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Sarah Trentzsch und Doris Felbinger vom Verein BIG. Der Tagesspiegel sammelt Spenden für die Beratungsangebote bei häuslicher Gewalt.

© Sven Darmer

Tagesspiegel bittet um Spenden für Weihnachtsaktion: Berliner Verein BIG hilft Opfern häuslicher Gewalt

Wenn Mütter häusliche Gewalt erleben, leiden auch die Kinder darunter. Mit einem neuen Angebot geht der Verein BIG besonders auf Betroffene ein. Der Tagesspiegel sammelt dafür Spenden.

Auch in diesem Jahr bittet der Tagesspiegel bei der Weihnachtsaktion „Menschen helfen!“ um Spenden der Leser und Leserinnen. Wie bei jeder Spendenrunde wollen wir auch mit der 29. Aktion bei jenen Problemen und Krisen helfen, über die wir im Jahresverlauf öfter berichtet haben: Corona-Pandemie, Obdachlosigkeit in Berlin, Klimakrise weltweit, humanitäre Krise in Afghanistan. Wir stellen in unserer Spendenserie zu „Menschen helfen!“ 2021/22 einige Projekte stellvertretend für alle 42 vor, für die wir Gelder sammeln.

Franziska Schuler* dachte, sie und ihre Kinder hätten endlich alles hinter sich. Die Schläge ihres Mannes, die sie als Mutter trafen, die Schläge mit dem Gürtel, die ihren fünfjährigen Sohn Jon trafen, die Momente, in denen ihr Mann Jon würgte, weil der Kleine etwas falsch gemacht hatte, die furchtbaren Szenen häuslicher Gewalt, die ihre Kinder miterleben mussten.

Sie dachte wirklich, jetzt sei das alles beendet. Durch die Trennung von ihrem gewalttätigen Partner, durch den Umzug in eine Wohnung, deren Adresse ihr Mann nicht kannte. Ein tragischer Irrtum.

Ihr Mann fand ihre neue Adresse heraus, er stellte seiner Frau nach, er bedrängte sie und drohte ihr mit dem Jugendamt, eine besonders perfide Methode der Rache. Denn Jon, der die Gewalteinwirkungen durch den eigenen Vater zu spüren bekam – er reagierte auf seine Weise auf die Erfahrungen, die er hatte machen müssen.

Er schlug seine Schwester Mila, er behandelte sie extrem aggressiv. Und sein Vater, der eigentliche Täter, drohte seiner Mutter, er werde die staatlichen Behörden einschalten und ihr das Sorgerecht für ihren Sohn nehmen lassen. Als Konsequenz für die Brutalität von Jon, der sie nichts entgegensetze.

Doch die verzweifelte Mutter, hilflos, überfordert, suchte – und erhielt Hilfe. Die „Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen e.V.“ (BIG) unterstützte sie nicht bloß beim Ausstellen eines Gewaltschutz-Antrags, BIG begleitete Franziska Schuler auch bei ihrem Gang zum Jugendamt und bereitete einen Antrag beim Gericht auf einen Sicherheitsplan vor.

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Zudem bot BIG der Mutter psychologische Hilfe an und beriet sie bei Erziehungsfragen. Eine BIG-Mitarbeiterin kümmerte sich um die Kinder. Sie redete mit Mila, die sich Sorgen um ihre Mutter machte und die mit dem aggressiven Verhalten ihres fünf Jahre jüngeren Bruders klar kommen musste. Und die BIG-Mitarbeiterin kümmert sie sich um Jon und thematisierte spielerisch den Umgang mit Enttäuschung, Traurigkeit sowie Wut und entwickelte mit ihm Strategien für ein gewaltfreies Verhalten.

Ein typischer Fall für das neue Projekt von BIG, das Projekt: „Mobile Begleitung für Kinder bei häuslicher Gewalt“ (MBK). „Viele Frauen, die häusliche Gewalt erleben, haben Kinder, die unter der Situation leiden“, sagt Sarah Trentzsch, bei BIG die Koordinatorin des Projekts. „Ihnen allen wollen wir helfen.“

Kinder sollen stärker miteinbezogen werden

Sie hoffen auf Unterstützung der Leserinnen und Leser des Tagesspiegel, für die Miete und Sachkosten etwa für Fachliteratur, Bürotechnik, Corona-Hygiene-Artikel und Spielmaterial (Spendenkonto siehe unten). Gerade in der Coronazeit sind die Expertinnen stark gefragt.

Frauen, die häusliche Gewalt erleben, hilft BIG seit 1993. Aber jetzt kommt ein erweitertes Angebot dazu, die Kinder der betroffenen Mütter werden viel stärker einbezogen. Seit April arbeitet BIG mit dem Projekt „Mobile Begleitung für Kinder bei häuslicher Gewalt“. Zum Personal von MBK gehören zwei Kinder- und Jugend-Psychotherapeutinnen.

Die Hilfe kann ganz banal – und doch so wichtig – sein. Die MBK-Mitarbeiterinnen kümmern sich um die Kinder der Frauen, die zur Beratung von BIG kommen. So eine Beratung findet, aus verschiedenen Gründen, oft außerhalb der eigenen Wohnung statt. In einem Café zum Beispiel. BIG hat aber auch zwei Wohnungen, deren Adresse geheim sind. Nun haben sie die Chance, ihre Kinder mit zur Beratung zu nehmen, weil eine Betreuungsperson bereit steht.

Und das Kind soll auch so wenig wie möglich von den Gesprächen der Mutter mit BIG mitbekommen. Eine MBK-Mitarbeiterin geht auch mit den Kindern auf einen Spielplatz oder beschäftig sich anderweitig mit ihnen, wenn die Mutter einen Termin bei der Polizei, bei Gericht oder bei einer Behörde hat.

[In unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken befassen wir uns regelmäßig unter anderem mit Polizei- und Sicherheitsthemen. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Während der Betreuung und beim Spiel können die Fachleute auch in Kontakt mit den Kindern gehen. Je größer das Vertrauen wird, umso mehr öffnen sie sich und erzählen von ihren Ängsten, Gefühlen, Eindrücken. Die Inhalte der Gespräche werden dann mit den jeweiligen Müttern bearbeitet. Aber natürlich ersetzen diese Kontakte keine Therapie.

Doch die Mütter erhalten in den Beratungen wichtige Hinweise zur Erziehung. Wie können sie ihre Kinder dabei unterstützen, die Erfahrungen der häuslichen Gewalt zu bewältigen? Wie können sie dazu beitragen, ihre Kinder einigermaßen zu stabilisieren?

Die Mütter und ihre Kinder haben ja meist eine lange Leidenszeit hinter sich, wenn sie sich bei BIG melden. „Im Schnitt benötigen Frauen sieben Anläufe, bis sie sich aus einer Gewalt-Beziehung lösen“, sagt Sarah Trentzsch. „Es gibt emotionale und finanzielle Abhängigkeit, aber auch Gedanken an die Kinder. Viele Mütter denken, sie könnten doch ihrem Kind nicht den Vater wegnehmen. Aber wer sein Kind oder seine Frau schlägt, ist kein guter Vater.“

Trennung markiert nicht automatisch den Schlusspunkt des Leidens

Seit Beginn des Projekts sind 43 Mal Kinder betreut worden, während ihre jeweilige Mutter einen Behördentermin oder eine Beratung hatte. 27 Mal sind Kinder im direkten Gespräch stabilisiert worden, 48 Mal fanden Gespräche statt, in denen die Mütter wichtige Ratschläge für die Erziehung und Stabilisierung ihrer Kinder erhalten haben.

Die Trennung markiert dabei nicht automatisch einen Schlusspunkt des Leidens. Und die akute Phase einer Trennung sowieso nicht. „Das sind die gefährlichsten Situationen“, sagt Sarah Trentzsch. „Da gibt es psychische Gewalt, Beleidigungen oder Einschüchterungen.“ Nicht selten auch körperliche Gewalt, wenn ein Mann sich in seiner so genannten Ehre verletzt fühlt. Im schlimmsten Fall kommt es zum Mord.

Auch mit den betroffenen Kindern führen die Therapeutinnen Einzelgespräche. In den meisten Fällen sind die Kinder zwischen sechs und zehn Jahre alt. „Wenn der Vater die Mutter schlägt, hat das massive Auswirkungen auf Kinder“, sagt Sarah Trentzsch. „Sie lernen bei solchen furchtbaren Szenen, dass man bei Konflikten Gewalt einsetzt.“

Eine Frau versucht, sich vor der Gewalt eines Mannes zu schützen (gestellte Szene).
Eine Frau versucht, sich vor der Gewalt eines Mannes zu schützen (gestellte Szene).

© dpa

Hier setzt die Intervention des MBK an. „Die Kinder malen oder sie sprechen über ihre Gefühle“, sagt Sarah Trentzsch. „Wir entlasten sie bei ihren Gewalterlebnissen. Reden ist ganz wichtig.“ Vor allem machen die Therapeutinnen den Kindern, die ja Opfer sind, klar, dass sie nicht schuld an der Situation sind. „Bei Kindern entsteht ja immer die Möglichkeit, dass sie Verantwortung für etwas übernehmen, für das sie nichts können. Und sie wollen auch die kleinen Geschwister schützen und sind damit natürlich vollkommen überfordert.“

Also erklärt man ihnen feinfühlig und altersgerecht wichtige Regeln. „Wir bringen ihnen bei, wie man seinen Ärger und seine Wut ausdrücken kann, ohne dass man zur Gewalt greift. wir bringen ihnen Streitkultur bei“, sagt die Koordinatorin. Gleichzeitig beobachten die Expertinnen natürlich auch auffällige Verhaltensweisen. Ist das Kind sehr aggressiv, gegenüber der Mutter oder den Geschwistern oder gegenüber Sachen? Ist es sehr zurückgezogen? Hat es Schlafstörungen? Isst es zu viel? Zu wenig? Das alles fließt in die Gespräche mit der Mutter ein.

Geld für die Miete der Räume benötigt

Es gibt kein Muster, wie lange solche Beratungen dauern. „Wir haben Beratungen, die sind sehr schnell abgeschlossen, wir haben aber auch Fälle, in denen wir sehr lange mit der Mutter und den Kindern arbeiten“, sagt Sarah Trentzsch. Es hänge von der konkreten Situation ab.

Sehr klar ist dagegen, dass das Projekt finanzielle Unterstützung benötigt. „Wir benötigen Geld für die Miete unserer vertraulichen Räume“, sagt Sarah Trentzsch. „Aber wir müssen auch unsere Sachmittel finanzieren, auch dafür benötigen wir Geld.“ Deshalb hofft der Verein BIG für sein Projekt MBK auf die Unterstützung der Tagesspiegel-Leserinnen und -leser.

Bei Franziska Schuler hatte sich die Situation mit Hilfe von MBK entspannt. Das Projekt half ihr der Suche nach einem Therapieplatz für ihren Sohn. Sie selbst hat inzwischen die Hilfeangebot des Jugendamts angenommen.

*Die Namen der Betroffenen wurden geändert.

Über die BIG-Hotline ist auch das MBK erreichbar: Tel. 030-6110300, die Mail-Adresse des MBK lautet: mbkinder@big-hotline.de

Das Spendenkonto: Empfänger: Spendenaktion Der Tagesspiegel e.V., Verwendungszweck: „Menschen helfen!“, Berliner Sparkasse BIC: BELADEBE, IBAN: DE43 1005 0000 0250 0309 42

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