daher kommt ja das Bild vom Spinner. Wenn es knallt bei Fehlzündungen oder wenn ein AMG-Benz den Kudamm rauf- und runterbrettert, verärgert das die Menschen verständlicherweise.“

„Gehör ich aber nicht zu.“

„Nicht in der Stadt.“

„Auf der Autobahn schon. Wenn es da einer drauf anlegt und die Strecke es freigibt, kann man das schon mal probieren.“

Was?

„Gas geben.“

Wie ein Draufgänger sieht Köstermann nicht aus. Schmal umrandete Brille, kurzes, helles Haar, leise Stimme. Er zählt zu einer kleinen Elite von Autonarren, die an die Grenze gehen. Sie denken, sie haben alles im Griff. Bis sie es plötzlich nicht mehr haben. Bei Köstermann ist dieses Spiel mit den Möglichkeiten noch immer gut gegangen.

Doch steht die Tuning-Szene im Ruf, Profilneurotiker anzuziehen, die ihre Fähigkeiten überschätzen und der fatalen Illusion absoluter Kontrolle erliegen. Unter Generalverdacht geraten ist sie, seit überzüchtete Autos sich auf den Prachtstraßen Berlins gefährliche Duelle liefern. Sonderkommissionen der Kriminalpolizei stellen ihnen nach. Im Jahr 2018 wurden offiziell 279 illegale Rennen registriert. Steht das im Verhältnis zu der Aufregung, die Tuning erzeugt?

Etwa 2500 Fans aufgemotzter Autos, so schätzt die Polizei, besuchen die regelmäßig stattfindenden Treffen an den Ausfallachsen – in Siemensstadt, in Mahlsdorf und in Adlershof. Einmal im Jahr wird das Olympiastadion von kunstvoll hergerichteten PS-Ungetümen und Klassikern okkupiert, die im Innenraum zu bewundern sind. Von rund 15.000 Besuchern.

Geile Karre als Konzept. Beim B96-Treff in Adlershof kommt regelmäßig Berlins Tuning-Szene zusammen.
Geile Karre als Konzept. Beim B96-Treff in Adlershof kommt regelmäßig Berlins Tuning-Szene zusammen.

© Ndré SztnKvics Photos

Tuner sind Fantasten. Sie geben sich nicht mit dem zufrieden, was ist. Sie verwandeln ein Auto in das idealisierte Bild von einem Auto, in das 1:1- Modell von etwas, das nur in ihrem Kopf existierte. Die Autoindustrie liefert ihnen den Rohstoff, um ein ein Unikat zu formen. Eine motorisierte Skulptur.

Allerdings würde Köstermann es nicht so ausdrücken. In seiner Garage vor den Toren Berlins, die ihm auch als Werkstatt dient, sagt er, dass er einem Auto „eine eigene Note verleihen“ wolle. Seine Note. „Ein normales Auto geht nicht“, meint er, „das ist Nullachtfünfzehn. Wenn man seinen Wagen auf einen großen Parkplatz stellt, erkennt man gar nicht, welcher der eigene ist.“

Mehr ist von ihm in dieser Sache nicht zu erfahren, wie auch andere Tuner, die für diese Geschichte interviewt wurden, meist ratlos auf Fragen nach dem Warum reagieren. Es entsteht dann immer eine Pause, als habe man einen Vorwurf formuliert. „Weil’s geil ist“, sagt einer. „Was mich stört, das will ich ändern“, meint ein anderer.

Brutal gegenüber dem Auto

Es ist Köstermanns 13. Käfer. An den Wänden der Garage hängen Bilder der Vorgänger, auf einem Bord stehen Pokale, die er mit ihnen gewonnen hat. Keines der Autos hat er dauerhaft behalten. Meistens nur eben so lange, dass er wusste, es besser hinbekommen zu können. Dieser Käfer, der 13., ist sein Meisterwerk. Jedenfalls glaubt Köstermann zum ersten Mal nicht, dass er sich Mangel an Ehrgeiz vorwerfen könnte.

„Mehr geht nicht“, sagt er. „Das heißt, ginge schon, aber das würde dann endgültig den Rahmen sprengen.“

Einen Porsche-Turbo mit drei Liter Hubraum und 252 PS zu erschaffen, war schon übertrieben genug, findet Köstermann. Sein Ehrgeiz hat ihn 63 000 Euro gekostet, er hat Buch geführt. Nicht mitgerechnet die Arbeitsstunden, die er in drei Jahren angesammelt hat. 1000 bis 1500 werden es wohl gewesen sein, schätzt er.

Was das über ihn sagt?

„Dass ich ein Perfektionist bin. Detailverliebt.“

Was er nicht mag: „Hartz-IV-Tuning“, bei dem wahllos irgendwelche Komponenten verbaut würden. Brutal gegenüber dem Auto, ohne dass etwas Anständiges dabei herauskommt.

Auch wichtig, dass er etwas Altes bewahre?

„Tue ich ja nicht. Ich kastriere den Wagen, indem ich so viele spezielle Teile verbaue, dass er mit einem 34-PS-Käfer nichts mehr zu tun hat.“

Zylinderköpfe aus Aluminium gefräst.

Türinnenverkleidungen aus Carbon.

Seitenfenster aus Acrylglas.

Gepolstertes Armaturenbrett.

Für die Kühlung ein Ölkreislauf, Trockensumpfanlage genannt, in dem zehn Liter zirkulieren.

„Es gibt bessere Tuner, klar“, sagt Köstermann. „Entweder weil sie eine große Halle besitzen, in der sie lackieren können. Oder sie sind selbst Lackierer. Oder sie kennen einen. Ich muss, wenn ich mein Auto wegbringe, immer bezahlen. Weiter kann ich nicht gehen.“

Über eine Rennstrecke in Meppen ist er mit 240 Sachen gebrettert.

Köstermanns Leidenschaft kommt vielen Menschen bizarr und gefährlich vor. Weil es auch solche Leute gibt, die jedes Gespür für Grenzen verlieren, sich mitreißen lassen vom Versprechen der PS-Stärken, dem Kitzel des Wettkampfs.

Ein Crash und seine Folgen

Aschenputtel-Prinzip. Tuner verwandeln unscheinbare Serienautos gerne in außergewöhnliche Kraftprotze. Wie diesen Ford Focus RS.
Aschenputtel-Prinzip. Tuner verwandeln unscheinbare Serienautos gerne in außergewöhnliche Kraftprotze. Wie diesen Ford Focus RS.

© Ndré SztnKvics Photos

Am 1. Februar 2016 jagen zwei Autos über den Ku’damm. Ein Mercedes und ein Audi. Gleichauf. Sie wollen sich ausstechen. Mit mindestens 150 km/h überfahren sie mehrere rote Ampeln, als ihnen um 0.45 Uhr auf der Tauentzienstraße ein beigefarbener Jeep in die Quere kommt. Der Audi schert nach Links aus und drängt den Mercedes von der Fahrbahn. Der mäht eine Fußgängerampel um, stößt gegen die Granitblöcke des Mittelstreifens, hebt ab und landet nach zehn Meter in der gegenüberliegenden Granitbegrenzung.

Der Audi trifft den Jeep. Ungebremst rast er ihm in die Seite, wie Gutachter im Prozess später berichten werden. Der Jeep wird 72 Meter durch die Luft geschleudert. Sein Fahrer, ein älterer Herr von 69 Jahren, der sich auf dem Heimweg befunden hat, stirbt eingeklemmt noch am Unfallort.

Der Audi knallt nach dem Aufprall seitlich in den Granit der Verkehrsinsel und schlittert kreiselnd 60 Meter über den Asphalt.

Ein mit dem Fall vertrauter Polizeibeamter erzählt, dass den Raser Marvin N. nur zwei Dinge interessiert hätten, als er benommen aus seinem zerstörten Auto stieg: Wo ist mein Handy? Was ist mit meinem Auto?

Außer Kontrolle. Am 1. Februar 2016 lieferten sich zwei junge Männer auf dem Ku'damm ein tödliches Rennen. In einem ersten Prozess wurden sie wegen Mordes verurteilt.
Außer Kontrolle. Am 1. Februar 2016 lieferten sich zwei junge Männer auf dem Ku'damm ein tödliches Rennen. In einem ersten Prozess wurden sie wegen Mordes verurteilt.

© picture alliance / dpa

Der Crash und der sich anschließende Mordprozess im Dezember 2016 gegen die so genannten „Ku’damm-Raser“ Hamdi H., der den Audi steuerte, und Marvin N. im Mercedes hat vieles verändert: Eine Verschärfung der Gesetze, nach der illegale Rennen ein Straftatbestand geworden sind. Eine intensive Beobachtung der Szene durch die Polizei. Vor allem hat es die öffentliche Stimmung kippen lassen.

In dieser Stadt gelte nun „jeder als potenzieller Mörder, der seinen Außenspiegel verändert und breitere Felgen aufgezogen hat“, sagt der Leiter einer Tuning-Werkstatt, der namentlich nicht genannt werden will. Man fühle sich von der Polizei drangsaliert, die es mit ihren Kontrollen bei tiefergelegten Wagen übertriebe. Oft verstünde man in der Werkstatt gar nicht, wie die Polizei zu den auf den Mängelscheinen angegebenen Höhenmessungen komme. „Während Tuning früher nicht im Fokus stand, will die Politik solche Fahrzeuge jetzt aus dem Straßenbild verbannen.“ Und alles nur, „weil zwei Idioten es übertrieben haben“.

Aber wo verläuft die Grenze zwischen normal und übertrieben?

Hamdi H., zur Tatzeit 26, arbeitslos, fuhr einen Audi A6 3.0 TDI quattro mit 225 PS, gebraucht gekauft.

Marvin N., 24, Ex-Soldat und Security-Mitarbeiter, fuhr einen Mercedes CLA 45 AMG mit 381 PS, geleast.

AMG ist die Sportwagenlinie von Daimler. In den Songs deutscher Rapper werden diese Autos als Nonplusultra des eigenen Status’ glorifiziert. „Drück den AMG 300 und die Erde bebt“, heißt es bei Capital Bra. Und an anderer Stelle: „AMG! / Wir sind Azzlackz mit Geld, mon ami / Fahr’n gechillt auf der Champs-Élysées / Wagen weiß, damit alle uns seh’n.“ Die Botschaft ist einfach: dicke Karre, dickes Portemonnaie, Respekt. "AMG ist, was uns verbindet", singt Fler über die notorisch zerstrittene Berliner Gangsta-Rap-Szene.

Die "üblichen Konditionen des Marktes"

Deshalb fühlen sich zu AMGs oft junge Männer hingezogen, die sich den Luxus eines Sondermodells von 100.000 Euro Kaufpreis gar nicht leisten können. Und Mercedes hat sich ihrem Wunsch nach einem Traumauto lange nicht in den Weg gestellt, machte es durch Sonderklauseln in den Leasingverträgen erschwinglich für untere Lohngruppen. So berichtete die „Zeit“, dass Ratenzahlungen durch die Vorlage eines Behindertenausweises erheblich gesenkt werden können. Auf Nachfrage heißt es von Mercedes, dass Preisnachlässe "aufgrund von Schwerbehindertenausweisen seit Juni 2017 in Deutschland bei AMG-Fahrzeugen nicht mehr angeboten" würden. Auch Bargeld-Geschäfte würden ab einer Summe von 5000 Euro nur "in Ausnahmefällen" und nach einer "Complience-Prüfung" vollzogen.

Dass der gute Ruf der Sportwagenschmiede aus Affalterbach unter dem vulgären, aggressiven Gebaren mancher Kunden leiden würde, kann man dort nicht erkennen. Bei 118.000 verkauften AMGs weltweit fallen ein paar röhrende Platzhirsche auf Berliner Straßen nicht ins Gewicht. Auch wenn sie bei täglich 10.000 über den Kudamm rollenden Fahrzeugen als einzige störend auffallen.

Harmlos Fantasten? Optische Verschönerungen sind unproblematisch. Den Argwohn der Polizei zeihen technische Eingriffe auf sich. Tuner fühlen sich deshalb oft gegängelt.
Harmlos Fantasten? Optische Verschönerungen sind unproblematisch. Den Argwohn der Polizei zeihen technische Eingriffe auf sich. Tuner fühlen sich deshalb oft gegängelt.

© Ndré SztnKvics Photos

Für Hauptkommissar Oliver Woitzik, der im Fachstab Verkehr beim Berliner Polizeipräsidenten arbeitet, sind tödliche Duelle wie auf dem Ku’damm Folge einer gesellschaftlichen Entwicklung. Vor zwanzig Jahren habe kaum ein Mensch ein Auto mit 200 PS gefahren, sagt der 46-Jährige in seinem Dienstzimmer, dessen Fenster auf den Tempelhofer Damm hinausgehen – auch eine notorische Rennstrecke für Raser. Heute seien Pkw mit mehr als 200 PS Standard. Die Leute sähen sich nun in die Lage versetzt, in dieselben Tempo-Zonen vorzudringen, die früher Rennwagen vorbehalten waren. Das leben sie in der Stadt aus.

In einem ersten Prozess werden Hamdi H. und Marvin N. wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch das Urteil wird vom Bundesgerichtshof wieder aufgehoben. Ein zweiter Prozess scheitert an der Befangenheit der Richter. Ein dritter hat im vergangenen November begonnen und dauert an. Es geht vor dem Berliner Landgericht um die Frage, wie vorsätzlich Raser den Tod anderer Personen in Kauf nehmen.

Lässt du dich etwa von dem abziehen?

Obwohl sich die Häufigkeit illegaler Rennen nur durch „Zufallsfeststellungen“ der Polizei ermitteln lässt, wie Woitzik sagt, hat die Polizei heute sehr viel bessere Instrumente, um Taten zu verfolgen und anzuzeigen. Als neuralgische Strecken gelten Ku'damm - mit 15 Rennen - und Siemensdamm (13) sowie der Stadtring (11). 90 Prozent der Rennen finden im Westen statt, erst auf Platz zehn taucht die Landsberger Allee in der Statistik auf (mit fünf Rennen). Die Delikte verteilen sich gleichmäßig übers Jahr. So begeht einer, der nachts allein mit, sagen wir, 100 km/h über den Tempelhofer Damm Richtung Autobahn rast, nach wie vor nur eine Ordnungswidrigkeit. Ein anderer aber, der dieselbe Strecke bei dichtem Verkehr mal links mal rechts überholend „grob rücksichtslos“ zurücklegt in dem Bemühen, die mögliche Höchstgeschwindigkeit zu erreichen, ist in eine Straftat verwickelt. Denn er fährt ein illegales Rennen. Es ist der Unterschied zwischen Raser und Rowdy, den die verschärfte Gesetzeslage seit Oktober 2017 vorsieht.

Meistens handele es sich bei den Profilierungsfahrern um Männer bis 30, sagt der Polizist Oliver Woitzik, psychisch labil, die sich nur über ihr Auto definierten. Es sei ihr Schutzraum gegen die Brutalität da draußen. Kein Mensch würde sie wahrnehmen, wenn sie zu Fuß unterwegs wären. So glichen sie ihre Schwäche über die Stärke des Motors aus.

Was sie besonders gefährlich mache, sagt Woitzik, sei oft erst die Freundin auf dem Beifahrersitz.

Indem sie fragt: Was ist denn mit dir los?

Und weiter fragt: Hast dich abziehen lassen von dem?

Indem sie stichelt: Da habe ich aber mehr erwartet von dir. Kannst dich doch nicht so von Paule an der Ampel verblasen lassen…

Ob weitere Personen im Auto es nun böse meinen oder nicht, da muss nur der Richtige kommen, sagt Woitzik, um sich ein Stechen zu liefern. Zeigen, dass man kein Würstchen ist. „Die Schwelle ist gering“, sagt Woitzik über die Psychologie des Straßenduells. „Den Kick für 20 Sekunden kann jeder mal interessant finden. Dafür braucht es nicht das PS-Ungetüm von AMG.“

Ein bisschen grenzwertig

50 Jahre alt mit 256 PS.
50 Jahre alt mit 256 PS.

© Foto: Kitty Kleist-Heinrich

Einmal, 1993 war das, habe auch er „ein Stechen gefahren“, erzählt Köstermann. Auf dem Ku’damm. Er besaß damals einen Käfer Cabrio, Zwei-Liter-Motor. An einer Ampel hielt ein Porsche 911 neben ihm. Der habe ein bisschen mit dem Gas gespielt. Und dann seien sie bei Grün „angefahren“.

„Da habe ich ihn sozusagen stehen lassen.“

„Von Ampel zu Ampel.“

„Vom Europa-Center zum Café Kranzler.“

„Ja, war ein bisschen grenzwertig.“

Köstermann wuchs auf dem Lande zwischen Bremen und Delmenhorst auf. Mit 19 baute er seinen ersten Wagen um. Seinem Vater gefiel das nicht. Der war Handwerker, selbstständig, hatte ein Auto, um es zu fahren, Winterreifen hat er mal gewechselt, aber sonst nichts. War doch ein schönes Auto. Was sein Sohn da trieb, von wegen eigener Note, erschloss sich ihm nicht.

Den ersten Käfer schaffte sich Köstermann 1983 an. Die Technik des Fahrzeugs war simpel. Mit der Elektrik konnte er als gelernter Kunststofftechniker auch umgehen. Und auf Schrottplätzen fanden sich reichlich Ersatzteile. Wo gibt es das heute noch, fragt Köstermann, dass man das Gesuchte selbst ausbauen müsse? Liege doch alles fertig verpackt in Regalen.

Das goldene Zeitalter

In Bremen gab es ein Einkaufszentrum. Eines der ersten seiner Art in Deutschland. Auf dem Parkplatz davor trafen sich Köstermann und seine Freunde sonntags. Sonst vorm Dorfkrug. Wenn sie Fußball gespielt hatten. Sie standen an ihre Autos gelehnt, rauchten, redeten. Es gab welche, die schraubten an ihren Autos herum, um sie „amerikanischer“ aussehen zu lassen.

Es war das goldene Zeitalter des Pkw. Das eigene Auto transportierte einen nicht nur zu fernen Zielen, sondern stand für eine glanzvolle Zukunft. Dieser Optimismus ist dahin. Obwohl heute mehr Autos auf den Straßen unterwegs sind als je zuvor, prophezeien Verkehrsforscher dem Pkw ein düsteres Dasein. In seiner bisherigen Form werde es nicht fortbestehen, meint der Leiter der Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik am Euref- Campus in Schöneberg, Andreas Knie. Der Individualverkehr werde von vernetzten Fahrzeugen übernommen, die sich selbständig durch urbane Räume bewegten, digital gesteuert, ohne ihre Lebensdauer an Standzeiten zu vergeuden und Teil eines ausgebauten ÖPNV sind. „Das private Auto wird verschwinden, sofern es seinen besonderen Wert nicht mehr unter Beweis stellen kann.“

Luftnummer. Das Fahrwerk wird hydraulisch Millimeter genau auf die Reifen abgesenkt.
Luftnummer. Das Fahrwerk wird hydraulisch Millimeter genau auf die Reifen abgesenkt.

© Ndré SztnKvics Photos

Der Professor glaubt nicht an den Pkw als Fetisch. Dass sich Enthusiasten bei Tuning-Treffen am Wert der geilen Karre ergötzen, passt nicht ins Konzept. Welchen Wert hat das besondere Auto?

„Für den Tuner ist es ein schönes Gefühl“, sagt Ben Rambaum, „wenn andere die eigene Arbeit am Fahrzeug ebenfalls als gelungen empfinden.“ Der 24-Jährige organisiert in der Sommersaison den „B96“-Treff auf dem Parkplatz eines Baumarkts am Südende des Adlergestells. Sozialer Medien bedient er sich mit der Eloquenz eines Fernsehmoderators. Auf Facebook und Twitter lässt er die Tuning-Community live teilhaben, wenn ein Autokorso durch die Stadt rollt. Rambaum mittendrin. Er steht noch am Anfang.

Das Gespräch mit ihm findet im Büro eines Kfz-Gutachters in Britz statt, der als Sponsor der Veranstaltung auftritt. An den Wänden stilisierte Ansichten eines Hummer und anderer SUVs. Rambaum, gebürtiger Neuköllner und von Beruf Fuhrparkleiter, will der Szene eine Bühne bieten. Da der „B1“-Treff in Siemensstadt zu einem notorischen Hotspot für Verkehrsrowdys geworden ist, bei dem es regelmäßig Rennen gegeben hat, Kontrollen und „Burn-outs“, wie das qualmende Spektakel durchdrehender Reifen genannt wird, organisiert Rambaum jetzt das Gegenmodell. Die Leute würden mehr um die Autos herumgehen, um sie sich anzusehen, als dass da jemand demonstriere, wie laut sein Motor sei. Es sei bewusst „ein friedlicher Ort“. Mit freiwilligen Ordnern und Null-Toleranz-Strategie. Keine Burn-outs, kein Rasen. Zum Saisonabschluss im Oktober kamen etwa 3000 Leute. Er sagt: „Viele von denen, die ihr Auto umbauen, betrachten es als ein Kulturgut.“

Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Aufwand, den jemand für die Leistungssteigerung seines Wagens betreibt, und seinem Verhalten im Straßenverkehr? Je mehr eigene Arbeit eingeflossen ist, desto mehr müsste bei einem Verkehrsdelikt zumindest auf dem Spiel stehen.

Den Aktenordner durchs Seitenfenster gereicht

Die Polizei unterscheidet deshalb zwischen Tunern, Profilierungsfahrern und Rasern.

Erstere seien überwiegend harmlose Liebhaber exzentrischer Designs. Es ist wie im Märchen, wo sich Aschenputtel in die Schönste von allen verwandelt. Diesen Traum der Verwandlung leben Tuner an Fabrikaten aus, die so gewöhnlich sind wie sie selbst: Nissan Skyline GTR, Honda Civic, Mitsubishi Eclipse D30, Golf III und IV und VW Jetta. Die Naivität mancher Akteure beschreibt Polizist Woitzik so: „Das will ich haben. Ärgerlich, dass ich es genehmigen lassen muss.“

Am Ende ist Tuning Papierkram.

Optische Verschönerungen sind meistens unproblematisch. Erst wenn es ins Technische geht, wüssten manche Tuner gar nicht, was sie da täten, sagt Woitzik. Etwa einen Opel Corsa mit 90 PS in ein Sechszylinder-Monster zu verwandeln, das 200 PS hat, aber nicht daran zu denken, dass Fahrwerk und Bremsen dieser Leistungssprung angepasst werden müssten.

Für die Gemeinschaft. Ben Rambaum organisiert das wöchentliche Tuning-Treffen "B96".
Für die Gemeinschaft. Ben Rambaum organisiert das wöchentliche Tuning-Treffen "B96".

© Kitty Kleist-Heinrich

Woitzik empfiehlt, den TÜV-Prüfer vor einem komplizierten Umbau ins Vertrauen zu ziehen und sich beraten zu lassen. Nach erfolgtem Umbau würde der Fahrzeugschein um eine Anlage von mehreren Seiten erweitert, und er, Woitzik, gehe die Angaben bei einer Kontrolle dann Punkt für Punkt durch. Dauert natürlich.

Besonders gewiefte Tuner reichen ihm auch gerne mal einen Aktenordner durchs Seitenfenster. Da stehe alles drin, sagten sie in dem Bewusstsein, dass Polizisten keine Fachleute sind.

Tja, denkt Woitzik. Wenn einer mit so viel Papier unterwegs ist, braucht es meistens nicht lange, um den Fehler zu finden. Denn die allgemeine Betriebserlaubnis für die Felgen und die allgemeine Betriebserlaubnis fürs Lenkrad schließen sich oft aus. Im Prüfbescheid für die Felgen steht, nur in Verbindung mit originalem Fahrwerk und Lenkrad. Für das Lenkrad gilt, nur in Verbindung mit originaler Bereifung. Beides hebt sich auf. „Ist wie nichts“, sagt Woitzik.

Er hört dann oft: Ich wollte nicht zwanzig Seiten lesen, ich wollte andere Felgen drauf haben.

Wunsch und Wirklichkeit klaffen bei Tunern weit auseinander. Das macht den Reiz aus.

Motorsport-Technik. Jörg Köstermann habe "sein Geld immer wieder rausgekriegt", wenn er seine Tuning-Werke wieder verkaufte.
Motorsport-Technik. Jörg Köstermann habe "sein Geld immer wieder rausgekriegt", wenn er seine Tuning-Werke wieder verkaufte.

© Kitty Kleist-Heinrich

Als Jörg Köstermann seinen 13. Käfer kaufte, war er ebenfalls ziemlich kreativ. Noch heute plagt ihn das schlechte Gewissen deswegen. Seiner Frau gegenüber. Denn die durfte nichts von der neuen Anschaffung erfahren. In der Garage stand ja noch ein Käfer, Nummer zwölf. Erst als der verkauft war, präsentierte er den Wagen, für den er bis nach Graz gefahren war und den er danach in einer anderen Garage untergestellt hatte.

Sie fand es nicht so amüsant.

Sieben Jahre hat er geschraubt.

Nebenbei baute er ein Haus. Verlegte Bodenbeläge, was sein Job ist.

Er war frustriert von den Summen, die die Motorsportexperten verlangten, verlor die Lust.

Aber er wusste, dass er in ein Kunstwerk investierte. Und er erinnerte sich an jenen Tag im Jahr 1993, da Köstermann seinen ersten Käfer auf dem Ku’damm in eine Parklücke manövrierte und angesprochen wurde von einem Mann, der sein Stechen mit dem Porsche mitbekommen haben musste und nun fragte, ob er den Wagen verkaufen wolle. Köstermann nannte ihm einen ziemlich unverschämten Preis. Nicht mal neu hätte der Käfer so viel Geld gekostet. Der Mann ging ein bisschen mit dem Betrag herunter, aber dafür bezahle er sofort, sagte er. Wer trage denn so viel Geld bei sich?, fragte sich Köstermann. Der andere trug Anzug. Der andere gab ihm seine Karte. Köstermann solle es sich überlegen, bis zum nächsten Tag wohne er im Steigenberger Hotel.

Köstermann überlegte. Am nächsten Tag fuhr er zum Steigenberger Hotel.

„Ich habe mein Geld immer rausbekommen“, sagt er über seine Obsession. So verrückt kann sie nicht sein. Trotzdem, der 13. Käfer soll sein letzter sein.

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