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Berlin: Thomas Schombel (Geb. 1960)

Beim Studium in Moskau hält er es nicht lange aus. Er kommt aus West-Berlin

Kräftig ist er und groß, 1,94 Meter. Ein ordentlicher Schrank, gesegnet mit einer durchdringenden Stimme. Einer, der ungewollt im Mittelpunkt steht, ein unruhiger Geist, der immer vorneweg geht. Unfallgefährdet ist er auch. Verirrt sich mal ein Dartpfeil, steckt er in Thomas’ Wange. Er lacht darüber. Sein Humor ist ansteckend. Er nimmt Menschen gerne mit, am liebsten in den Zoo. Als Dauerkartenbesitzer liebt er es, sich mit einem Eis auf eine Bank zu setzen und bei den Fütterungen zuzugucken.

Braucht jemand Hilfe, ist er schnell zur Stelle, seine Frau nennt das „den Supermannanteil“. Allein seine Größe wirkt deeskalierend. Gewalt ist seine Sache nicht. Dabei kann er Judo. Meistens reicht ein strenges: „Jetz’ is’ mal Ruhe!“ Wenn nicht, nimmt der Hüne langsam die Brille ab und gibt sie seiner Begleitung. „Pass ma’ uff!“ Dann ist wirklich Ruhe im Karton.

Thomas wächst an der Weddinger Wollankstraße auf. Die Eltern sind wegen des Grüns der nahen Schönholzer Heide dorthin gezogen. Die liegt zwar im Ostteil der Stadt, aber der Osten ist der Familie nicht nur geografisch nah. Beide Eltern sind Eisenbahner, und S- wie Reichsbahn gehören damals in ganz Berlin zur DDR. Auch politisch stehen die Schombels auf der Seite des Staates, der eine Mauer zwischen sie und die Schönholzer Heide baut.

Der Vater ist Mitglied der SEW, der „Sozialistischen Einheitspartei Westberlins“. Ihren Urlaub verbringt die Familie in der DDR, zu Zeiten, in denen das anderen Bewohnern des Westteils gar nicht möglich wäre. Thomas und seine Schwester fahren regelmäßig ins Reichsbahn-Ferienlager in der DDR, gemeinsam mit anderen Eisenbahnerkindern aus West-Berlin. Sie bleiben dort unter sich. Lediglich beim Fußball treffen Ost und West aufeinander. Die Westkinder sind dabei chancenlos, weil in der Minderheit.

Zu Hause in der Schule verkneifen sich die Geschwister beim Erzählen von Urlaubserlebnissen die Details. Die Lehrer wissen Bescheid und stecken nicht bloß bei Elternabenden in der Zwickmühle. West-Berliner Beamten ist es untersagt, mit Beschäftigten der DDR zu sprechen. Und während die meisten West-Berliner die S-Bahn boykottieren, läuft zu Hause bei Schombels überwiegend Ostfernsehen.

1976 wird Thomas ebenfalls Reichsbahner. Er macht eine Lehre als Triebfahrzeugschlosser. 35 Jahre lang wird er Lokomotiven warten von der Diesellok bis zum ICE.

Nach Feierabend engagiert er sich bei der Jugendorganisation der SEW, der „Freien Deutschen Jugend Westberlins“. Zweimal fährt er mit dem Freundschaftszug nach Moskau. 1980 beginnt er sogar ein Studium in der sowjetischen Hauptstadt, hält es dort aber nicht lange aus. Er ist eben Eisenbahner. Und Berliner.

Politisch bleibt er der SEW treu, begibt sich auf Klingeltouren, um Unterschriften zu sammeln, damit die Partei bei den Wahlen antreten kann. Manchmal klebt er nachts Plakate und sprüht Parolen. Einmal wird er dabei von der Polizei verhaftet.

Eine Gleichgesinnte ist Elke. Mit ihr zieht er nach Neukölln. Ende der achtziger Jahre verliert er den Glauben an die DDR. Sein politisches Engagement schwindet, sein Interesse jedoch nie. Als die Mauer fällt, ist er gerade Vater geworden. Die Beziehung mit Elke zerbricht ein paar Jahre später. Thomas entdeckt sein kreatives Potenzial, nimmt Gesangsstunden und singt mit tiefem Bass in Nachbarschafts-Chören. Bei einem Auftritt lernt er Sandra kennen. Mit ihr zieht er an den Lietzensee.

Im Februar 1999 wird bei ihm schwarzer Hautkrebs diagnostiziert. Er hadert nicht mit dem Schicksal, sucht nach alternativen Heilmöglichkeiten, begeistert sich für die anthroposophische Medizin.

Als Schlosser kann er nicht mehr arbeiten, er wechselt in die Bahn-Verwaltung. Fortan muss er sich um „Zeitmanagement“ und „Prozessoptimierung“ kümmern. Dabei weiß er ja, dass es zu nichts Gutem führen kann, wenn man auf dem Papier festlegt, wie lange an einer Schraube gedreht werden darf, Hauptsache Arbeitsstellen werden eingespart.

Auf der Abendschule holt Thomas 2005 sein Abitur nach, träumt davon, Sozialarbeit zu studieren. Er macht eine Ausbildung zum Klinikclown, um kranke Kinder und Senioren abzulenken. Dabei ist er selber krank. Aber die Ärzte machen ihm Hoffnung. Nach zehn Jahren gilt er tatsächlich als geheilt.

Er lernt schweißen und stellt kleine Metallfiguren her. Als alle Bekannten eine haben, belegt er einen Schmiedekurs. Mit zwei Freunden gründet er eine Band, die dadaistische Texte vertont.

Anfang 2011 kehrt der Krebs zurück. Metastasen befallen Knochen, Lunge und Leber. Grantig wird Thomas trotzdem nicht. Er will Sandra heiraten. Nach der Zeremonie geht die Gesellschaft Eis essen. Gerne hätten sie noch ein großes Fest gefeiert, später.

Am 30. Juni stirbt Thomas lächelnd im Kreis von Freunden und Verwandten. In seinem Namen werden sie eine Bank im Zoo stiften. An seinem Grab auf dem Waldfriedhof an der Heerstraße fährt regelmäßig die Eisenbahn vorbei. Thilo Bock

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