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Nachmachen, bitte! Inez Meyer kümmert sich regelmäßig um einige Bäume in ihrer Straße in Charlottenburg.

© Doris Spiekermann-Klaas

Trockenes Berlin: Wasser für einen grünen Kiez

Mit der App "Gieß den Kiez" können Berliner den durstigen Straßenbäumen helfen - und einen Baum adoptieren.

Rund 750.000 Bäume sind einfach eben eine Menge Holz. So viele Straßenbäume nämlich gibt es in Berlin – und bis alle diese Bäume im Computer heruntergeladen sind, vergeht deshalb ein wenig Zeit. Aber dann kann der Betrachter virtuell durch alle Berliner Straßen flanieren, sich von Baum zu Baum klickend. Und jeder Baum erzählt seine persönliche Geschichte – von Art und Alter und der benötigten Wassermenge.

Das richtige Werkzeug für den umweltgerechten Start in den Frühling. Die App „Gieß den Kiez“ ist für die Nutzer*innen eine faszinierende Weise, die Stadt ganz neu kennenzulernen. Wer den Schieberegler nach rechts drückt, kann etwa den Methusalem des Stadtgrüns entdecken. Da findet sich etwa eine 253 Jahre Stiel-Eiche in der Neuköllner Hasenheide. Und sie ist mit diesem Alter nicht allein in Parks und Straßen. Zumeist aber sind die Straßenbäume mit rund 40 – 60 Jahren sehr viel jünger. Schließlich hat in Berlin nicht nur der Weltkrieg viele alte Bäume gefällt, auch die Umweltbelastung setzt den Bäumen zu und rafft sie früher hinweg, als wenn sie im Wald stehen würden.

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Aber es geht natürlich nicht nur um die Erkundung des Berliner Baumbestands, auch wenn Familien mit ihren Kindern sich auf diese Weise ihren Kiez erschließen. Vor allem geht es darum, dass die Kiezbewohner eine emotionale Beziehung zu „ihren“ Bäumen herstellen und es ihnen ein Anliegen ist, dass ihr Kiez grünt und wächst. „Angießen“ ist also angesagt – Saisonstart für den grünen Kiez. So wie Mario, der in der Kreuzberger Solmsstraße regelmäßig eine fünfjährige Weißdorn gießt. Alle zwei Tage wässert er den Baum – auch das steht in einem Info-Kästchen, sobald man den Baum anklickt. Auf diese Weise können sich alle Berliner*innen ihren Baum aussuchen, den sie gerne betreuen möchten. Ihre Patenschaft und die Daten der Nass-Spenden können sie dann eintragen. So wird verhindert, dass ein Baum mehrere Gieß-Paten hat und andere Bäume trocken bleiben.

Grüner Hilferuf. Gerade im Frühling benötigen die Straßenbäume viel Feuchtigkeit, damit die Knospen springen können.
Grüner Hilferuf. Gerade im Frühling benötigen die Straßenbäume viel Feuchtigkeit, damit die Knospen springen können.

© Imago / Frank Sorge

Die „Gieß den Kiez“-App ist jedenfalls ein voller Erfolg – und findet immer mehr ehrenamtliche Nutzer. „Es gibt fast 2.200 Gießer, die über 6.500 Bäume mit Wasser versorgen“, zählt Julia Zimmermann auf. Sie leitet das innovative  Projekt des CityLAB Berlin seit dem Start im Mai 2020. Fast 800.000 Liter Wasser haben die Freiwilligen bislang zu den Bäumen geschleppt – entweder von zu Hause oder von den öffentlichen Pumpen. Denn auch die nächstgelegene Pumpe zeigt die praktische App an. Besonders engagiert sind übrigens die Menschen in Friedrichshain-Kreuzberg: dort werden mit 1.239 Bäumen schon jeder fünfte Baum des Bezirks gegossen.

Projektmanagerin Julia Zimmermann kann sich noch manch technischen Kniff und Software-Booster vorstellen, um die App schneller und noch nützlicher zu machen. Aber dazu bräuchte es Geld – etwa von der Berliner Umweltverwaltung. Umweltsenatorin Bettina Jarasch (Grüne) müsste doch eigentlich ein Interesse haben, das nützliche Werkzeugt für eine grüne Stadt und engagierte Baum-Paten noch besser zu machen. Oder auch die Grünflächenämter in den zwölf Bezirken. Denn in diesen Frühlingstagen, wenn die Knospen aufspringen und die Blätter hervorschießen, braucht es vor allem genügend Wasser für die Bäume. Die sind schon gestresst genug durch den Winter gekommen, nun setzt ihnen die Trockenheit der vergangenen Wochen ausgerechnet in einer Zeit zu, in der sie besonders viel vom kostbaren Nass benötigen.

Es wäre hilfreich, wenn Grünflächenämter und Freiwillige Hand in Hand tätig werden könnten. „Sehr nützlich wäre, wenn die Ämter uns mitteilen würden, welche Bäume von ihnen gegossen werden, damit dies dann in der App vermerkt wird“, sagt die studierte Wirtschafts-Informatikerin Zimmermann. Das würde den potentiellen Gieß-Paten helfen, die sich dann einen anderen Baum aussuchen können. Findet aber leider nicht statt. „Es gibt eine sehr freundliche, aber keine pro-aktive Zusammenarbeit“ mit den bezirklichen Grünflächen-Ämtern, fügt sie hinzu. Das leichte Seufzen bildet sich der Gesprächspartner sicher nur ein.  Neben einer finanziellen Förderung für das Projekt, dass die Technologiestiftung Berlin als Muttergesellschaft des CityLAB derzeit auf eigene Kosten betreibt, steht jedenfalls die bessere Zusammenarbeit mit der Verwaltung auf Zimmermanns Wunschzettel. Aber immerhin ist ein Runder Tisch geplant, an dem neben der Senatsumweltverwaltung auch die bezirklichen Grünflächenämter und das CityLAB teilnehmen wird.

Häufiger gießen mit weniger Wasser, als selten gießen mit viel Wasser, das sei die richtige Strategie, sagt Julia Zimmermann. Ihre sehr Daten-basierte Sprache verweist darauf, dass hier eine menschliche Schnittstelle zwischen den „Codern“ und den „Gießern“ am Werk ist. Sie freut sich, dass die „Community“ im trockenen März und April schon total aktiv unterwegs ist. Für Berlin eine echte Ersparnis. Wenn ein Amt einen Baum wässert, kostet das nämlich sieben Euro, wurde ermittelt – die Freiwilligen sparen damit also hunderttausende Euro ein. Noch eines wünscht sich Julia Zimmermann: Dass die Gieß-Paten untereinander leichter Kontakt aufnehmen können und sich Kiez-Gruppen bilden können. Zwar gibt es schon jetzt über Slack eine Plattform, doch die ist noch unausgereift. Aber auch dafür fehlt das Geld. Wer sich anmelden möchte, muss in der Rubrik „Weitere Infos“ auf die FAQs mit der Frage „Wie wird mit technischen Problemen umgegangen?“ klicken und dann auf das Wort „Slack Channel“ tippen. Dann muss man sich anmelden, ein Passwort abwarten und dann aktivieren. So viel Aufwand schreckt dann doch viele Interessent*innen ab. Dabei wäre es toll, wenn die Community so rasant wachsen würde, wie die Bäume gerade ihr Grün herausschießen.   

Wer mehr erfahren möchte oder ein Gieß-Pate werden möchte, findet alle Infos hier: https://giessdenkiez.de/

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