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Berlin: Telefonzellen: Ein Quadratmeter Stadt

Was waren das für Zeiten, als Handys noch unbekannt waren und statt ihrer postgelbe Fernsprecherhäuschen das Bedürfnis nach mobiler Telefonie befriedigten. Sie rochen zwar irgendwie muffig - wie oft stieg einem kalter Zigarettenrauch in die Nase -, aber auf eine eigene Art vermittelten die Telefonzellen Geborgenheit.

Was waren das für Zeiten, als Handys noch unbekannt waren und statt ihrer postgelbe Fernsprecherhäuschen das Bedürfnis nach mobiler Telefonie befriedigten. Sie rochen zwar irgendwie muffig - wie oft stieg einem kalter Zigarettenrauch in die Nase -, aber auf eine eigene Art vermittelten die Telefonzellen Geborgenheit. Wenn sich die schwere Schwenktür hinter einem schloß, dann blieb der Lärm der Straße draußen. Ein Quadratmeter Stadt gehörte einem selbst - für Sekunden oder für Minuten. Stadtmöbel nennen sich diese kleinen Zellen, und Berlin war gut möbliert. Fast an jeder Straßenecke bettelten sie: "Ruf doch mal an!".

Jetzt ist es mit der Geborgenheit vorbei. Nach dem Willen der Telekom soll man sich beim Telefonieren an eine kalte Edelstahlsäule pressen, die sich Telestation nennt. Um einen herum tost der Stadtlärm, und bei schlechtem Wetter auch so mancher Regenschauer und eisige Windhauch. Kein Dach, das Schutz gewährte. "Schönwettertelefon" schimpfen die Telekom-Kunden - und sprechen plötzlich wieder über die Wonnen der Telefonhäuschen, erinnern sich der guten alten Zellenzeit. Ein Möbelstück bekommt seine nostalgische Patina.

Telefonhäuschen sind ein Kulturgut, das unser aller Biographien irgendwie geprägt hat. Fast jeder könnte Geschichten erzählen: Zum Beispiel von der Mutter, die einem immer Telefongroschen mitgab, "für den Notfall". Oder über die rettende Notlüge, die half, ein unangenehmes Gespräch zu beenden: "Du, mein Geld ist gleich alle." Und schließlich die heißen Liebesschwüre als Teenager, unbelauscht von den Eltern, verborgen hinter beschlagenen Scheiben.

Ein antiquitätenreifes Alter hat das Stadtmöbel Telefonzelle eigentlich noch gar nicht erreicht. Nicht ganz neunzig Jahre steht sie an Berlins Straßen. 1913 installierte die Reichspost die ersten Münzfernsprecher: kleine achteckige Paläste aus Holz und Stahl, die an klassizistische Tempel erinnerten, mit einem kleinen Eingangsbereich und natürlich einer Sitzgelegenheit. In der hektischer werdenden Großstadt wollte man nicht erst nach Hause rennen, um sich ein Fuhrwerk zu bestellen oder ein wichtiges Gespräch zu führen - und trotzdem legten die Berliner Wert auf Stil.

Der revolutionäre Ruf "Krieg den Palästen" machte nach dem ersten Weltkrieg auch vor den Telefonhäuschen nicht halt. Man ersetzte die Individualisten durch Massenware. Die erste Standardzelle stand ab 1928 am Berliner Reichskanzlerplatz (dem heutigen Theodor-Heuss-Platz in Charlottenburg): aus Stahl und Drahtglasfenstern gefertigt, auf einer standardisierten Grundfläche von einem mal einem Meter. Das Berliner "Fernsprechhäuschen", so die postamtliche Bezeichnung, geriet zum Exportschlager, den die Post überall im Reichsgebiet aufstellte. Allein in Berlin 200.

Amtlicher Standard auch die Farbgebung: zunächst gelb, blau und grau, ab 1935 dann rot, weiß und schwarz. Ab 1946 hielt man sie ganz in postgelb. Und das blieb jahrzehntelang so, übrigens auch in der DDR. Die Ostpost konnte es sich sogar erlauben, "Münzer" nicht in schweren Stahl, sondern aus Plastik fertigen zu lassen. So begehrt waren die Alumünzen, mit denen man die Telefone fütterte, dann doch nicht.

In der Bundesrepublik ließ die Bundespost immer neue Telefonhaus-Generationen entwickeln. Gelb blieben sie alle. Erst nach der Privatisierung wechselte man 1992 zu den Konzernfarben grau-magenta. Werbeschnickschnack, der das nahe Ende nicht verzögerte. Denn die Handy-Generation braucht keine Privatsphäre mehr. Der Quadratmeter Geborgenheit hat ausgedient, es reicht eine Westentasche. Die Telefonzellen haben den Zenit ihrer Existenzberechtigung überschritten. Irgendwann werden sie ganz verschwinden, die Telestationen sind nur der erste Schritt ins Vergessen.

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