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Svitlana Hüttner kommt selbst aus der Ukraine und übersetzt nun beim Fußballprojekt von Arminia Tegel.

© Sven Darmer

Torschüsse gegen die schrecklichen Bilder: Berliner Vereine helfen ukrainischen Kindern mit Fußballtraining

Arminia Tegel und „I love Tegel“ trainieren mit geflüchteten ukrainischen Kindern Fußball. Das lenkt ab vom Leid, das sie zu Hause erleben mussten.

Der junge Fußball-Trainer hat einen wild tätowierten rechten Unterarm, man kann es gut sehen, weil er jetzt seinen Arm ausstreckt, um eine Übung zu erklären.

Vor ihm stehen rund 30 Jungs, zwischen sechs und 15 Jahre alt, sie sollen auf dem Borsig-Sportplatz in Reinickendorf eine Passübung machen. Dazu müssen sie sich aber erstmal im richtigen Abstand positionieren. Die meisten bewegen sich. Eine Gruppe freilich bleibt stehen, darunter ist ein Sechsjähriger mit grauem T-Shirt und knielanger blauer Hose. Sie alle haben keine Ahnung, was sie tun sollen? Wie auch? Sie verstehen nur Ukrainisch.

Also schreitet Svitlana Hüttner ein, gebürtige Ukrainerin, seit mehr als 20 Jahren in Deutschland. Sie übersetzt die Anweisungen, alles klar, auch der Junge in der blauen Hose stellt sich richtig hin. Er heißt Dmytro (Name geändert), Svitlana Hüttner ist seine Tante. Sie ist Auffangstation für ihre beiden Schwestern und deren drei Kinder. Das Dröhnen von Explosionen in ihrem Ort in der Westukraine zwang sie alle nach Berlin.

Und Svitlana Hüttner ist jetzt wichtiger Teil eines Hilfs- und Integrationsprojekts. Ukrainische Kinder spielen bei Arminia Tegel Fußball, sie sollen schreckliche Bilder vergessen, sie sollen Spaß und Freude haben.

Ein paar Meter abseits steht einer der Initiatoren dieses Projekts. Felix Schönebeck sah traurige, verängstigte Kinderblicke, das brachte ihn auf diese Idee. Der Jurist ist Vorsitzender des Vereins „I love Tegel“, eine ehemalige Kiezinitiative, die sehr viel ehrenamtliche Arbeit leistet. „I love Tegel“ bringt seit Kriegsbeginn wichtige Artikel für Flüchtlinge nach Rzepin in Polen.

Auf dem Bahnhof von Rzepin kam die Idee zum Projekt

Dort, auf dem Bahnhof, sah er die Mütter und ihre Kinder, viele traumatisiert, und ein Gedanke schoss ihm durch Kopf: „Viele dieser Menschen kommen nach Deutschland, wie kann man vor allem den Kindern am besten helfen?“

Mit Sport, lautete die Antwort. Die fröhlichste, einfachste Art, Spaß zu haben. Und ermöglicht hat es ein Gemeinschaftsprojekt: Das Bezirksamt Reinickendorf gestattete in kürzester Zeit, dass die ukrainischen Flüchtlinge dort Fußball spielen dürfen, Arminia Tegel stellte sofort Trainer und Bälle zur Verfügung und integriert die Kinder perspektivisch in altersgerechte Mannschaften.

Zehn Jungen kamen zum ersten Training

Vor einer Woche das erste Training der Jungs. Zehn hatten sich angemeldet, Kleidung stellte erstmal der Verein, Schuhe brachten die Kinder selber mit oder der Vereins stattete sie aus. Mitglieder hatten gespendet. „I love Tegel“ besorgt dann neue Schuhe, auch mit Hilfe von Spenden. Schönebeck hatte in kürzester Zeit dafür von Bekannten Geld erhalten.

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Das Projekt wurde schnell publik: „I love Tegel“ informierte Medien und die ukrainische Community in Berlin, mit großer Resonanz. Auch Familien, die ukrainische Flüchtlinge aufgenommen haben, meldeten sich. Die meisten der Kinder hier auf dem Platz sind in Reinickendorf untergekommen.

Bis jetzt haben sich nur wenige Mädchen angemeldet

Vergangene Woche dann das erste Training, für Jungs aber nur. Fürs Mädchentraining gab es nur eine Anmeldung, das Mädchen wurde aber krank, und fürs zweite Training gab es zwei Meldungen.

Schon das erste Training bewies den Erfolg des Projekts. „Die Kinder waren introvertiert, verschüchtert und verängstigt, als sie ankamen“, sagt Schönebeck. Aber das war wie weggewischt, als sie auf den Platz gingen. Und die Eltern waren froh, dass sie jemanden hatten, mit dem sie ukrainisch reden konnten.“

Diese Eltern bedankten sich danach herzlich bei Schönebeck. Der war gerührt. Dienstag in dieser Woche, das zweite Jungs-Training. Schönebeck hat fünf Kartons mit neuen Schuhen mitgebracht. Sie sind erstmal für jene Kinder gedacht, die beim ersten Training keine passende Größe gefunden hatten. Die Größen hat er bei den Müttern abgefragt.

Der Sporthändler gab Rabatt

Und als er die Schuhe in einem Sportgeschäft kaufte, gab ihm der Inhaber Sonderrabatt. Der Sporthändler hatte im Radio von dem Projekt gehört und war begeistert. Nach und nach sollen alle Kinder neue Schuhe erhalten.

Es ist 16.45 Uhr, die ersten Kinder tauchen auf, von Angst keine Spur. „Hallo“, sagen sie freundlich zu Schönebeck und zu einer Trainerin, die gerade auftaucht. Jetzt sind die neuen Schuhe viel spannender. Dass nicht alle passgenau sind, egal.

Die Kommunikation läuft mit Sprachprogramm

Schönebeck steckt einer Mutter sein Handy entgegen, auf dem Display steht in Kyrillisch die Größe eines Schuhpaares. Er hat die Info mit einem Sprachprogramm übersetzt. So läuft die Kommunikation im Projekt, die Eltern arbeiten genauso, wenn sie ihn anschreiben.

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Aber zum Glück gibt es ja am Dienstag Svitlana Hüttner. Alle ihre drei Neffen stehen auf dem Platz, sie übersetzt die Anweisungen der Trainer, vor allem aber spielt sie selber mit. Sie passt den Ball zu Dmytro, der begeistert aufs Tor schießt. Dann strahlt er seine Tante an.

Es ist eine der vielen Gesten, die den Wert des Projekts ausmachen. „Ich finde es gut“, sagt Svitlana Hüttner, „die Kinder vergessen in diesem Moment alles.“

Die Mütter reden entspannt miteinander

Und am Spielfeldrand sitzen Mütter und reden entspannt. Schönebeck, im politischen Leben Bezirksverordneter für die CDU in der BVV Reinickendorf, sieht sich als Realist, er sagt: „Die Perspektiven für eine schnelle Rückkehr sind ja gering, deshalb ist das auch ein Integrationsprojekt.“

Doch Heimweh folgt keinen rationalen Regeln. Dmytro strahlt, die anderen haben auch Riesenspaß, alles klar, alles toll, aber es ist Freude für kurze Zeit. Was ist der größte Wunsch ihrer Neffen? Da verliert Svitlana Hüttner ihr Lachen. „Die Kinder“, sagt sie, „möchten am liebsten sofort wieder nach Hause.“

Kontakt: facebook.com/ichliebetegel. Trainingszeiten: Berliner Str. 71, 13507 Berlin. Jungs: Dienstag 17 bis 18.30 Uhr, Mädchen: 17 Uhr bis 18.30 Uhr Jahrgänge 2009-2012, 18.30 bis 20.30 Uhr: Jahrgänge 2005-2008. Spendenkonto von „I love Tegel“: IBAN DE05 8306 5408 0004 2544 73, Stichwort „Fußballprojekt I love Tegel“.

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