zum Hauptinhalt
Wachsam in der Krise. Alle 30 Minuten patrouillieren zwei Bundespolizisten durch die leeren Hallen.

© Michael Kappeler/dpa

Tegel wegen Coronavirus verwaist: Ein Flughafen wie eine Dorf-Bushaltestelle

Die Putzfrau wischt in Ruhe, Vogelzwitschern hallt im Terminal. Am Flughafen Tegel landen und starten kaum noch Maschinen, offen ist er trotzdem. Ein Besuch.

Die Putzfrau ist seit sieben Uhr da. Dienstbeginn. Krise hin oder her. Geputzt wird immer. „Jeder hat seine Position“, sagt die Frau und moppt den Eingangsbereich. Normalerweise drängen sich hier jede Stunde hunderte Menschen durch die Tür, jetzt kann sie ungestört den Boden wischen, niemand betritt die feuchte Fläche. „Wir putzen jetzt nicht nur die Klos, sondern jeden Stuhl, jede Bank.“

Morgens kurz vor 9 Uhr in Terminal A am Flughafen Tegel. Es sind Osterferien, zu normalen Zeiten wäre Hochbetrieb. Im April 2019 wurden mehr als zwei Millionen Passagiere in Tegel abgefertigt. In diesen Tagen starten hier kaum Flugzeuge. Am Dienstag sollen es neun sein, in Schönefeld gar keins. Die meisten Maschinen sind nur spärlich besetzt.

„Der Flugbetrieb ist an beiden Häfen auf deutlich unter fünf Prozent gesunken“, sagt ein Sprecher der Flughafengesellschaft. Nur der Frachtverkehr sei voll ausgelastet, außerdem starten ein paar leere Maschinen, um Technik zu warten.

Es ist so ruhig, man hört die LED-Lampen an der Decke

Ansonsten bleiben Himmel und Boden leer. Das Hexagon ist verwaist. An der Bar „Espressante“ sind die Edelstahlhocker auf die Tische gestapelt, daneben liegt eine ausgelesene Sonntagszeitung vom 22. März. Die Rollläden sind heruntergelassen, die Zapfanlage ist abgedeckt. Sonst kostet hier ein Bier 6,40 Euro, jetzt landet ein Spatz auf dem Tresen, zwitschert ein paar Töne, dann fliegt er weiter durch das verlassene Terminal.

[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Es wird wieder ruhig. So ruhig, dass man die LED-Lampen an der Decke surren und die Kühlschränke an den geschlossenen Imbissständen brummen hört. Auf den Monitoren läuft stumm n-tv, an den Wänden flimmert Werbung. Erreicht wird damit niemand. Die Schalter sind unbesetzt, die Gänge leer. Alle 30 Minuten patrouillieren zwei Bundespolizisten durch die Flure. Auf ihrer Runde kommen sie an einem Mann vorbei, der auf einer Bank liegt und schnarcht. Vor ihm zwei Badelatschen.

Läden verrammelt, Flüge gestrichen. Die Haupthalle im Terminal A in Tegel ist menschenleer.
Läden verrammelt, Flüge gestrichen. Die Haupthalle im Terminal A in Tegel ist menschenleer.

© dpa

Zwei Geschäfte im Terminal haben geöffnet. An der Apotheke werden Atemschutz-Masken durch ein kleines Fenster verkauft. FFP 1 für 10,95 Euro, FFP 3 für 12,95 Euro. Eine Etage darüber warten drei Mitarbeiter einer Starbucks-Filiale auf Kundschaft. „Wir wurden vergessen“, sagt der Verkäufer hinter der Kuchenvitrine. Die ist noch bestückt. Ein Bagel, ein Sandwich, ein Schokoladen-Muffin, einzelne Kuchenstücke, drei Schokokekse.

Sechs Millionen Euro hätte eine Schließung pro Monat gespart

An Auswahl mangelt es nicht, nur an Kunden. Abends müssen sie fast alles wieder einpacken, sagt der Mann. „Die Mitarbeiter freuen sich, dass sie noch ihren Kaffee bekommen.“ Es seien aber nur um die 20. Seit zwei Wochen geht es so. Immerhin arbeiten sie gemeinsam, können sich unterhalten, mal ein Buch lesen.

Wie dem Starbucks-Mitarbeiter geht es allen Menschen, die in Terminal A, B, D und E arbeiten. Der gesamte Flugbetrieb wurde ins Terminal C verlegt. Trotzdem sind noch immer Beschäftigte in den anderen Gebäuden, die meisten in Kurzarbeit. Dass trotz Shutdown beide Berliner Flughäfen geöffnet sind, liegt am Bund, der zu einem Drittel an der Flughafengesellschaft beteiligt ist.

Anders als die Berliner Politik und der Chef der Flughafen-Gesellschaft Engelbert Lütke Daldrup wollte Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) die Infrastruktur in der Krise nicht abschalten. Sechs Millionen Euro hätte man mit einer Schließung eingespart – pro Monat. Nach den Osterferien soll erneut beraten werden.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Solange wird gearbeitet. Oder so ähnlich. Der Taxistand in Terminal E ist mit zwei Mann besetzt – ein Taxi haben sie in diesem Monat noch nicht vermittelt. Zwei weitere langweilen sich im Fundbüro. „Normalerweise ist man beschäftigt und bemerkt nicht, wie der Tag vergeht“, sagt einer. Jetzt falle ihm die Arbeit schwer. Im Durchschnitt ginge noch ein Koffer pro Tag verloren.

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de]

Vergleichsweise trubelig wirkt Terminal C. Rund 30 Menschen sieht man verstreut in der großen Halle. Es riecht nach Desinfektionsmittel. Damit wischt eine Frau mit orangener Schutzweste alle Flächen ab. Zwei Schalter der Lufthansa haben geöffnet. Einer für Business- und First-Class-Kunden, einer für den Rest. Die Mitarbeiter tragen Mundschutz, die meisten der wenigen Fluggäste auch. Am Boden sind im Abstand von zwei Metern schwarz-gelbe Klebestreifen angebracht, doch in der „Schlange“ steht nur ein Mann.

"Hier geht es noch human zu"

Pavel heißt er und will beruflich in die USA. Eigentlich wäre er von Danzig geflogen, doch dort haben die Behörden den Flughafen dichtgemacht. Deshalb sei er morgens mit dem Taxi drei Stunden von Polen nach Berlin gefahren, jetzt wartet er auf seinen Flug nach Amsterdam. Von dort geht es weiter über Houston nach Alabama. 30 Stunden Reisezeit, die einzige Verbindung.

Die meisten der wenigen Passagiere tragen Mundschutz.
Die meisten der wenigen Passagiere tragen Mundschutz.

© REUTERS

Ein paar Meter weiter steht eine blonde Frau mit Lufthansa-Jacke. Auch sie fliegt nach Amsterdam, allerdings als Pilotin eines Privatjets. Für sie habe sich durch die Coronakrise kaum etwas geändert. „Wir bekommen sogar noch mehr Anfragen als vorher.“ Zehn Tage sei sie jetzt unterwegs. Morgen London, dann Kiew.

„Hier geht es noch human zu“, sagt sie und deutet auf die verwaiste Abflughalle. Letzte Woche war sie in Manchester. „Der komplette Flughafen war mit Planen abgehangen, alle Menschen trugen Ganzkörperschutzanzüge. Richtige Endzeitstimmung.“

Tegel dagegen erinnert an eine Bushaltestelle auf dem Land. Ungenutzt, vergessen, friedlich. Plötzlich Lärm. Eine Lufthansa-Maschine steigt hinter dem Tower auf. Die Flugzeugnase auf den blauen, kondensstreifenfreien Himmel gerichtet. Kurz dröhnt laut es, alles wirkt wie immer, dann wird der Flieger kleiner und in Tegel alles still. Ein paar Vögel zwitschern.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false