zum Hauptinhalt

Theaterperformance bei Karstadt: Alice im Shoppingland

Bei Karstadt am Hermannplatz wird ein Stück nach Vorlage des Klassikers gezeigt – bei laufendem Betrieb.

Verstört rennt das braune Kaninchen umher. Zu den Eingangstüren, zur Rolltreppe und um die Kaufhauskunden herum, die das gehetzte Treiben irritiert beobachten. Was tut es nur hier? Und wer ist bloß diese Frau in dem grauen Business-Kostüm mit den seltsam gekräuselten Haaren, die nicht weniger verloren wirkt? Die Frau heißt Alice und Karstadt am Hermannplatz ist ihr Wunderland. Hier begegnen ihr auf dem Weg zu einem mysteriösen Vorstellungsgespräch Schauwerbegestalter, die keine Berührung ertragen, Promotion-Jobber im Hummerkostüm, die über den Kapitalismus diskutieren und Geschäftsführerinnen, die nur ein Wort kennen: „Gefeuert!“ Begleitet wird Alice von 25 Zuschauern, die das surreale Spiel über sieben Stockwerke und 90 Minuten mitgerissen verfolgen. Beobachtet wird sie dabei von etlichen Kunden, die auf das aberwitzige Geschehen an diesem ganz normalen Einkaufsabend mit amüsiertem Erstaunen bis hin zu misstrauischem Befremden reagieren.

Die Performance „Alice im Wunderland“, die am gestrigen Mittwochabend am Hermannplatz Premiere feierte, heißt wie der Kinderbuchklassiker von Lewis Carroll. Doch was Regisseur und Choreograf Martin Stiefermann und seine zehnköpfige Kompanie „MS Schrittmacher“ während der Kaufhaus-Öffnungszeiten zeigen, ist alles andere als ein Kinderstück. Empfohlen ist der Besuch der Tanz- und Theaterproduktion ab 15 Jahren und das nicht ohne Grund: „Die Vorlage war schon immer eines meiner Lieblingsbücher, doch ich wollte sie von allem Märchenhaften befreien“, sagt Stiefermann. Sein Interesse gilt seit Gründung der Kompanie im Jahr 1998 stets dem Wechselspiel zwischen Individuum und Gesellschaft im städtischen Lebensraum. In seiner Alice-Version geht es um Berührung und Verführung, Selbstbestimmung und Selbstverlust, Machtstrukturen und Machtmissbrauch. Und um die Auseinandersetzung mit einer von Konsum und Überfluss geprägten Welt – obwohl Stiefermann selbst diesen Aspekt nicht so gern betont sehen möchte. Vielleicht, weil die Kooperation und die zweieinhalbjährigen Vorbereitungen mit und in dem Karstadt- Haus partnerschaftlich verlaufen sein sollen? „Nein, das bestimmt nicht. Mich hätte platte Konsumkritik in einem Einkaufstempel einfach nicht besonders interessiert“, versichert der 45-Jährige.

Dennoch. Während sie den Schauspielern und Tänzern durch die Schuh-, Damenober- und Sportbekleidungsabteilung folgen, ertappen sich manche Zuschauer, wie sie im Vorübergehen schnell mal die neuen Frühlingskollektionen auf den Ständern sondieren oder einen Blick auf die Sonderangebote werfen. Die normalen Kaufhauskunden wiederum wirken mitunter wie Statisten auf einer riesigen Bühne. Am wenigsten beeindruckt reagieren noch die Besucher in der Buchabteilung: Während der dortigen Szene, der witzig-bissigen Lesung eines abgehalfterten Serienhelden, schmökern manche einfach weiter.

„Dieses große Kaufhaus an der Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln schien mir schon lange der perfekte Ort für eine solche Inszenierung“, sagt Stiefermann, der in der Nähe wohnt. Wie in Carrolls Vorlage sei auch seine Alice (Antje Rose) hier ständiger Verführung ausgesetzt. Sechs Wochen lang hat die Gruppe fast täglich geprobt und hatte währenddessen Zugang zu allen Räumen. Auch die Zuschauer können nun das Untergeschoss betreten, in dem Weihnachtsmänner und – passenderweise – Rettungsringe lagern, und sie erleben in einem Lastenaufzug Alice‘ Panik beim Kollabieren des Sprachcomputers. Der hat am Ende der klaustrophobischen Tortur zumindest noch einen gut gemeinten Hinweis für die komplett aufgelöste Frau: „Bitte besuchen Sie auch unsere Apotheke im Erdgeschoss.“

Am heutigen Donnerstag und Samstag um 15 und 18 Uhr, Freitag um 11 und 18 Uhr. Außerdem vom 2. bis 5. April und am 7.4. jeweils um 15 und 18 Uhr. Tickets (16, ermäßigt 11 Euro) im KaDeWe, den Karstadt-Häusern Hermannplatz, Spandau und Tempelhofer Damm und im Dock 11, Kastanienallee 79, auf www.showtimetickets.de und www.dock11-berlin.de sowie unter Tel. 68 74 000 oder 35 120 312. Telefonische Reservierungen zur Abendkasse sind nicht möglich, Abendkasse nur bei Restkarten. Empfohlen ab 15 Jahren. Weitere Infos auf www.msschrittmacher.de

Eva Steiner

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false