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Bis 40 Kilogramm sind zumutbar. DHL-Bote Ilias Pechlivanidis auf seiner Tour in Neukölln.

© Hans-Christian Mennenga/DPDHL

Tour mit einem DHL-Zusteller: Für einen Katalog in den fünften Stock im Neuköllner Hinterhaus

Fast jeder ärgert sich mal über Paketboten. Dabei gäbe es ohne sie keine bequemen Online-Bestellungen. Eine Reportage von der Basis von DHL in Neukölln.

Von Magdalena Thiele

Ein Freitagmorgen im Verteilzentrum des Logistikkonzerns Deutsche Post DHL an der Neuköllner Grenzallee: Inan Aktas ist wie immer schon seit sechs Uhr vor Ort, um seine 70 Mitarbeiter, seine „Jungs“, wie er sie nennt, rechtzeitig auf Touren zu bringen. Seine Ansagen macht er auf Deutsch, Türkisch, Englisch, Arabisch, manchmal auch auf Kurdisch.

Die „Jungs“ (zwei der 70 müsste er eigentlich „Mädchen“ nennen) kommen aus 19 verschiedenen Nationen. „Dank der Sprachvielfalt können wir fast jeden in seiner Muttersprache einarbeiten“, erklärt der 33-jährige Leiter der Zustellbasis. Das mache vieles einfacher.

Es sind Christen, Muslime und Juden darunter. Probleme bereite diese Mischung Aktas eigentlich nie. „Ich erkläre denen immer, das ist wie beim Fußball. Wir sind hier ein Team und tragen alle dasselbe Trikot – in DHL-Farben Gelb und Rot. Alles andere spielt keine Rolle“.

Mit dieser Einstellung hält Aktas die Truppe zusammen, allerdings ist das nur die halbe Wahrheit: Natürlich spielen viel mehr Faktoren eine Rolle in seinem Job – allen voran die Kundenzufriedenheit. Und um die stand es in Berlin lange nicht zum besten: Wer hat noch nie einen Abholschein im Briefkasten gefunden, obwohl er definitiv zu Hause war? Zugleich häuften sich Berichte über Stress und miese Bezahlung von Boten, so schlimm, dass man eigentlich nur Verständnis haben kann, wenn sie auch mal 13 gerade sein lassen (müssen).

In Kritik stehen und standen praktisch alle Paketfirmen. Die Deutsche Post DHL hat immerhin im März mit der Gewerkschaft Verdi eine Tarifvereinbarung geschlossen, die unter anderem die Integration von 13.000 Paketzustellern aus Tochtergesellschaften in den Haustarifvertrag regelt.

Alle Brief- und Paketzusteller seien heute sozialversicherungspflichtig und tarifgebunden beschäftigt, versichert Konzernsprecher Hans-Christian Mennenga. Man zahle die besten Löhne der Branche: Bis zur nächsten Tariferhöhung im Oktober liege der Stundenlohn für die Zusteller zwischen 13,37 Euro und 17,21 Euro.

Kritik betrifft fast alle Paketfirmen

Die Wettbewerber Hermes und DPD sind laut Verdi an die Flächentarifverträge Speditionen und Logistik gebunden, würden allerdings nur wenige eigene Zusteller beschäftigen, sondern fast ausschließlich Subunternehmer. Auch der größte Onlinehändler Amazon regele seine Zustellung über Vertragspartner, die meist nur den gesetzlichen Mindestlohn von 9,19 Euro zahlen, erklärt eine Verdi-Sprecherin.

Neuköllns Paket-Basis-Chef Inan Aktas hatte vor fünf Jahren selbst als Paketzusteller angefangen. „Ich war gerade fertig mit meinem BWL-Studium, dann stand die Hochzeit an, und ich brauchte erstmal Geld“, erinnert er sich. Heute leitet er die ganze Zustellbasis, von wo aus an diesem Tag 6700 Sendungen für Empfänger in Neukölln und Kreuzberg zwischengelagert sind.

Inan Aktas koordiniert rund 70 Mitarbeiter.
Inan Aktas koordiniert rund 70 Mitarbeiter.

© Mennenga/DPDHL

150 davon lädt Ilias Pechlivanidis gerade in seinen gelben Transporter. Vor knapp fünf Jahren ist er gemeinsam mit seiner Partnerin nach Deutschland gekommen. In seiner Heimat Griechenland hatte er zu lange keine Arbeit gefunden, von der er leben konnte. Mit seinen Kollegen spricht er einen Mix aus Englisch und Deutsch, irgendwie versteht man sich immer.

„Einen Deutschkurs habe ich bisher nicht gebraucht. Ich will erstmal sehen, wie weit ich in Berlin ohne Deutsch auskomme. Bisher funktioniert das prima“, sagt Pechlivanidis auf Englisch. Deutsche Sätze wie „Paketpost für Sie“ oder „Hier bitte den Empfang quittieren“ spricht er nahezu akzentfrei in Neuköllns Gegensprechanlagen.

Seine Stammtour führt Pechlivanidis durch den Norden des Bezirks – rund um den Hermannplatz. Erster Stopp nach dem Aufladen ist die Fontanestraße und der kleine Kiosk an der Ecke Flughafenstraße. Dieser Inhaber nimmt gerne die Pakete der Nachbarschaft entgegen. Davon profitiert auch er, wenn mancher Empfänger beim Abholen ein paar Euro in seinem Laden lässt.

Der Zusteller kennt seine Strecken

Es ist heiß an diesem Tag. Pechlivanidis’ Lieferwagen hat keine Klimaanlage, aber das stört den hitzeerprobten Griechen wenig. Ohnehin würde das nicht viel nutzen, schließlich fährt er immer nur kurze Strecken – mehr als zehn Hausnummern sind es meistens nicht. Mit jedem Türöffnen wäre das Klima raus.

Er mache die Arbeit gerne, nicht zuletzt weil er immer dieselbe Strecke fahren kann. Inzwischen weiß er, welches Paket in welches Hinterhaus, in welche Etage gehört. Pechlivanidis nimmt einen dicken Versandhauskatalog in die Hand: „Dafür müssen wir in den fünften Stock laufen“. Eigentlich dürfe er die Sendung auch in den Briefkasten tun, aber die Dame könne eben nicht mehr gut die Treppen laufen. Deshalb bringe er ihr immer alles nach oben.

Größte Hochachtung und Respekt für diesen Knochenjob an alle Paketzusteller, egal in welchem Unternehmen.

schreibt NutzerIn Cantata

Diesen Job machen nur sehr wenige Frauen, erklärt Aktas. Immerhin würden die Pakete, die man allein tragen muss, bis zu 40 Kilogramm schwer sein, größere und noch schwerere werden dann als Sperrgut transportiert. „Meine Jungs machen hier jeden Tag einen Knochenjob“, sagt Aktas. „Da spart man sich das Pumpen im Fitnessstudio“.

Paketzusteller gern gesehen

Für die Mühe gibt es manchmal auch gutes Trinkgeld, berichtet Fahrer Pechlivanidis. Die Neuköllner würden besser zahlen als die Empfänger in den eher sozial besser aufgestellten Bezirken wie Zehlendorf oder Charlottenburg. Vielleicht wissen hier mehr Menschen aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, bei Wind, Wetter, und hohem Tempo ein Dienstleister zu sein.

Sein Kollege Shala Abdel Al Amir (44) und gebürtiger Libanese möchte keinen anderen Job. „Du wirst in deinem Bezirk so etwas wie eine Celebrity“. Fast jeder würde einen kennen und sich freuen, da man derjenige sei, der die ersehnte Lieferung bringt.

Natürlich gäbe es immer Kunden, die etwas zu meckern hätten, bestätigt Basisleiter Aktas. Und obwohl bisher noch keine Zustellung an der Sprache gescheitert sei, sei die häufigste Beschwerde nicht etwa die über ein falsch abgelegtes Paket, sondern: „Der Paketbote spricht zu wenig Deutsch“. Zumindest in der DHL-Basis in der Neuköllner Grenzallee sollen Sprachprobleme die Stimmung niemals trüben.

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