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Gedenktafel für das Electronic Beat Studio als Erinnerung in der Pfalzburger Straße 30 in Berlin-Wilmersdorf.

© OTFW, Berlin, CC BY-SA 3.0 , via Wikimedia Commons

Tangerine Dream, wer ist das?: Eine Gedenktafel für das vergessene Electronic Beat Studio

Das Wilmersdorfer Musikstudio und die dort entstandene Berlin School sind weltberühmt. Nur nicht hierzulande.

Einst war es so etwas wie die Keimzelle der elektronischen Popmusik. Was hier geschah, die sogenannte Berliner Schule, hallte in der ganzen Welt nach und tut es noch heute. Für das 1968 gegründete Electronic Beat Studio hat der Musiker, Komponist und Autor Bernd Kistenmacher eine Gedenktafel initiiert.

Ein bisschen mehr Sichtbarkeit, denn den allermeisten Berlinern dürfte der Ort nichts sagen. „Ich habe vor einem Jahr damit begonnen, ein Buch über die Berliner Schule zu schreiben“, erzählt Kistenmacher.

Er habe mit vielen ihrer, wie er sagt, „stillen Helden“ gesprochen, die für die Geschichte der elektronischen Musik essenziell sind, aber nicht zu den vordergründigen Stars zählen.

Diese stillen Helden, könnte man meinen, stünden im Schatten der lauten Stars der Schule. Allerdings sind auch die bekanntesten Namen wie Klaus Schulze, Edgar Froese und die Band Tangerine Dream hierzulande nie so groß gewesen, wie sie es vielleicht hätten sein können. 

Um das zu illustrieren wird gerne die Geschichte zum 200. Geburtstag der Stadt Los Angeles im Jahre 1981 erzählt. LA bat die Partnerstadt Berlin, eine Berliner Musikband für die Feierlichkeiten zu stellen.

Wer bitte ist Udo Lindenberg?

Berlin soll Udo Lindenberg vorgeschlagen haben. Bitte wen? Den kennt man in den USA nicht. Wieso nicht Tangerine Dream, soll die Gegenfrage aus LA gelautet haben, die sind doch weltbekannt? In Berlin kannte die allerdings niemand.

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Kistenmacher spricht vom sprichwörtlichen Propheten, der im eigenen Lande nichts gilt. „Selbst als Edgar Froese 2015 starb, hat es hier kaum jemanden interessiert. Erst als sich herumsprach, dass die ‚Washington Post‘ aufwendig recherchiert hatte, um über ihn zu schreiben, wurden auch hiesige Medien auf ihn aufmerksam.“

Bernd Kistenmacher vor dem ehemaligen Eingang zum Electronic Beat Studio. In den Kellerräumen ist heute ein Archiv.
Bernd Kistenmacher vor dem ehemaligen Eingang zum Electronic Beat Studio. In den Kellerräumen ist heute ein Archiv.

© Thomas Wochnik

Die Idee, in Wilmersdorf einen Gedenkort zu schaffen, drängt sich damit förmlich auf. Was könnte mehr nach Erinnerung schreien, als eben das Vergessene? Apropos stille Helden: „Mir selbst war es zudem ein Anliegen, nicht nur auf das Studio, sondern insbesondere auf Konrad Latte hinzuweisen.“

Ohne ihn hätte sich die Geschichte wohl anders zugetragen, würde mutmaßlich noch die heutige Popmusik anders klingen. Latte leitete das Berliner Barock-Orchester. Er hat als einziges Familienmitglied den Holocaust überlebt, die Kriegsjahre im Untergrund verbracht und entschied sich nach dem Krieg dennoch, in Deutschland zu bleiben und sein Leben dem musikalischen Nachwuchs zu widmen.

In seinem Orchester spielte die Mutter von Christopher Franke, der später bei Tangerine Dream spielte, Geige. Die Rockband ihres Sohnes probte laut im Hauskeller, was Frau Franke ändern wollte.

Als Latte von ihrem Ansinnen erfuhr, mietete er die Räumlichkeiten an der damaligen Berufsschule für Friseure und schaffte, ohne es zu wissen, so eine Grundlage der Berliner Schule.

Konrad Latte fragte den Musikstudenten Thomas Kessler, ob er nicht die Leitung des Studios übernehmen wolle. Kessler soll sofort zugesagt haben. Frankes Rockband Agitation wurde in Agitation Free umbenannt, die erste Band, die in diesen Räumen probte.

Schnell sprachen sich die Möglichkeiten des Studios unter hiesigen Experimentierfreudigen herum und unter anderem Edgar Froese, Manuel Göttsching, Klaus Schulze fanden hier ein musikalisches Zuhause.

Im Gegensatz zu den meisten damaligen Studios für elektronische Musik war das Electronic Beat vollkommen außerhalb der akademischen Welt angesiedelt. Kessler machte die hiesigen Musiker mit der amerikanischen Minimal Music bekannt, die von europäischen Akademikern damals skeptisch beäugt wurde und prägte damit den Sound der Szene.

Die Wilmersdorfer Wiege des Krautrock

Anfangs arbeiteten die Musiker mit Tonbandgeräten, lernten erweiterte Techniken der sogenannten Musique concrète kennen, improvisierten dazu aber noch auf Instrumenten wie Gitarre, Schlagzeug und Bass – der Krautrock war geboren.

So richtig elektronisch wurde es erst, als der modulare Moog Synthesizer ins Studio kam. Bis zum Umzug des Studios 1984 waren hier unzählige Bands ein und ausgegangen, darunter nicht nur elektronische Acts, sondern auch etwa die Neon Babys und Ideal.

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„Ich bin selbst 1960 geboren, wuchs mit dieser Musik auf, die hier in meinem Wilmersdorfer Kiez entstand“, erzählt Kistenmacher, der zur zweiten Generation der Berliner Schule zählt.

Die Gedenktafel wurde übrigens von Hollywood-Filmkomponist Hans Zimmer gestiftet. „Hans, der aus dem Taunus stammt, ist stark von Tangerine Dream beeinflusst, außerdem ein großer Synthesizer-Sammler. Er beobachtet sehr genau, was in Sachen elektronischer Musik in Berlin so los ist, kennt viele Leute persönlich. Ich habe ihm erzählt, was ich hier vorhatte und er sagte sofort Ja.“

Seit Freitag, den 4. Dezember, verdeckt die Gedenktafel einen unschönen Fleck an der Fassade der Nelson-Mandela-Schule, Pfalzburger Straße 30. Einige Weggefährten des Studios waren bei der Enthüllung anwesend, hielten kurze Reden, ein musikalisches Programm tönte zur Begleitung. Dann wurde es wieder still um das Electronic Beat Studio.

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