zum Hauptinhalt
Wer zum ersten Mal in Haft sei oder erst seit kurzer Zeit in einer Justizvollzugsanstalt, habe ein hohes Risiko für Suizidgedanken.

© Hannibal/dpa/pa

Tod in der Zelle: Suizidserie in Brandenburgs Gefängnissen wirft Fragen auf

Es ist der zweite Suizid in diesem Jahr in der JVA Dissenchen: Am 30. Mai wurde ein 42-Jähriger tot aufgefunden. Das Justizministerium reagiert zögerlich.

Von Sandra Dassler

Die Fakten lesen sich nüchtern: Am 27. Mai wurde der 42-jährige Mann festgenommen. Am 28. Mai erließ ein Richter Haftbefehl gegen ihn – laut Staatsanwaltschaft wegen Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung.

Weil der Tatverdächtige zum ersten Mal im Gefängnis war und Erstinhaftierte potenziell als suizidgefährdet gelten, kam er sicherheitshalber in eine kameraüberwachte Zelle der Justizvollzugsanstalt (JVA) Dissenchen bei Cottbus.

Da er sowohl bei der Haftprüfung als auch bei einem Gespräch mit einem Anstaltspsychologen angegeben hatte, dass keine Gefahr einer Selbstverletzung oder Selbsttötung bestünde, wurde er am 29. Mai in eine reguläre Einzelzelle verlegt.

Am 30. Mai war er tot. Bedienstete fanden ihn am Abend stranguliert in der Zelle. Zuvor hatte er sich nach JVA-Angaben nach Anträgen für Taschengeld erkundigt, die ein Bediensteter mit ihm ausfüllte. Nichts habe auf einen Suizid hingedeutet, hieß es.

Die Staatsanwaltschaft Cottbus geht jedoch davon aus, dass es sich eindeutig um einen solchen handelte. Jedenfalls gebe es keine Anzeichen für eine Fremdeinwirkung, sagte eine Sprecherin, sodass noch nicht feststehe, ob eine Obduktion notwendig sei.

Seit dem Jahr 2000 nahmen sich in Brandenburg mehr als 40 Inhaftierte das Leben

Es ist schon der zweite Suizid in diesem Jahr in der JVA Dissenchen. Erst im Februar hatte sich ein 23-Jähriger in seiner Zelle erhängt. Im April 2016 war ein 27-Jähriger im Krankenhaus gestorben, der sich wenige Tage zuvor ebenfalls in seinem Haftraum stranguliert hatte. Im August 2016 erhängte sich ein 66-Jähriger.

Insgesamt kam es 2016 zu drei Suiziden in Brandenburger Haftanstalten. 2015 waren es sechs, 2017 keiner und 2018 fünf. In Berlin schwankt die Zahl der Suizide in Haftanstalten zwischen zwei und sieben im Jahr.

Insgesamt nahmen sich in Brandenburg seit dem Jahr 2000 mehr als 40 Inhaftierte das Leben. In ganz Deutschland gab es im gleichen Zeitraum mehr als 1400 Suizide in Haftanstalten – mit steigender Tendenz und über dem EU-Durchschnitt. Etwa ein Drittel der Suizide geschah in den ersten vier Haftwochen.

Die Gefangenen befinden sich in der JVA in einer ungewohnten Situation, die sie überfordern kann“, sagt Maja Meischner-Al-Mousawi, Leiterin der Bundesarbeitsgruppe „Suizidprävention im Justizvollzug“ (BAG): „Der Vollzug ist auch eine machtvolle Institution und manche Menschen, häufig auch psychisch Auffällige, reagieren auf die Inhaftierung mit Suizidgedanken.“ Es sei wichtig, „den Menschen hinter der Straftat zu sehen und Unterstützung anzubieten. Viele kommen mit Schuldgefühlen nicht zurecht oder reagieren mit Resignation und Hoffnungslosigkeit“. Der Staat hat eine Fürsorgepflicht für seine Gefangenen.

Ministerium wollte sich nicht weiter zu Suiziden äußern

Aus diesem Grund hat das brandenburgische Justizministeriums im Februar dieses Jahres nach mehrmaliger Ankündigung einen JVA-Suizidpräventionsbeauftragten benannt: Psychologe Steven Feelgood hat sich unter anderem als Leiter der Sozialtherapeutischen Abteilung der JVA in Brandenburg/Havel (Sotha) einen Namen gemacht.

Das Ministerium wollte sich nicht weiter zu den Suiziden in Gefängnissen äußern. Ob es ein bestimmtes Prozedere gebe, nach dem die Suizidalität von Strafgefangenen eingeschätzt werden könne, und ob das Personal ausreiche, um Suizide verhindern zu können – keine Stellungnahme.

Möglicherweise werde sich der Rechtsausschuss am Donnerstag mit der Problematik beschäftigen, hieß es. Insider erwarten auch ein Statement von Justizministerin Susanne Hoffmann (CDU). Denn bereits am Mittwoch gab es wieder einen Suizid. Diesmal in der JVA Brandenburg/Havel – mit vielen Parallelen zum Cottbuser Fall.

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über Berlins wichtigste Nachrichten und größte Aufreger. Kostenlos und kompakt: checkpoint.tagesspiegel.de]

Auch hier handelte es sich um einen Untersuchungsgefangenen. Auch bei ihm wurde nach anfänglichen Sicherungsmaßnahmen später eine akute Suizidgefahr verneint.

Der 55-Jährige, der wegen eines Gewaltdelikts an seiner Ehefrau inhaftiert war, gab sich laut Ministerium „zukunftsorientiert“. Er habe mit dem Personal gesprochen und am Montag mit seiner Tochter telefoniert. Am Mittwochmorgen fand man ihn tot in seinem Einzelbettzimmer auf der Krankenabteilung der JVA. Die Polizei schließt ein Fremdverschulden aus.

Haben Sie dunkle Gedanken? Wenn es Ihnen nicht gut geht oder Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Das können Freunde oder Verwandte sein. Es gibt aber auch eine Vielzahl von Hilfsangeboten, bei denen Sie sich melden können.
Der Berliner Krisendienst ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern variieren nach Bezirk, die richtige Durchwahl für Ihren Bezirk finden Sie hier.
Weiterhin gibt es von der Telefonseelsorge das Angebot eines Hilfe-Chats. Außerdem gibt es die Möglichkeit einer E-Mail-Beratung. Die Anmeldung erfolgt – ebenfalls anonym und kostenlos – auf der Webseite. Informationen finden Sie unter: www.telefonseelsorge.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false