zum Hauptinhalt
Klein aber fein. In New York wurden im Sommer 2018 diese je 22 Quadratmeter großen "tiny houses" aus erneuerbaren Materialien ausgestellt. Entwickelt wurden sie an der Universität Yale.

© AFP

Tiny-Living wird zum Trend: „Singles und Alte müssten nicht einsam leben“

Nirgendwo wohnen so viele Menschen allein wie in Berlin. Für sie braucht es eine neue Bewegung: Micro-Living und neue Nachbarschaftskonzepte. Ein Gastbeitrag

Immer mehr Menschen, immer höhere Mieten und weniger Platz in Berlin. Daniel Dettling, Zukunftsforscher und Leiter des Berliner Büros des Zukunftsinstituts (www.zukunftspolitik.de), hat sich dazu Gedanken gemacht:

Die Immobilienpreise und Mieten für Wohnungen in Berlin steigen weiter. Eine Ursache ist die enorme Zunahme von Single-Haushalten.

Ihre Zahl ist in den letzten 30 Jahren bundesweit um 46 Prozent gestiegen. In Berlin wohnt fast jeder Zweite in einem Ein-Personen-Haushalt.

Zunehmen wird auch die Zahl der älteren Menschen. Bereits heute sind mehr als 30 Prozent der Berliner älter als 60 Jahre, bis 2050 sollen es über 43 Prozent sein.

Berlin wird zur Hauptstadt der Singles und Senioren. Vier Fünftel der Berliner Haushalte bestehen heute aus ein bis zwei Personen. Die Nachfrage nach kleineren Wohneinheiten und gemeinschaftlichem Wohnen wird steigen.

In Berlin entsteht eine neue Bewegung für urbanes Bauen.

Mehr Singles und Senioren führen zu neuen sozialen Herausforderungen: Die Einsamkeit nimmt vor allem unter den Jüngeren und den Älteren zu. Betroffen sind vor allem die um die 30-Jährigen und die über 80-Jährigen.

Wohnen wird zur doppelten sozialen Frage: Neben bezahlbaren Mieten geht es um attraktive Quartiere und Nachbarschaften.

Gefragt sind soziale und ökologisch nachhaltige Innovationen. Eine Antwort auf den Trend der Single-Haushalte ist verdichtetes und vernetztes Wohnen. „Tiny-Living“ begann in den 90er Jahren in den USA.

Es geht um kleine, flexible Wohneinheiten mit großer Lebensqualität. Die Generationen Y und Z, aber auch die Babyboomer wollen anders wohnen und leben.

Es geht immer mehr um Gemeinschaftsangebote

Ihnen geht es um mehr Gemeinschaft, Sharing-Angebote, Möglichkeiten, etwas zu teilen. Aus Büros wird Co-Working, aus Autobesitz Co-Mobility, aus Gärtnern Co-Gardening und aus Küchen und Wohnzimmern Co-Living. So entsteht am Südkreuz derzeit ein Quartier, das auf die neuen Bedürfnisse reagiert und 2020 fertig werden soll. Das Quartier mit 665 Mietwohnungen umfasst auch 116 geförderte Wohnungen für 8,50 Euro pro Quadratmeter.

Entstehen soll eine Gemeinschaft, die, so ihr Entwickler Joachim Wintzer, „groß genug ist, um etwas teilen zu können, und klein genug, um zu wissen, mit wem man teilt“. Ein ähnliches Projekt baut Hannover. In der niedersächsischen Hauptstadt entsteht Europas größte Siedlung für ökologisches, minimalistisches und inklusives Wohnen. Das basisdemokratische Projekt setzt vor allem auf drei Zielgruppen: „junge Radikale“, die reduziert leben wollen, Senioren, die Einsamkeit oder Altersarmut vermeiden wollen, und die mittlere Generation, die auf der Suche nach einer neuen Balance von Selbstbestimmung und Gemeinschaft ist. Im „Ecovillage“ sollen rund 500 Einheiten für bis zu tausend Bewohner entstehen. Das Projekt ist als Genossenschaft organisiert, Sozialwohnungen machen das Projekt aufgrund der staatlichen Förderung nicht nur günstiger, sondern auch multikulturell und inklusiv. Verhindert werden soll, dass Gutverdiener günstig an eine Eigentumswohnung kommen.

Zukunftsforscher Daniel Dettling.
Zukunftsforscher Daniel Dettling.

© privat

Das neue urbane Bauen reagiert auf ein neues Bedürfnis der Stadtbewohner: Teilen statt Eigentum. Ihre neuen Organisationsformen sind sehr alte: Genossenschaften und Gemeinschaften.

Damit setzt sich die Idee der Circular City durch: Menschen und Dinge zu verbinden, die auf den ersten Blick nicht zusammengehören.

Es geht um sozialen Austausch und um die Weiter- und Wiederverwendung von Dingen. Der „Clash of Spaces“ zwischen den unterschiedlichen Lobbygruppen (Wohnbau, Kleingärtner, Tourismus) soll vermieden werden, indem das Ziel „weniger Raum, mehr Lebensqualität“ konsequent umgesetzt wird.

Aus Bewohnern werden Nachbarn. Gemein ist den neuen Projekten, dass es ihnen nicht in erster Linie um „gutes Wohnen“, sondern um den Aufbau guter Nachbarschaften geht.

Bisherige Wohnkonzepte sind introvertiert und nach innen gerichtet und wollen die äußere Welt in der privaten Wohnung abbilden: „Meine Garage, mein Auto, meine Familie, mein Garten“.

Die neuen Konzepte sind eine Antwort auf das Bedürfnis nach Nachbar- und Gemeinschaft und den Trend, die Welt zu erobern, indem man die eigenen vier Wände verlässt.

Der neue Erfolg: Alleinewohnen in der Gemeinschaft

Das Potenzial für komprimiertes, verdichtetes Wohnen ist in Berlin enorm. Pro Einwohner stehen in der Hauptstadt 38,8 Quadratmeter zur Verfügung, in Warschau sind es 24,5, in Tokio nur 15.

Vor 100 Jahren stellte sich die Bauhaus-Bewegung der Frage, wie Gebäude designt sein sollen, damit sie einen sozialen Dienst an der Gesellschaft leisten. Heute geht es um Lösungen, welche die urbane Infrastruktur miteinbeziehen.

Auf 15 bis 20 Quadratmetern im Stadtraum zu wohnen, funktioniert nur, wenn es gut ausgestattete Bibliotheken, Räume der Begegnung und Angebote zum Teilen gibt.

Co-Living wird zum neuen Wohnmodell, nicht nur für Studierende und junge Leute. Populärer werden auch WGs für Berufstätige und Ältere sowie Mehrgenerationenhäuser.

Alters-WGs verbinden das Bedürfnis der Älteren, möglichst lange in den eigenen vier Wänden und nicht in einem Heim zu leben, mit der Notwendigkeit, sie gut und effizient zu betreuen. Unterstützt werden die WGs durch technologische Fortschritte im Bereich des Ambient Assisted Living (AAL) und des Smart Home. Langfristig lösen Alters-WGs die Altenheime ab.

Neue architektonische Antworten sind gefragt

Das neue gemeinwohlorientierte Wohnen richtet sich nicht nur an Menschen mit unterdurchschnittlichem Einkommen wie der traditionelle soziale Wohnungsbau, sondern an alle sozialen Milieus und Lebensstile.

Der Erfolg der neuen Projekte und Quartiere liegt im „Cluster-Living“: Alleinewohnen innerhalb einer Gemeinschaft. Es ist erst die Vielfalt an Wohn- und Lebensformen, die eine Großstadt lebenswert und attraktiv macht. „Die Menschen, nicht die Häuser machen die Stadt“ sagte Perikles, als er vor mehr als 2000 Jahren die Akropolis in Athen neu bauen ließ. Beim Bau von Wohnungen geht es immer auch um Beziehungen.

Nachbarschaften und Gemeinschaften entstehen, wenn sie gelingen. Es geht um neue architektonische Antworten auf veränderte Bedürfnisse. Im Rahmen der Ausstellung „Wohnen für Alle – Das Neue Frankfurt 2018“ präsentierten mehr als hundert Architekten ihre Entwürfe und nahmen am Wettbewerb um den Architekturpreis für bezahlbares und gutes Leben teil. Solche Ausstellungen und Architektenwettbewerbe braucht Berlin.

Daniel Dettling

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false