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Carl von Ossietzky im KZ Esterwegen.

© Bundesarchiv/Wikipedia

Tagesspiegel vor 70 Jahren: Carl von Ossietzky: Prototyp des unabhängigen Publizisten

Carl von Ossietzky starb an diesem Freitag vor 80 Jahren an den Folgen seiner KZ-Haft. Hier der Text, den Tagesspiegel-Gründer Walther Karsch 1948, zum zehnten Todestag seines Weggefährten bei der Weltbühne, geschrieben hat.

Die Stadtverordnetenversammlung hat am vergangenen Donnerstag beschlossen, daß der Friedensplatz, die Schloß- und die Berliner Straße in Pankow den Namen Carl v. Ossietzkys erhalten sollen. Heute vor zehn Jahren starb der letzte Herausgeber der „Weltbühne". Er starb in der sogenannten Freiheit, nachdem die in der Unfreiheit der Konzentrationslager erlittenen Mißhandlungen ihn mit dem Tode gezeichnet hatten. Zweimal stand Ossietzkys Name im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. Das eine Mal, als 1931 das ehemalige Reichsgericht ihn wegen angeblichen Landesverrates zu achtzehn Monaten Gefängnis verurteilte; das zweite Mal, als sich auf die Initiative emigrierter deutscher Pazifisten hin das Nobelpreiskomitee entschloß, Ossietzky den Friedenshobelpreis zu verleihen. Das war 1936, und Carl von Ossietzky saß seit 1933 im Konzentrationslager. Dieser „Affront" der Welt gegen den Nationalsozialismus bewog dessen Führer, jedem Deutschen die Annahme des Nobelpreises in Zukunft zu verbieten; er zwang ihn aber auch, sein Opfer aus dem KZ zu entlassen, bevor die Verleihung zur Tatsache wurde. Diese Geste angeblicher Großmut war vergeblich, denn der Entlassene war dem Tode bereits verfallen.

Carl v. Ossietzky war der Prototyp des unabhängigen Publizisten. Sein schriftstellerisches Wirken vollzog sich unter ganz anderen Bedingungen, als sie später vorlagen. Die Zeit, da die Schlagworte herrschten, war noch nicht angebrochen. Wer im Kampf der politischen Meinungen das Wort ergriff, fühlte sich vor diesem Worte verantwortlich. Man wird m diesen Tagen sicherlich viel Richtiges (und auch manches Falsche) über Carl v. Ossietzkys Kampf gegen Militarismus und Reaktion, für Frieden und Freiheit lesen und hören. Man sollte sich aber darüber klar sein, daß diese selbstverständliche Haltung nicht das Wesen des Publizisten Ossietzky ausmachte. Dieses Wesen läßt sich allein durch den Begriff Unabhängigkeit ausdrücken. Ossietzky war unabhängig von jeder Richtung, jeder Bewegung, jeder Partei. Wenn er sich und seine Feder einer Richtung, einer Bewegung, einer Partei zur Verfügung stellte, dann nur unter Wahrung dieser Unabhängigkeit. In einer Zeit, da neue Schlagworte die alten ablösen, da die Unabhängigkeit des Individuums schon wieder bedroht ist, sollte die Erinnerung an den vor zehn Jahren verstorbenen Publizisten Ossietzky unter dem Zeichen der Besinnung auf die Verantwortung der Schreibenden vor dem Wort und auf ihre Unabhängigkeit gegenüber allen Mächten stehen, die diese Unabhängigkeit vernichten wollen.

Mehr von Walther Karsch, Erik Reger und anderen Tagesspiegel-Autor:innen der frühen Jahre unserer Zeitung finden Sie auf unserer Themenseite. Archiv-Beiträge aus der Nachkriegszeit können Sie zudem bei Twitter lesen.

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