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Herr der Ringe. Dirk Schieritz hat seinen S-Bahn-Führerschein, seit er 22 Jahre alt ist. Pro Ringbahnschicht fährt er bis zu sechs Runden Berlin – und sieht die Stadt von allen Seiten.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Triebfahrzeugführer Dirk Schieritz über die Ringbahn: „Da sind schon Liebschaften entstanden“

Seit mehr als 20 Jahren ist der Ur-Berliner für die S-Bahn unterwegs. Ein Gespräch über Betriebsstörungen, Bierflaschen und einen Polizeibesuch.

Herr Schieritz, Sie wollten unsere heutige Ringbahn-Führerstandsfahrt an der Frankfurter Allee starten. Warum hier?

Ich bin gebürtiger Friedrichshainer – und meine Mutter hat früher als Aufsicht bei der Bahn gearbeitet. Wenn zu Hause was vorgefallen ist oder ich das Bedürfnis hatte, mit ihr zu sprechen, bin ich hier hingegangen und habe die Aufsicht gefragt, ob ich mal telefonieren darf.

Später haben Sie eine Ausbildung zum Elektroniker und Triebfahrzeugführer bei der S-Bahn gemacht.

Mit 22 war ich fertig. Ich weiß noch: Als ich gerade meinen Führerschein hatte, hat mich die Bundespolizei mal besucht, weil ein Fahrgast gemeldet hatte, dass ein Kind S-Bahn fährt. Ich sah damals sehr jung aus.

Mittlerweile sind Sie seit mehr als 20 Jahren auf Berlins Schienen unterwegs. Wie ist Ihr Verhältnis zu Pünktlichkeit?

Ich würde sagen, ich war immer ein pünktlicher Mensch. Bei der Bahn haben wir einen Fahrplan und der ist Gesetz. Ich würde niemals zu früh abfahren, weil eine Sekunde zu früh zählt, als wäre der Zug ausgefallen. Auf der anderen Seite kann man, wenn man sieht, dass noch jemand winkt, auch mal zwei bis drei Sekunden warten.

Betriebsstörungen führen immer wieder dazu, dass Ihr „Gesetz“ gebrochen wird…
Die größten Fehler, die ich sehe, werden durch Dritte verursacht. Vandalismus ist ein großes Thema, sowas wie die eingeklemmte Bierflasche in der Tür, Gegenstände auf der Fahrbahn…

[Das Gespräch ist ein Auszug aus dem Podcast "Eine Runde Berlin. Die ganze Folge hören Sie auf auf Tagesspiegel.de, Spotify, Apple Podcasts und überall, wo es Podcasts gibt.]

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Was passiert bei Gegenständen im Gleis?

Bei einer Bierflasche kann man einfach weiterfahren. Bei einem Fahrrad werden die Züge angehalten. Und wenn’s ganz schlimm kommt, gibt’s einen Notfallknopf. Dann werden alle Fachgespräche im gesamten Netz unterbrochen, die Leitstelle und alle Triebfahrzeugführer hören nur mich und ich kann erklären, warum zum Beispiel in Gesundbrunnen alle Züge anhalten sollten.

Im schlimmsten Fall sind Menschen auf dem Gleis und werden tödlich verletzt. Die Bahn spricht dann von „Personenunfällen“. Ist Ihnen das schon mal passiert?

Ja.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Die S-Bahn hat da mittlerweile ein professionelles Team etabliert, mit einem Verkehrspsychologen und einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung durch einen Bereitschaftsdienst, der mich als Mitarbeiter in so einem Fall nach Hause fährt. Die Kollegen dort sind unsere ersten Ansprechpartner und bieten eine super Unterstützung. Da bin ich dankbar, dass das so gut geklappt hat und ich schnell wieder fahren konnte. Man hat das gut verarbeitet mit den Profis.

Eine Runde Ringbahn dauert im Normalfall 60 Minuten. Wie viele Runden fährt man in einer Schicht?

Sechs Runden fährt man schon. Aber in der Regel wird man nach zwei Runden abgelöst, um zum Beispiel die Toilette zu besuchen.

Sie passieren in einer Schicht das gesamte Berlin-Panorama. Würden Sie sagen, man kann anhand der einsteigenden Menschen erkennen, wo man sich gerade auf dem Ring befindet?

Zum Teil. In Richtung Ostkreuz ist die Partyszene unterwegs sein. In Richtung Westkreuz, Halensee, Südkreuz ist es abends ein bisschen ruhiger. Da kommen die Leute eher zum Shoppen hin.

„Mitvergnügen“ hat mal kuriose Ringbahn-Erlebnisse gesammelt. Vom Schülerchor, der nachts „Bella Ciao“ singt, über ein Paar das Sex hat, bis zur Bong…

Bei mir hat mal einer an der Tür geklopft, weil ein anderer Fahrgast mit einem riesigen Hund eingeschlafen ist und der Hund die Zähne gefletscht hat, sodass die Fahrgäste sich bedroht gefühlt haben. Es gibt aber auch ganz andere Geschichten… Wir kriegen öfters mal Zuschriften: „Mann sucht Frau. Bin an dem und dem Tag S-Bahn gefahren und da hat mir jemand zugeblinzelt.“ Oder wenn ein Lokführer eine nette Auskunft gegeben hat und jemand fragt, ob er nicht Kontakt zu dem Fahrgast aufnehmen will. Ich glaube, da ist schon die ein oder andere Liebschaft entstanden.

In der Regel läuft der Kontakt zu Fahrgästen über Lautsprecher. Gibt’s da Regeln?

Man muss die Linie ansagen und soll langsam sprechen. Wir haben mittlerweile auch viele zugezogene Kollegen… Da ist ein Ansagetraining, dass der Berliner es kurz und präzise braucht, nicht schlecht. Mich als Berliner versteht man vielleicht ehe, als dren Sachsen oder Bayern – ohne da jemanden konkret anzusprechen.

Kolleginnen gibt’s grundsätzlich eher weniger. Bundesweit liegt der Anteil der Triebfahrzeugführerinnen bei rund fünf Prozent.

In Berlin sind es zehn Prozent. Wir haben uns vor Jahren überlegt, Frauenklassen in der Ausbildung zu machen. Das ist sehr gut angekommen bei den Damen, einige sind aus dem Einzelhandel oder anderen Berufen gekommen. Jede Frau, die zu uns will, würden wir begrüßen.

In Hamburg ist kürzlich eine autonome S-Bahn ausgezeichnet worden. Machen Sie sich sorgen, dass Ihr Beruf ausstirbt?

Ne, der Fahrgast vertraut immer noch dem Menschen. Und ich kann es mir für Berlin aufgrund der Infrastrukturverhältnisse und der hohen Anzahl an Bahnhöfen erstmal nicht vorstellen. Da bin ich dann wahrscheinlich schon in Rente.

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