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Geht's uns gut, geht's den Kindern gut - an der Friedrichstraße sammeln sich Dienstagmorgen Demonstranten.

© Carina Kaiser

Tarifverhandlungen in Berlin: Warnstreik in Kitas, Schulen und Jugendämtern

Am Dienstag gibt es in etlichen Berliner Kitas und Schulhorten Notbetreuung. Viele Eltern finden den Streik richtig. Auch Sozialarbeiter sind dazu aufgerufen.

Selten ist ein Warnstreik auf derart viel Unterstützung gestoßen wie der für diesen Dienstag für Berlin angekündigte halbtägige Ausstand der Erzieher in den Kitas der Eigenbetriebe, an den staatlichen Schulen und beim Pestalozzi-Fröbel-Haus sowie der Sozialarbeiter in den Jugendämtern. Landeselternausschuss und Elterninitiative „Kitakrise“ erklärten ihre Solidarität, die Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen kündigten ihr Erscheinen an, um den Forderungen der Streikenden Nachdruck zu verleihen.

„Die Träger sind auf alle Fälle in der Pflicht, Eltern eine Notbetreuung anzubieten“, teilte die Senatsverwaltung für Jugend auf Anfrage mit. Diese Notbetreuung könne auch in einer anderen Gruppe oder Einrichtung des Trägers erfolgen. Allerdings zeige die Erfahrung, dass viele Eltern sich gegenseitig unterstützten, so Sprecherin Iris Brennberger. Zudem kündigten Eltern an, zusammen mit ihren Kindern zur Kundgebung am Dorothee-Schlegel-Platz nahe Bahnhof Friedrichstraße zu gehen, wo die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) ihren Sitz hat.

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Bis zu 640 Euro weniger als in Brandenburg

Die TdL verhandelt seit dem 21. Januar mit den Gewerkschaften die neue Tarifrunde. Für Berlin hat diese Runde besondere Relevanz, weil der TdL-Vertrag die Erzieher schlechter stellt als die Erzieher anderer Bundesländer, die zum Bereich des Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes (TVöD) gehören. Konkret bedeutet dies, dass die Berliner Erzieher je nach Entgeltgruppe 20 bis 640 Euro im Monat weniger verdienen als die Kollegen etwa in Brandenburg. Die größte Diskrepanz in Höhe der genannten 636 Euro betrifft die Facherzieher für Integration.

Die Diskrepanz ist wegen des bundesweiten Erziehermangels von besonderer Bedeutung: Um Erzieherinnen wird bundesweit geworben. Wie berichtet, können tausende Kitaplätze in Berlin nicht belegt werden, weil Personal fehlt. Dies wurde besonders im vergangenen Frühjahr deutlich, als Familien trotz gesetzlichen Kitaanspruchs keinen Platz fanden. Klagen und Demonstrationen waren die Folge, zudem bildete sich aus Protest das Elternbündnis „Kitakrise“. Die vergleichsweise geringe Bezahlung der Erzieherinnen ist seither ein Dauerthema – und stets wurde vom Senat auf die jetzt begonnenen Tarifverhandlungen verwiesen.

Fachkräftebedarf steigt weiter an

Wie hoch der Erziehermangel in Zukunft sein könnte, rechnete am Montag das Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie vor: Allein um die derzeitigen Betreuungsquoten aufrechtzuerhalten, müssten bis 2030 mindestens 40.000 Plätze geschaffen werden, wofür etwa 8000 zusätzliche Fachkräfte ausgebildet werden müssten, zitierte das Institut aus seiner aktuellsten Prognose.

Problematischer Kreislauf.
Problematischer Kreislauf.

© Carina Kaiser

Auch die Senatsverwaltung für Jugend rechnet mit stark wachsender Nachfrage: „Wir gehen von einem zusätzlichen Fachkräftebedarf von 4000 Vollzeitstellen bis Ende des Kitajahres 2020/2021 aus“, teilte Sprecherin Iris Brennberger mit. Dann hätte Berlin 29.500 Vollzeitstellen. Derzeit sind es 25.600. Im selben Zeitraum soll die Zahl der angebotenen Kitaplätze von aktuell 173.000 auf 193.000 ansteigen. Für 2019 soll es eine neue Bevölkerungsprognose geben.

„Erzieherinnen leisten Großes für unsere Kleinsten. Ihre Anstrengungen müssen mit einer deutlich sichtbaren finanziellen Aufwertung gewürdigt werden,“ sagte am Montag Corinna Balkow, Vorsitzende des Landeselternausschusses. Nur so könne gesichert werden, „dass die aktuellen Erzieherinnen ihren Beruf noch lange ausüben und zukünftige Erzieherinnen sich für eine Ausbildung entscheiden“.

Die Mindestausbildungsvergütung ist ein wichtiger Schritt in die Richtung, damit sich auch die Ausbildung zum Beruf lohnt und man nicht noch drauf zahlen muss.

schreibt NutzerIn robie1986

In den Schulen sind die Horte betroffen

Auch die Initiative „Kitakrise“ meldete sich zu Wort und forderte eine „deutlich bessere Bezahlung“ für Erzieherinnen. Das Bruttogehalt müsse sofort um mindestens 500 Euro steigen, mittelfristig müsse die Gleichstellung mit Lehrern erfolgen. Außerdem müssten auch die Erzieherinnen freier Träger „zu 100 Prozent“ wie die öffentlich Beschäftigten bezahlt werden.

Um den Erzieherinnen ihre Solidarität im Falle eines Streiks zu zeigen, hat die Elterninitiative über 1200 Plakate mit fünf verschiedenen Motiven drucken lassen. „Außerdem wollen wir mit der Aktion Eltern dafür sensibilisieren, dass eventuelle Streiks notwendig sind, um die Kitakrise zu lösen“, sagte Sprecherin Katharina Mahrt.

Von großer Bedeutung sind die aktuellen Verhandlungen aber auch für die Schulen, weil die Horterzieher ebenfalls betroffen sind. Sie sind besonders unzufrieden, weil sie Hand in Hand mit Lehrern arbeiten, die rund doppelt so viel verdienen wie sie. Erschwerend kommt hinzu, dass die Koalition gerade erst die Bedarfsprüfung für die Horte teilweise abgeschafft hat. Daher wird damit gerechnet, dass künftig noch viel mehr Kinder betreut werden müssen als bisher.

Vollstes Verständnis für die Erzieher*innen und deren Anliegen, aber 'mittelfristig Gleichstellung mit Lehrer*innen' halte ich für unangemessen. Der sehr viel höhere Arbeits- und Ausbildungsaufwand der Lehrer*innen sollte sich weiterhin in einem (meinetwegen symbolischen) Gehaltsabstand widerspiegeln.

schreibt NutzerIn rita75

Personalnotstand auch in Jugendämtern

Zum Streik sind außerdem die Sozialarbeiter aus den Jugendämtern aufgerufen. Auch ihre vergleichsweise geringe Bezahlung ist seit Jahren Thema in Berlin: Manche Bezirke können nur zwei Drittel ihrer Stellen im Regionalen Sozialen Dienst besetzen. Selbst die Jugendamtsleiter hatten Brandbriefe geschrieben, seit Jahren hängen weiße Fahnen zum Zeichen der Hilflosigkeit in vielen Jugendämtern.

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„Wir haben uns dazu entschlossen, in dieser Tarifrunde den Auftakt zu machen und früh zum Streik aufzurufen“, rechtfertigte Doreen Siebernik, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, den Streik. Der Zeitpunkt hatte viele überrascht, weil die Tarifrunde gerade erst begonnen hat. Die Gewerkschaft Verdi macht daher auch noch nicht mit.

Siebernik sagte am Montag, dass die Erzieherinnen den frühen Warnstreik eingefordert hätten: „Sie wollen ein Ausrufezeichen setzen, da sie befürchten, bei dieser bundesweiten Tarifrunde vergessen zu werden“, so Siebernik. Ebenso ergehe es den Kollegen in den Jugendämtern, sagte die Gewerkschafterin. Nur mit einem besseren Gehalt werde es Berlin gelingen, ausreichend gut qualifizierte Erzieher und Sozialarbeiter zu gewinnen.

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