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Alex Bisaliev nimmt mit seinem Fahrrad-Laden "Steel Vintage Bikes Café" am Weidenweg 63 in Berlin-Friedrichshain an der Berlin Bicycle Week teil.

© Kitty Kleist-Heinrich

Trend in Berlin: Das Fahrrad auf dem Weg zum Statussymbol

Liebhaberstück und Geldanlage: Fahrräder sind mehr als nur Transportmittel. Drei Läden in Berlin bieten ganz besondere Modelle an: aus Stahl, handgemacht, maßgeschneidert. Eine Rundfahrt.

Zehn Jahre ist es jetzt her, dass Alexander Bisaliev schmerzlich dabei zusehen musste, wie andere ihn überholten. Irgendwo in der Nähe von Freiburg auf einer steilen Straße saß er auf seinem Fahrrad und kämpfte sich vorwärts, während andere Radfahrer scheinbar mühelos vorbeirauschten. Er brauchte ein anderes Fahrrad. Ein besseres. Sein Ehrgeiz war geweckt: Die Suche nach dem perfekten Rad begann.

Das Erlebnis hat Alexander Bisaliev geprägt. Noch immer ist er auf der Suche nach dem besten, dem schönsten Fahrrad. Doch längst ist er es, der andere überholt, der ihnen davonfährt.

Bisaliev hat eine Nische entdeckt, die ihn zum Marktführer im Online-Verkauf gemacht hat. Er handelt mit Stahlrahmen-Fahrrädern. Auf die Frage, ob die nicht längst aus der Mode gekommen sind, antwortet er: „Ja, es gab eine Zeit, da haben Firmen sie containerweise weggeschmissen. Und das bereuen sie nun.“

Zeichneten sich Räder früher durch die Prädikate funktionstüchtig und praktisch aus, müssen sie heute individuell und am besten handgefertigt sein. Das Fahrrad ist nicht mehr bloß ein Alltagsgegenstand, es ist ein Liebhaberstück, ein Statussymbol – und eine Geldanlage.

Es gilt „seltene Klassiker“ zu finden

Wo diese neue Wertschätzung anfängt, lässt sich an Alexander Bisalievs Pullover ablesen. Der Mann mit den braunen Augen und dem schüchternen Lächeln trägt selbst auf seinem Oberteil ein Fahrrad, umrahmt von einem Herz. Der 31-Jährige steht in seinem Café „Steel Vintage Bikes Café“ in einer Seitenstraße in Friedrichshain. Museum könnte man es auch nennen. Sie sind überall: an den Wänden, im Fenster, sogar als Sitze hat Bisaliev sie umfunktioniert. Bordeauxrote, orangene, blaue Fahrräder. Daneben baumeln Sportschuhe, hängen Trikots und Plakate der Tour de France und der Giro d’Italia.

Es scheint, als habe Alexander Bisaliev nichts dem Zufall überlassen. Dabei ist es gerade auf diesen Zufall angewiesen. Es gilt „seltene Klassiker“ zu finden. „Anfangs habe ich bei Kleinanzeigen nach handgemachten Stahlrädern gesucht. Heute habe ich Kontakte zu Großhändlern und Sammlern“, sagt er. Anfangs. Das war damals in Freiburg, als er noch Mathe studierte und nebenbei Fahrräder restaurierte.

Seit dreieinhalb Jahren ist er mit seinem Café in Berlin. Aber warum ausgerechnet Stahlräder? „Sie sind schlank, schön. Und es fühlt sich gut an, mit ihnen zu fahren.“ Im Gegensatz zu Aluminiumrädern könne man mit ihnen zwar nicht so schnell umschalten und müsse vorausschauend fahren, dafür seien sie handgefertigt. Ein Stahlrad der Marke Bergamin zählt zu den ältesten in seinem Laden und wurde 1950 in einer Turiner Manufaktur hergestellt. Viele Rahmenbauer seien früher in Europa und speziell in Italien ansässig gewesen. „Da hat der Radsport einfach eine sehr große Popularität genossen“, erklärt Bisaliev.

Woher rührt die erneute Nachfrage?

Kann er sich noch an sein erstes Fahrrad mit Stahlrahmen erinnern? „Ja, klar. Ein Battaglin.“ Farbe? „Rot. Ich glaubte, das Beste gefunden zu haben. Und dann hatte ich schon nach zwei Wochen das nächste entdeckt“, sagt er und lacht.

400 Stück habe er im vergangenen Jahr verkauft. Die Nachfrage ist da. Das war nicht immer so. Anfang der 2000er bekamen die Stahlräder Konkurrenz durch Carbon und Aluminium. „Da war der Tiefpunkt erreicht.“ Unternehmen hätten ihre Produktion eingestellt. Heute ist es anders: Battaglin aus Norditalien habe wieder begonnen Stahlräder zu fertigen.

Woher rührt die erneute Nachfrage? Und wer sind Alexander Bisalievs Kunden, die um die 2000 Euro für ein Stahlrad ausgeben? Es riecht nach Gummi, als man seine Werkstatt betritt, in der er und sein Team die Vintage-Fahrräder restaurieren. An der Wand hängen Schraubenzieher, liegen Reifen, Rahmen, Sprühdosen. „Ein Mädchen wünschte sich zum 18. Geburtstag ein Stahlrad. Das hatte ich nicht erwartet“, sagt Bisaliev. Andere Fans seien mit dem Radsport aufgewachsen, hätten Idole in der Szene. „Die Räder erinnern sie daran. Manche haben schon ein Alu-Rad und wollen jetzt etwas Besonderes. Keine Massenware.“ Von Jahr zu Jahr steigere sich der Wert der Räder. So gesehen seien sie auch eine Geldanlage.

Wir haben wieder eine lebhafte Fahrradkultur

Individualität, maßgeschneiderte Exemplare – mit diesem Wunsch versuchen auch Antoine Capeyron und Eberhard Schilling ihr Geschäft zu machen. In einem Hinterhof in Kreuzberg haben die beiden auf 22 Quadratmetern Werkstatt und Ausstellungsraum ihres Start-Ups „Happarel Bicycles“ aufgemacht.

An der Wand hängen, an der Türe lehnen die Experimente der vergangenen Wochen. Über den Rahmen und manchmal auch ddie Speichen ziehen sie eine reflektierende Folie, mal ganz in schwarz, mal gemustert. „Das ist sicher und sieht gut aus“, sagt Eberhard Schilling, der eigentlich Politikwissenschaftler ist. Antoine Capeyron lässt seine Kenntnisse als Grafikdesigner und Mechaniker in das Start-Up einfließen. Das Aufziehen der Folie ist aufwändig und dauerte anfangs Tage. Lohnt sich das? „Wir haben wieder eine lebhafte Fahrradkultur. Nachhaltigkeit, Urban Lifestyle – da spielt auch das Fahrrad eine Rolle“, sagt Schilling.

Das Fahrrad zu etwas sehr Persönlichem zu machen, versucht auch Florian Haeussler. Mit seinem Unternehmen „Fern-Fahrräder“ hat er sich auf Reisefahrräder spezialisiert. Er fertigt Räder nach Maß, von der Klingel bis zum Gepäckkorb. Gerade bei langen Reisen baue man ein inniges Verhältnis zu seinem Rad auf, sagt er. Und noch etwas habe er beobachtet. Das Fahrrad sei auf dem Weg zum Statussymbol. „Wer mit dem Rad zur Arbeit kommt, kann sich viel stärker profilieren als mit einem Auto.“

Julia Bernewasser

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