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Berlin: Thomas Friedrich (Geb. 1948)

Kaum eine historische Ausstellung ohne eine Leihgabe von ihm.

Irgendwann tauchte Thomas Friedrich in der Martin-Luther-Straße auf, in dem stadtbekannten Antiquariat von Carlos Kühn. Dort traf er andere Büchernarren, man kam ins Gespräch. In seinen Rucksack trug er das Angebot des kleinen Verlags, den er mitgegründet hatte. Ein linker Verlag, „LitPol“: Franz Mehring konnte man dort wiederentdecken, Blätter aus dem deutschen Bauernkrieg, vergessene Literatur der Weimarer Republik und des Exils und Peter Paul Zahls Instandbesetzer-Bilderbuch. Büchersammler und Antiquare gehörten bald zu seinem engsten Freundeskreis.

Das Interesse für die Kulturgeschichte hatte Thomas Friedrich erst im zweiten Anlauf entwickelt. Im ersten hatte er sich zum Juristen ausbilden lassen, dann kam der Verlag. Mitte der siebziger Jahre entdeckte er John Heartfield, den Erfinder der politischen Fotomontage, er gestaltete eine Heartfield-Ausstellung mit, befasste sich mit dem Ende der Weimarer Republik. Dass er sich besonders für die Spaltung der Arbeiterbewegung interessierte, hatte wohl biografische Gründe. 1949 kam Thomas Friedrich von Dresden in das winterliche West-Berlin, weil sein Vater, ein Sozialdemokrat, die Vereinigung von SPD und KPD nicht mitmachen wollte.

So machte Thomas Friedrich die Geschichte seines Vaters zu der seinen und gelangte schließlich an das Thema, das ihn in den folgenden Jahren nicht mehr losließ: die Geschichte Berlins, vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus. Er arbeitete an der Dokumentation „Topographie des Terrors“ mit, er stieß Projekte an, recherchierte, konzipierte, organisierte. Und er sammelte Bücher, Zeitschriften und Fotografien. Es gab fortan kaum eine historische Ausstellung in Berlin ohne eine Leihgabe von ihm. „Privatbesitz Berlin“ stand dann darunter. Jetzt trug Thomas Friedrich nicht mehr die Bücher seines Verlages durch die Stadt, sondern Bücher über sie. Wo immer man ihm begegnete – er hatte eine Plastiktüte dabei mit bibliophilen Schätzen, die er gerade aufgespürt hatte.

Zweite Anläufe waren typisch für ihn. Als der Bart längst abrasiert war, das Haar etwas ergraut und die beiden Töchter schon zur Schule gingen, begegnete er seiner neuen großen Liebe, Ingrid. Erst zog er mit seinen Büchertüten zu ihr, dann, 2006 heiratete er sie. Natürlich waren da auch all die Antiquare eingeladen, bei denen Thomas Friedrich Stunden um Stunden zubrachte, bei denen er sein Geld ließ.

Erhebliche Probleme hatte er mit Abgabeterminen: Wenn ein Aufsatz endlich aufgeschrieben war, war er längst nicht fertig. Immer wieder fand sich ein Dokument, ein Bild, das ein neues Licht auf die Dinge warf und unbedingt noch verwertet werden musste. Nichts war endgültig. Manuskripte musste man ihm entreißen.

Wenn Freunde bei ihm zu Besuch waren und über die Stadt sprachen, sprang er immer wieder auf, holte eine Erstausgabe aus dem Regal oder breitete einen stockfleckigen Stadtplan aus der Kaiserzeit aus. Während der jahrelangen Arbeit an seinem Buch über das nationalsozialistische Berlin lag überall der „Völkische Beobachter“ herum. Wollte man mit Thomas Friedrich essen, musste man einen seiner Tische zunächst von der Wucht der Geschichte befreien.

Die Wohnung wurde zu klein, ein Haus jenseits der nördlichen Stadtgrenze bot mehr Platz. Der Keller war genau vermessen und hätte all die Zeitschriftenbände, Fotobücher und Raritäten aufnehmen können. Das behauptete Thomas Friedrich jedenfalls. Aber die Umzugsleute stapelten die Bananenkisten einfach zu locker aufeinander, das neue Haus barst, bevor es bezogen war.

Aber dort kam Thomas Friedrich zur Ruhe, man sah ihn kaum noch mit Plastiktüten durch die Stadt laufen. Entspannung fand er, wenn er mit jungenhaftem Enthusiasmus in seinem Garten grillte. Manchmal besuchten ihn die erwachsenen Töchter. Dann setzte er sich mit ihnen auf die Hollywoodschaukel, war stolz auf sie und auf sein Haus. Die Zeit, die er in seinem Garten, in den Kellerfluchten zwischen gestapelten Zeitungen und sorgfältig archivierten Fotografien verbringen durfte, war kurz. Viele Kisten waren noch gar nicht ausgepackt, als ein Schlaganfall seiner Arbeit ein Ende setzte. Acht Monate lag Thomas Friedrich im Koma, ein langer Abschied. Nun sind es die Antiquare, die die Schätze aus seinem Nachlass ans Tageslicht befördern. Ulrike Baureithel

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