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Gewalt in der U-Bahn war das Thema im Berliner "Tatort".

© dpa

Tödliche Gewalt: So leiden die Angehörigen von Prügel-Opfern

Im Berliner Tatort „Gegen den Kopf“ prügeln zwei Jugendliche einen Mann zu Tode. Was richtet solch eine Tat bei den Angehörigen der Opfer an? Vaja Marcone hat es selbst durchgemacht.

An schönen Tagen ist es besonders schlimm. Dieser Donnerstag ist so ein Tag. Dann denkt Vaja Marcone nur daran, dass ihr Giuseppe bei sonnigem Wetter besonders fröhlich war. Und daran, dass er das nicht mehr erleben wird, nie wieder. Giuseppe, ihr Sohn, wurde vor fast genau zwei Jahren, am 17. September 2011, von einem Auto überfahren. Er war vor zwei jungen Männern hinaus auf die Straße geflohen, die ihn im U-Bahnhof Kaiserdamm verprügelt hatten. Giuseppe war 23 Jahre alt.

Seine Geschichte ähnelt der von Dominik Brunner, der im September 2009 an einer Münchner S-Bahn-Station zu Tode geprügelt wurde. Oder der von Markus P., der im April 2011 bei einer Attacke am Bahnhof Friedrichstraße schwer verletzt überlebte. Und vielen anderen Schicksalen von Menschen, die an Orten des öffentlichen Nahverkehrs angegriffen wurden. Die ARD hat diese Geschichten am Sonntag im Berlin-Tatort „Gegen den Kopf“ aufgegriffen. Er handelte von zwei Jugendlichen, die einen Mann zu Tode prügeln.

Doch was macht so eine Tat mit den Angehörigen der Opfer?

„Das erste Jahr war einfacher, ich lebte im Schockzustand“, sagt Vaja Marcone. „In meinem Bewusstsein war nicht angekommen, dass Giuseppe nie wieder kommt. Ich wartete auf ihn.“ Die 51-Jährige sitzt im Wintergarten ihres Einfamilienhauses am Rande des Grunewalds und starrt jetzt hinaus in ihren Garten, in den dunkelblauen Himmel, in die Baumwipfel. „Dieses Jahr habe ich verstanden.“ Sie schluckt hart die Tränen weg.

Am Kragen ihres grauen Pullovers trägt Vaja Marcone einen Button mit der Aufschrift „GZM missing“. GZM ist einer von Giuseppes Spitznamen. An der Wand, gleich hinter ihr, klebt ein Scherenschnitt-Bild ihres Sohns, es erinnert an das berühmte Che-Guevara-Konterfei. Und überall in der Wohnung stehen Fotos von Giuseppe.

„Ich denke immer an ihn“, sagt Vaja Marcone. Am Morgen zum Beispiel hat sie einen jungen Mann gesehen, in brauner Lederjacke auf einem Mofa. Sie dachte, „mein Sohn wäre an einem Tag wie heute auch so unterwegs.“ Kurz darauf begegnete ihr eine Gruppe junger Soldaten. Sie fragte sich, ob Giuseppe noch immer bei der Bundeswehr wäre. Ob sie und ihr Mann in den Süden gezogen wären, um ihm näher zu sein, wenn er sich dauerhaft verpflichtet hätte. Giuseppe wollte im Oktober 2011 in Bayern bei den Gebirgsjägern anfangen.

„Den Schmerz seines Verlusts, den werde ich nie los.“ Nach einer Pause fügt sie hinzu: „Aber er hätte nicht gewollt, dass wir traurig sind.“

Deshalb erzählt Vaja Marcone jetzt lieber von der Stiftung, die sie mit ihrem ältesten Sohn gegründet hat, von der Giuseppe-Marcone-Stiftung. Ihr Anwalt hatte die Idee. Der Prozess werde nicht helfen, den Verlust zu verarbeiten, erklärte er. Er sprach aus Erfahrung, schon lange vertritt er Angehörige von Opfern einer Gewalttat. Halt könnte Engagement geben, sagte der Anwalt dann zur Familie Marcone. Sie könnten zum Beispiel eine Stiftung gründen, deren Ziel es ist, Schicksale wie das ihres Sohnes zu verhindern.

Vaja Marcone fing sofort mit der Arbeit an. Bis heute hat sie nicht aufgehört. Jeden Tag recherchiert sie mehrere Stunden, telefoniert, trifft Leute. Zuerst wollte sie die Sicherheit im Nahverkehr erhöhen, sie sprach mit der Polizei, mit der BVG. Heute will sie gewaltbereite Jugendliche erreichen, ihnen klarmachen, dass sie sich gegen Gewalt entscheiden können und die Verantwortung tragen für ihre Taten. Gerade plant sie mit einem Spandauer Verein, der mit gewalttätigen Jugendlichen arbeitet, Ausstellungen über das Leben der Opfer von Gewalttaten. Sobald sie von einer neuen Tat liest, kontaktiert sie die Familien. Vaja Marcone kennt mittlerweile fast alle Betroffenen. Mit der Schwester von Johnny K. will sie ein Mahnmal gegen Gewalt am Alexanderplatz aufstellen. Und sie erinnert so oft es geht an das Leben ihres Sohnes. Am Kaiserdamm hat sie bereits vor drei Monaten ein Denkmal aufgestellt, am 25. Geburtstag ihres Sohns. Wo er starb, steht heute eine Steppenkirsche in einem Topf, darunter ist eine kleine Tafel angebracht.

„Wäre Giuseppe nicht gestorben, er wäre vielleicht sogar mit den Jungs befreundet, die ihn verprügelt haben“, sagt Vaja Marcone dann. „Er hat immer an das Gute in den Menschen geglaubt. In unserer Stiftung lebt sein Geist.“ Später erklärt sie, sie sei gelassener geworden seit dem Tod ihres Sohns, spontaner. „Früher war mir Sicherheit sehr wichtig. Jetzt weiß ich, dass Absicherung nichts bringt.“

Vaja Marcone setzt sich an ihren Computer, startet eine Power-Point-Präsentation, an der sie gerade arbeitet. Giuseppe als Baby zieht vorbei, als Kleinkind, als Jugendlicher, Giuseppe verliebt, auf Reisen, am Strand, beim Tanzen. Zu den Bildern läuft „Spiel mir das Lied vom Tod“. Am zweiten Todestag ihres Sohns, am 17. September, will sie die Präsentation am Kaiserdamm auf eine Leinwand projizieren. Als der Bildschirm schwarz wird, sagt Vaja Marcone: „Ich muss aufpassen, dass es nicht kitschig wird. Mit Kitsch erreicht man niemanden.“ Sie steht auf, gleich muss sie noch mal bei der Firma anrufen, bei der sie den Beamer leihen wird. Sie will wissen, ob das Modell, das sie gewählt hat, stark genug ist, um gegen das Licht der Laternen am Kaiserdamm anzustrahlen.

Dann sagt sie noch: „Wenn ich für die Stiftung arbeite, habe ich das Gefühl, dass sein Tod nicht ganz umsonst war.“

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