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Automobiler Schwung. Tanzvergnügen zwischen hochglanzpolierten Oldtimern – das passt. Wie in gläsernen Garagen stehen die edlen Wagen hinter den Scheiben der Eventhalle der Moabiter Classic Remise – und sogar am Rand des großzügigen Eichenparketts sind einige motorisierte Ausstellungsstücke geparkt.

© Kitty Kleist-Heinrich

Tanztee im Oldtimer-Zentrum "Classic Remise": Mit Vollgas übers Parkett

In einem alten Straßenbahndepot, einem Zentrum der Berliner Oldtimer-Szene, werden sonntägliche Tanztees veranstaltet.

Kleiner Wunsch zum Auftakt. „Hallo, du süße Frau, fahr nicht allein!“. Herrlich, dieses Chanson im Foxtrott-Rhythmus. Das würde zusätzlich Tempo machen beim Tanz in der Classic Remise. Vielleicht nimmt es das Salonorchester Berlin von Christoph Sanft ja noch in sein Repertoire auf. Es passt perfekt zu diesem Ort und ist ja immerhin ein Klassiker – ein Evergreen aus dem Jahre 1930, von Ufa-Starkomponist Werner Richard Heymann genial vertont für den Film „Die Drei von der Tankstelle“ mit Lilian Harvey, Willy Fritsch, Oskar Karlweis und Heinz Rühmann.

Auf der Leinwand legen Harvey und Karlweis zwar einen rasant klackernden Stepp hin, rund um Lilians schickes Mercedes Cabrio „Nürburg 460 K Sport-Roadster“, Baujahr 1929 – und sogar quer über dessen Ledersitze. Doch im Oldtimer-Zentrum in Moabit, der „Classic Remise Berlin“, macht ja auch ein flotter Fox Spaß, wenn man beim Tanztee in der Eventhalle übers Eichenparkett wirbelt und dabei, wohin man auch blickt, Automobile aus vergangenen Tagen in der Kulisse sieht.

Kurz, hier kommt zusammen, was irgendwie zusammengehört: Die Lust an stilvoll-eleganter Fortbewegung, egal, ob man einen edlen Oldtimer bestaunt oder sogar dessen Zündschlüssel herumdreht. Oder mit Schwung lostanzt.

Tanz-Musikanten. Die Sechs vom Salonorchester Berlin, ganz rechts Christoph Sanft mit Akkordeon.
Tanz-Musikanten. Die Sechs vom Salonorchester Berlin, ganz rechts Christoph Sanft mit Akkordeon.

© promo

Keine Frage, das Repertoire des Salon-Orchesters ist dafür gut geeignet, es umfasst Standard/Latein – vom „Moon River“-Walzer bis zum Cha-Cha-Cha. Seit 2015 spielen sie in der Classic-Remise an jedem dritten Sonntag im Monat zum Tanztee auf. Das Oldtimer-Zentrum an der Wiebestraße 36 ist wilhelminische Industriearchitektur vom Feinsten, es war von 1900 bis Mitte der 60er Jahre ein Straßenbahn-Depot mit mehreren, ineinander übergehenden Hallen. Nachdem West- Berlin seine Trams abschaffte, standen die Hallen leer. 2002 kauften die heutigen Eigentümer das Depot, restaurierten es und betreiben dort seither Berlins größtes Service- und Verkaufszentrum für Liebhaber klassischer Automobile.

Hinter Scheiben stehen die Oldtimer wie in einer Sammlervitrine

Die Eventhalle ist sozusagen das Herzstück, sie liegt mittendrin, ist 800 Quadratmeter groß und gilt als eine der großzügigsten Tanzflächen der Stadt. Bitte Platz nehmen rundherum, am Rande des Parketts an Zweier- und Vierertischchen, auf denen Kerzen flackern. Und nun den Ort erst mal auf sich wirken lassen. Die Wände im Parterre und in der ersten Etage sind komplett verglast. Hinter den Scheiben stehen Oldtimer, akkurat in Reih und Glied, auf Hochglanz poliert, wie in einer Sammlervitrine. Im ersten Stock kann man sie von einer Galerie aus bewundern. Es ist geradeso, als hätte ein Technikmuseum zum Tanz geladen.

Christoph Sanft gründete sein Salonorchester in den frühen Achtzigern

Christoph Sanft, Mittfünfziger, gelbe Fliege, grünes Jacket, virtuos am Piano, Akkordeon und Saxophon, ist ein ruhiger Typ mit lebhaften Augen. Sein Orchester gründete er in den frühen achtziger Jahren zusammen mit jungen West-Berliner Musikern. Sie hatten Erfolg, blieben teils zusammen und treten inzwischen in verschiedensten Besetzungen auf, mal als großes Tanzorchester bei Bällen und Galas, mal zu sechst als Salonorchester wie in Moabit mit Bass, Saxophon, Trompete, Schlagzeug, Piano und Gesang.

Von einem regelmäßigen Tanztee schwärmte Christoph Sanft schon lange, es sollte ein geselliger Nachmittag sein in der Tradition der Engländer und Franzosen, die seit Beginn des 19. Jahrhunderts ihren „Tea dance“ oder „Thé dansant“ pflegen. Aber erst durch seine zweite Leidenschaft neben der Musik, die Liebe zu Oldtimern, entdeckte Sanft den erträumten Ort für seinen Tanztee: die Classic Remise. Sanft fährt einen 200D Heckflossen-Mercedes aus den Sechzigern.

Trofeo-Chef de Grammont fährt die Citroen Gangster-Limousine

Das bescherte ihm rasch die Freundschaft mit Marc Debourdon de Grammont, ebenfalls Oldtimer-Fan, Besitzer eines Citroen 11CV, der berüchtigten Gangster-Limousine aus den 30ern – und Gastronom der Classic Remise. Debourdon de Grammont führt das Restaurant „Trofeo“ am Durchgang zur Eventhalle, Bilder von Avusrennen schmücken die Wände, die Speisekarte ist automobil orientiert: vom „Le Mans“-Frühstück über die vegane „Tesla“-Küche bis zu High End „Bugatti“-Speisen. Auch beim Tanztee bewirtet das Trofeoteam die Gäste.

Durchs Leben getanzt. Hanna und Wolfgang Jahn lernten sich 1956 in einer Tanzschule an der Charlottenburger Kantstraße kennen, jetzt sind sie Stammgäste in der Classic Remise.
Durchs Leben getanzt. Hanna und Wolfgang Jahn lernten sich 1956 in einer Tanzschule an der Charlottenburger Kantstraße kennen, jetzt sind sie Stammgäste in der Classic Remise.

© Kitty Kleist-Heinrich

Jetzt kündigt Sänger Martin Stange einen Tango an, „La cumpar sita“. Hanna und Wolfgang Jahn aus Erkner, 80 und 82 Jahre alt, schieben los. Er im Anzug, der Kragen weit offen. Sie, entspannt lächelnd, im lila Jackett. Die beiden sind heute das älteste Paar beim Tanztee.1956 haben sie sich verliebt, in einer Tanzschule an der Kantstraße in Charlottenburg. „Seither tanzen wir zusammen durchs Leben“, sagt Hanna Jahn und lacht. „Das hält uns auf Trab.“ Im Palais am Funkturm lernten sie bei Bällen zur Funkausstellung oder Grünen Woche alle angesagten Kapellen der vergangenen Jahrzehnte kennen, Hugo Strasser, Max Greger & Co.. Jetzt gehören sie zu den Stammgästen beim Tanz in der Remise.

Den Kopf freibekommen. Mandy Lauermann und Ronny Dettmann beim Langsamen Walzer. Sie bekamen über ihre Facebook-Gruppe den Tip zum Tanztee in der Classic Remise.
Den Kopf freibekommen. Mandy Lauermann und Ronny Dettmann beim Langsamen Walzer. Sie bekamen über ihre Facebook-Gruppe den Tip zum Tanztee in der Classic Remise.

© Kitty Kleist-Heinrich

Mandy Lauermann (43) und Ronny Dettmann (40) sind erstmals dabei. Über ihre Facebook-Tanzgruppe bekamen sie den Tipp zur Classic Remise. Mandy, Kurzhaarschnitt, Tattoos am Arm, enger Hosenanzug, ist Altenpflegerin, er kaufmännischer Angestellter. „Den Kopf frei- bekommen“, deshalb sind sie hier. Ihr Lieblingstanz? „Langsamer Walzer.“ Den bekommen sie bis zur ersten Pause gleich drei Mal. „Supertanzfläche“, ruft Mandy, als sie mal wieder an ihren leeren Stühlen vorbeikreiseln und Mandy sich weit zurück in Ronnys Arme legt.

Die beiden erinnern ein wenig an die Filmszene mit Lilian Harvey, Oskar Karlweis und dem Mercedes-Cabrio, zumal hier in der ersten Etage ein ähnliches Automobil steht. „Hallo, du süße Frau ... Es könnte sein, du steuerst falsch. Und grad vorbei an deinem Glück!“

In Tanzpausen mal durch die Oldie-Flotte bummeln

Überhaupt, wer mal ein Tanzpäuschen braucht und ein Faible für fast unbezahlbare historische Wagen hat, kann in aller Ruhe durch die Classic Remise bummeln. Die ausgestellte Flotte bereifter Schätzchen und Schätze ist groß, ein Star ist ein Citroen DS Cabrio von 1973, „eines der elegantesten Autos, die je gebaut wurden“, verkündet ein Schild an der Windschutzscheibe. Preis: 108 000 Euro.

Nach dem Tanztee, wenn die Instrumente eingepackt sind, wird auch Bandleader Christoph Sanft wieder zum Homo automobilis. Chrom beklopfen, Türen streicheln, auch das ist seine Welt.

Tanztee in der Classic Remise wieder am 15. April & 13. Mai, 16-18 Uhr (Juni-Sept. Pause), Reservierungstelefon: 20613030, 10 Euro p.P.. Übrigens: Sonntags lädt das Restaurant "Trofeo" in der Classic-Remise auch zum Jazz-Brunch ein. Mehr Infos: www.salon-orchester-berlin. de, www.classic-driver.eu/trofeo/

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